Bild des Tages

Kraftzehrende Handarbeit

Ein neu entdecktes Exemplar von Marianne Brandts Teeextraktkännchen wird bei Lempertz versteigert

Von Mayako Forchert
13.05.2024

Es ist ein Wahrzeichen des Bauhauses, das es mit seinem markanten Äußeren sogar auf eine Briefmarke der Deutschen Bundespost geschafft hat: das kleine Teeextraktkännchen mit der Modellnummer „MT 49“ von Marianne Brandt (1893–1983) – eine ihrer ganz frühen und zugleich bedeutendsten Arbeiten, die sie gleich zu Beginn ihrer Ausbildung am Bauhaus im Jahr 1924 entwarf.

Provenienz bestätigt Authentizität

Acht Exemplare, alle in wichtigen internationalen Sammlungen, waren bislang bekannt. Nun ist ein neuntes Objekt aufgetaucht – es gibt sie also, die ausgesprochenen Glücksfälle für die Designgeschichte. Das Kännchen kommt am 15. Mai bei Lempertz in Köln zum Aufruf. Die Authentizität des Stücks belegt seine Provenienz. Brandt selbst hatte das fragliche Kännchen in den Siebzigerjahren einer Freundin aus Chemnitz geschenkt, die es an ihre Nachkommen weitergab. Genau 100 Jahre nach dem Entwurf wird es nun zu einem Schätzpreis von 200.000 Euro aufgerufen. Für Lempertz ist es ein zweites Mal, denn schon 1996 erreichte dort eines der anderen Exemplare exorbitante 317.000 D-Mark.

Das kleine, nur 8 Zentimeter hohe Kännchen gibt es in unterschiedlichen Metallausführungen: in Silber, Tombak, Bronze, Messing oder – wie jetzt in Köln – in Neusilber. Um hier ganz sicher zu gehen, wurde ein materialwissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben. Alle Kännchen sind in mühevoller, kraftzehrender Handarbeit entstanden: dem Stanzen und Treiben. Aber es sind kaum handwerkliche Bearbeitungsspuren feststellbar und die Oberflächen makellos poliert, sodass der Eindruck maschineller Herstellung entsteht. „Die sähen zwar billig aus wie Maschinenarbeit, wären dabei aber teures Kunsthandwerk“, kommentierte ihr damaliger Werkstattkollege Wilhelm Wagenfeld sehr viel später das Missverhältnis. Zusammen mit Jakob Juncker entwickelte er im Entwurfsjahr des Kännchens die ikonische, nach ihm benannte Lampe. Marianne Brandt wiederum erinnerte sich 1972 in ihrem Brief an die junge Generation: „1924 wechselte ich auf Anraten von Moholy-Nagy vom Einführungskurs für Studienanfänger zur Metallwerkstatt; genau in der Zeit, als man von Hand die Prototypen bearbeitete, die dann in Serie hergestellt werden sollten. Es ging uns darum, diese Gegenstände so zu entwerfen, dass sie allen ästhetischen und praktischen Anforderungen gerecht wurden, auch noch als Serienprodukt, und außerdem sollten ihre Herstellungskosten unter denen einer Einzelanfertigung liegen“ (aus: Bauhaus und Bauhäusler, Köln 1985).

Nach formalen Vorgaben Lazlo Moholy-Nagys

Wichtig hierbei ist die Erkenntnis, dass diese Variationen der Modellnummer „MT 49“ Schau- bzw. Kunststücke und keine Serienstücke waren. Sie und andere Entwürfe aus der gleichen Zeit hatten den Charakter von Experimenten, die nach formalen Vorgaben des Werkstattleiters Lazlo Moholy-Nagy entstanden, der anfänglich Konstruktivismus aus Kugeln, Halbkugeln, Zylindern und Kreissegmenten vermittelte und Brandt bei Walter Gropius für die Aufnahme in die Metallwerkstatt empfahl. Genial war ihre Idee, anstelle des üblichen Standrings zwei sich kreuzende Stege anzulöten – ein eindrucksvolles Motiv, dass sie für weitere Arbeiten nutzte.

Marianne Brandt (1893 – 1983), Teeextraktkännchen „MT 49 / ME 8“, Neusilber, ebonisierte Holzscheibe als Griff, Holzknauf, Bauhaus Weimar, 1924, 8 x 15,8 x 10 cm
Marianne Brandt (1893 – 1983), Teeextraktkännchen „MT 49 / ME 8“, Neusilber, ebonisierte Holzscheibe als Griff, Holzknauf, Bauhaus Weimar, 1924, 8 x 15,8 x 10 cm. © Lempertz, Köln

Marianne Brandt war äußerst produktiv und innovativ – und das auf Anhieb. Das Teeextraktkännchen ist gewissermaßen ihr Gesellenstück, aber in Form und Ausführung schon ein Meisterstück. Bauhäuslerin wurde sie verhältnismäßig spät, erst mit 30 Jahren, dafür blieb sie der Designschule bis kurz vor der Auflösung 1932 erhalten, auch als Fotografin, Malerin, Bildhauerin und Gestalterin von Collagen. „Zuerst wurde ich eben nicht freudig aufgenommen: eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt, war die Meinung. Man gestand mir das später ein und hat dieser Meinung Ausdruck zu verleihen gewusst, indem man mir vorwiegend langweilig-mühsame Arbeit auftrug. Wie viele kleine Halbkugeln in sprödem Neusilber habe ich mit größter Ausdauer in der Anke geschlagen und gedacht, das müsse so sein und aller Anfang ist schwer.“ So wie sie auf historischen Gruppenbildnissen an der Seite oder im Hintergrund platziert ist, war sie es auch im Gefüge der Werkstatt – und das, obwohl sie in der Dessauer Zeit 28 Lampenmodelle entwarf und bei den Kontakten zu den Herstellern (Schwintzer & Gräff, Berlin; Körting & Mathiesen, Leipzig) die treibende Kraft gewesen war. Letztlich konnten zwischen 1928 und 1931 mit ihrem Engagement unter der Marke „Kandem“ mehr als 50.000 Beleuchtungskörper verkauft werden.

Von 1928 bis 1929 wurde ihr nur die stellvertretende Leitung der Werkstatt zuerkannt, hinter Alfred Arndt (1898 – 1976), der sich im engeren Sinne aber gar nicht mit Metall auskannte, da er am Bauhaus seine Gesellenprüfung in der Wandmalerei abgelegt hatte und 1927 als freier Architekt tätig gewesen war. Dennoch war die Zeit am Bauhaus für Marianne Brandt in der Rückschau die kreativste Spanne ihres Lebens. Danach geriet auch sie in schwere Zeitumstände: Nationalsozialismus, Kriegs- und Nachkriegszeit und die Formalismus-Debatte in der DDR zu Beginn der Fünfzigerjahre.

Weiteres Auktionsobjekt von Paula Straus

In derselben Auktion wird auch ein seltener Tafelaufsatz von Paula Straus (1894–1943) zu einem Schätzpreis von 3000 Euro aufgerufen. Das 44 Zentimeter lange Stück ist aus 835er-Silber gefertigt und steht auf acht kleinen Kugeln (Entwurf 1930 für Bruckmann & Söhne, Modell 13423). Als Zeitgenossin von Marianne Brandt gehörte Straus neben Emmy Roth (1885–1942) zu den wichtigsten Metall-Designerinnen der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Alle eint ein werkgerechter Umgang mit Metall in moderner Formgebung. Paula Straus hatte das Glück, in Schwäbisch Gmünd als eine der ersten Frauen eine umfassende Ausbildung zur Gold- und Silberschmiedin absolvieren zu können. Parallel dazu durchlief sie ein Studium an der Kunstgewerbeschule am Weißenhof in Stuttgart. Nach insgesamt zehn Jahren erhielt sie 1921 den Meisterbrief als Goldschmiedin von Paul Haustein.

Ihre Bedeutung als avantgardistische Silberschmiedin konnte sie von 1925 bis 1933 als festangestellte Designerin mit eigener Werkstatt bei der Silberwarenfabrik Peter Bruckmann & Söhne in Heilbronn mit fast 100 Entwürfen mehr als ausreichend unter Beweis stellen. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann die Katastrophe: Als Jüdin entließ man sie aus vermeintlich wirtschaftlichen Gründen und eine anschließende Beschäftigung bei der WMF wurde bald aus demselbem Anlass nach einigen Monaten beendet. Nun blieb ihr nur die Selbstständigkeit, die aber nach einer gescheiterten Emigration in die Niederlande in einem Berufsverbot mündete. „Immer hab ich gedacht, wie viel man noch aushalten kann, aber jetzt bin ich an der Grenze dieser Kraft angelangt“, schrieb sie in einem letzten Brief im Juli 1942 kurz vor ihrer Deportation. Im Alter von 49 Jahren wurde sie in Auschwitz ermordet.

Service

Auktion

Auktion 1244 Kunstgewerbe – Silber, Porzellan und Keramik

Lempertz, Köln,

Auktion: 15. Mai,

Besichtigung: 8., 10. – 13. Mai

www.lempertz.com

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