Kunstmarkt für Zeichnungen

Erkenntnis auf Papier

Der Auktionsmarkt für Handzeichnungen liefert regelmäßig Ergebnisse im sechs- und siebenstelligen Bereich. Aber auch schon für ein paar Tausend Euro ließen sich jüngst einzelne Werke, etwa von Jorinde Voigt oder Otto Dix, ergattern

Von Stefan Weixler
20.07.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 12/23

Zeichnen kann jedes Kind. Und damit Begeisterungsstürme auslösen. Meist allerdings nur bei seinen Eltern, die schlicht und ergreifend jede Kreation ihres Lieblings als kleines Wunder wertschätzen können. Die Blätter „Mummy“ und „Papa“, zwei typische Beispiele für Werke von Fünf-, Sechs- oder Siebenjährigen in der sogenannten Schemaphase I, haben am 16. Juni bei Hansons in Bishton Hall / Staffordshire aber gleich einen ganzen Auktionssaal elektrisiert. Denn sie stammten aus den Kindertagen von King Charles III., der sie um 1954 angefertigt haben dürfte. Und so kam es zu einem erbitterten Bietgefecht um die als Doppelpack angebotenen Darstellungen von Queen Elizabeth II. und Prince Philip, das erst bei sage und schreibe 46.000 Pfund (Taxe 5000 Pfund) ein Ende fand. Siegreich war Angus Neill von Felder Fine Art, London. Gerade das Bildnis der Königin, meint er, sei von überragender Bedeutung. Denn „die am meisten verehrte Person der Neuzeit, milliardenfach reproduziert und von Dutzenden berühmter Porträtmaler gemalt“ sei hier von ihrem erstgeborenen Sohn in Liebe verewigt worden – und somit eben nicht in ihrer Rolle als Monarchin, sondern als Mutter und Mensch. Wohl wahr. Ob Neill für diese Binse vom Markt aber seine geleistete Investition von brutto 59.800 Pfund zuzüglich Handelsspanne zurückbekommt, wird sich zeigen.

Der hohe Zuschlag ist ein Paradebeispiel für die immense Wirkmacht des Promifaktors im Kunstzirkus, der hier gleich in Potenz – qua Autor und qua Motiv – zum Tragen kommt. Ein Prinzip, das der Meister der Selbstinszenierung Andy Warhol bei seinem diabolischen Spiel mit den Mechanismen des Markts quasi am laufenden Band bediente. Beispielsweise als er nach dem Schema „King of Pop-Art porträtiert Superstar“ Siebdrucke zu Marilyn, Elvis oder Mao schuf – ein Mao-Bildnis mit Bleistift brachte am 10. März bei Christie’s New York 110.000 Dollar (Taxe 120.000 Dollar). Und natürlich gehört in diese Reihe auch die Siebdruckserie der „Reigning Queens“, in deren Zusammenhang Warhol nach offiziellen Porträtfotos auch diverse Zeichnungen von Elizabeth II. anfertigte. Die Arbeiten liegen zwischen 25.000 und 70.000 Pfund. Rein zeichnerisch betrachtet sind sie – wie die Bilder des kleinen Charles in seiner Altersklasse – bloße Durchschnittsware.

King Charles III Handzeichnungen
King Charles III. Kinderzeichnungen von Queen Elizabeth II. und Prince Philip, angeboten im Doppelpack, wechselten für 46.000 Pfund (Taxe 5000 Pfund) ihren Besitzer. © Emma Errington / Hansons

Worauf sich ein Investment in Kunst primär gründen sollte, muss jeder selbst entscheiden. Der Sektor der Handzeichnungen jedenfalls hält schon im vierstelligen Bereich beeindruckende Qualitäten bereit – von den Alten Meistern über das „lange“ 19. Jahrhundert und die Klassische Moderne bis hinein in die Gegenwart. Bei Van Ham in Köln etwa war Jorinde Voigts 2010 mit Bleistift und Tusche geschaffene „Rom-Studie II“ am 30. November 2022 bei 4800 Euro (Taxe 4000 Euro) zu haben. Die Berliner Künstlerin eröffnet in solchen Werken – scheinbar anknüpfend an Leonardos zeichnerische Forschungsreisen – Perspektiven auf komplexe Vorgänge in Natur und Kultur, indem sie ihre Wahrnehmungen codiert zu Papier bringt.

Der Kölner Wettbewerber Lempertz gab im Zuge der Auktion vom 7. Juni 2023 einen prägnanten „Mädchenkopf“ von Otto Dix bei 6300 Euro (Taxe 7000 Euro) ab, den der Künstler 1932 in Vorbereitung auf das Gemälde „Blonder Halbakt“ geschaffen hatte. Zwei Tage später schlug Bassenge in Berlin ein wunderbar direktes Tuschebildnis Franz von Stucks bei taxgerechten 6000 Euro zu – es zeigt seine Tochter Mary, die er zig Mal por- trätiert hat. Am 29. Juni realisierte Alfred Kubins „Im Mondlicht“, eine seiner meisterlichen Federzeichnungen aus der Welt der Traumvisionen, bei Neumeister in München 1600 Euro (Taxe 1200 Euro). Und am 5. Juli konnte man bei Sotheby’s in London Guido Renis sichtlich an Werken der Renaissance orientierten „Kopf eines Jungen“, den der Bologneser Barockklassizist wohl kurz nach seinen römischen Jahren mit verschiedenen Kreiden auf grau-grünes Papier gebracht hatte, bei 9500 Pfund (Taxe 7000 Pfund) mit nach Hause nehmen. Alles keine Einzelfälle – die Reihe der Low-Budget-Highlights ließe sich beliebig fortsetzen.

Wer fünfstellige Summen zu bieten bereit war – also die Preisliga der King-Charles-Blätter bespielte – hatte in den letzten zwölf Monaten schier unendlich viele glänzende Optionen. Am 18. November 2022 konnte man sich beispielsweise bei Karl & Faber in München für 40.000 Euro (Taxe 20.000 Euro) eine kunstvoll mit Rötel und Pinsel hingeworfene „Geburt Christi“ des Genuesers Giovanni Benedetto Castiglione sichern, dessen stürmisch bewegte Strichkunst das barocke Lebensgefühl schlechthin fest- zuhalten scheint.

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