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Nikolai Astrup - Auf einsamen Weg

Die Kunsthalle Emden zeigt die erste Retrospektive von Nikolai Astrup außerhalb Norwegens. Der Maler nutzte die Techniken der Moderne, um seine Heimat zum vormodernen Idyll zu verklären

Von Christiane Meixner
05.10.2016

Was will Nikolai in der Vergangenheit? Dieses Bohren nach Traditionen und alter Folklore, wo doch um ihn herum alles neu ersteht. Wo sich Norwegen endlich bis in seine entlegenen Winkel modernisiert. Für die Nachbarn des kränkelnden Jugendlichen aus Jølster gab es keinen Zweifel: Der Sohn von Christian Astrup ist ein Sonderling.
Auch der Vater selbst hadert mit dem 17-Jährigen, der die Schule 1897 gerade so schafft und von einem Leben als Künstler träumt. Dabei soll er Pfarrer und Beamter werden – und Astrup senior lässt sich ungern von seinen Plänen abbringen. Nikolai gelingt es dennoch. Vielleicht trumpft er schon damals mit dieser Mischung aus Beharrlichkeit und Autonomie auf, die typisch für ihn und sein Werk wird. Beides hat ihn zu einer Symbolfigur für die norwegische Kunst des frühen 20. Jahrhunderts gemacht. Auch wenn das jenseits von Skandinavien wenige wissen.

Eben das soll sich ändern mit der großen Retrospektive „Nikolai Astrup: Norwegen. Eine Entdeckung“. Es ist die erste Tournee seiner Werke über die Grenzen des Landes, nach London erreicht sie mit über hundert Gemälden und großformatigen Holzschnitten nun Emden. Hier feiert man mit Astrups atmosphärischen Landschaften zugleich das 30-jährige Bestehen der von Henri Nannen gegründeten Kunsthalle. Die Ansprüche an die Schau sind hoch. Zum einen macht sie auf einen Maler aufmerksam, der international noch entdeckt werden will, während ihn das Nationalmuseum in Oslo ebenso gesammelt hat wie andere norwegische Museen und zahlreiche private Liebhaber. Zum anderen muss sie Astrups Modernität erklären, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt.

Stichwort Norwegen: Da denkt man zuallererst an Edvard Munch. Er gilt als Vorreiter und geistiger Schöpfer des Expressionismus. Munch, Jahrgang 1863, war deutlich älter als Astrup, schuf aber mit seinem Gemälde „Der Schrei“ ein Werk, das seiner Zeit voraus war. Daneben wirken Astrups Sujets wie aus einer vormodernen Ära. Tatsächlich sind jedoch seine Bilder ebenfalls Konstrukte der Fantasie. 1899 bricht der Maler nach Oslo auf, er studiert und reist bis 1902 dank mehrerer Stipendien nach Deutschland, Paris und London. Als Astrup nach Westnorwegen zurückkehrt, ist er mit den Ideen der Avantgarde vertraut. Seine neu erworbene Begeisterung für den japanischen Holzschnitt scheint im grafischen Werk überall auf und wird zu einem elementaren stilistischen Mittel. Dennoch beschränken sich Astrups Motive ab diesem Moment auf die Landschaft am Jølster-See, wo der Vater als Gemeindepfarrer wirkt.

Es ist eine wilde, eindrucksvolle Natur. Ihre Mythen müssen früh auf Astrup gewirkt haben, der als Kind viel Zeit zu Hause verbrachte. Zeichnend schuf er einen Bilderfundus, auf den er bis zu seinem frühen Tod 1928 zurückgreift. Deutlich wird dies in Motiven wie „Der Mond im Mai“ (1909), von dem es mehrere Varianten in Öl und als Farbholzschnitt gibt. Immer taucht ein schneebedeckter Hügel auf: Wo das Eis geschmolzen ist, bilden Flecken schemenhaft die Silhouetten unheimlicher Tiere. Noch klarer tritt Astrups innige Verbindung zur Sagenwelt in dem Holzschnitt „Frühlingsnacht und Weide“ zutage: Hier wird ein knorriger Baum zum Troll, dessen Arme sich nach einem Berg recken, den die Bewohner „Eiskönigin“ nennen, weil seine Form an eine nackte Liegende erinnert. Solche Motive wiederholt der Künstler konsequent, er bringt sie in andere Zusammenhänge und nutzt die Druckstöcke seiner Editionen auch, um Details auf die Leinwand zu setzen, bevor er mit der Malerei beginnt. Seine Montagen resultieren allerdings weniger aus Bequemlichkeit als aus dem schier unerfüllbaren Anspruch, den Astrup an sich und den Holzschnitt stellt. Er arbeitet unermüdlich, verwirft, fängt neu an – so lange, bis eine Form in seinen Augen Bestand hat. Anschließend wird sie zum wiederkehrenden Element der Landschaften, die sich stets aus blauen Wasserflächen, Bergen mit einer eleganten Horizontlinie und sattgrünen Wiesen zusammensetzen.

Schlichte Holzhütten stehen auf dem Gehöft, das Astrup ab 1913 mit seiner Frau und den Kindern bewohnt. Sie sind ebenfalls feste Protagonisten der Bilder, ernten wilden Fingerhut oder Rhabarber im umzäunten Garten und sitzen draußen an einem großen Tisch. Viele Szenen sind stilisiert, manchmal wirkt die Landschaft wie bei den Expressionisten flächig verzerrt, aber man kommt auch nicht umhin, einige der Sujets als süßlich zu empfinden, weil sie vollkommene Idylle suggerieren. Eine, die es selbst in Astrups abgelegenem Tal nicht gab. Auf seinem Gehöft versammelten sich jene Hütten, die im Zuge der Modernisierung abgerissen werden sollten. Der Maler kaufte sie in der Umgebung auf und baute sie wieder auf. Ähnlich verhielt es sich mit den Butterblumen, die seine Bilder als leuchtend gelbe Tupfer akzentuieren. Mit der Trockenlegung der Sümpfe verschwand das Gewächs. Astrup gewährte ihm Asyl und ließ es auf dem Gehöft wuchern.

Vor diesem Hintergrund basiert seine Entscheidung zur Rückkehr auf einer glasklaren Erkenntnis; Astrup sieht, wie seine Zeitgenossen sich ausgerechnet in jenem ­Moment um ihre Vergangenheit und Identität bringen, als nach langer Unterwerfung durch Dänemark endlich wieder ein Nationalbewusstsein aufkeimt. Daraus resultiert sein Bedürfnis, einen „Nationalstil“ zu schaffen, der das Licht und die Landschaft seines Landes mit jenen inneren Bildern verknüpft, die der Maler seit der Kindheit mit sich trägt. „Normale Menschen können die Atmosphäre der Luft in Westnorwegen nicht sehen“, erklärt er einem Osloer Studienkollegen. Nikolai Astrup konnte das. 

Ausstellung

„Nikolai Astrup: Norwegen. Eine Entdeckung“, Kunsthalle Emden, bis 22. Januar 2017

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr.120/2016

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