Kunstmarkt für Zeichnungen

Erkenntnis auf Papier

Der Auktionsmarkt für Handzeichnungen liefert regelmäßig Ergebnisse im sechs- und siebenstelligen Bereich. Aber auch schon für ein paar Tausend Euro ließen sich jüngst einzelne Werke, etwa von Jorinde Voigt oder Otto Dix, ergattern

Von Stefan Weixler
20.07.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 12/23

Am 22. März schlug Artcurial in Paris bei 32.000 Euro (Taxe 8000 Euro) eine „Waldlandschaft mit Boot und Haus“ von Jan Lievens zu, die der Jugendfreund Rembrandts in kraftvoller Manier mit der Schilfrohrfeder auf Japanpapier gekratzt hatte.

Just am selben Tag brachte bei den Pariser Kollegen von Christie’s ein bravouröses Kinderporträt mit Rötel von François Boucher 14.000 Euro (Taxe 8000 Euro) ein. Es handelte sich hier um eines jener Blätter, die durch das um 1750 entwickelte drucktechnische Verfahren der Crayonmanier vervielfältigt wurden – in diesem Fall vom späteren friderizianische Hofstecher Georg Friedrich Schmid – und Bouchers charakteristisch weichen Stil in der damaligen Welt populär machten.

Artcurial Jan Lievens Handzeichnungen
Am 22. März schlug Artcurial in Paris bei 32.000 Euro (Taxe 8000 Euro) eine „Waldlandschaft mit Boot und Haus“ von Jan Lievens zu. © Artcurial, Paris

Das Wiener Auktionshaus im Kinsky hatte am 18. April Henry Moores Mischtechnik „Ideas for Sculpture: Reclining Figures“ im Sortiment, das erwartungsgemäß 10.000 Euro einspielte. Auf diesem Blatt von 1954 reinszenierte der Künstler Bleistiftstudien aus Skizzenbüchern der Dreißigerjahre, was er diverse Male tat. Wie typisch für die Zeichnungen des Bildhauers verortete Moore die diversen, beziehungslos über die Fläche verteilten Liegefiguren mithilfe versierter Schraffuren jeweils klar als plastische Körper mit Eigengewicht im Raum.

Am 1. Juni offerierte Grisebach in Berlin ein beidseitig bearbeitetes Blatt mit Anatomiestudien von Philipp Otto Runge. Das Frühwerk von 1799 mit Feder und Pinsel in Grau war aber weit mehr als eine virtuose Fingerübung. Denn der gebückt stehende „Knochenmann“ mit gefalteten Händen recto und der im Laufschritt gen Himmel blickende „Muskelmann“ verso – gleichsam ein und dieselbe Person in verschiedenen Sphären –, verströmten so eindringlich eine Vanitasbotschaft im Stile von Kohelets „Windhauch“, dass der Zuschlag bei taxgerechten 20.000 Euro allemal gerechtfertigt war.

Phillip Otto Runge Handzeichnungen
Am 1. Juni offerierte Grisebach in Berlin ein beidseitig bearbeitetes Blatt mit Anatomiestudien von Philipp Otto Runge. Der Zuschlag bei taxgerechten 20.000 Euro war allemal gerechtfertigt. Das Frühwerk von 1799 zeigt auf der einen Seite den gebückt stehende „Knochenmann“. © Grisebach, Berlin

Und last, not least kam am 30. Juni bei Ketterer in München eine Kreidestudie von Gustav Klimt für das „Bildnis der Hermine Gallia“ in der National Gallery London zur Auktion, das bei 27.500 Euro (Taxe 30.000 Euro) abgegeben wurde – nur eine von vielen Möglichkeiten in den letzten zwölf Monaten, die reizvollen Porträtzeichnungen des Jugendstilkünstlers, der sich anhand subtiler Liniengespinste quasi sukzessive an seine Modelle herantastete, für fünfstellige Summen zu ergattern. Blätter der genannten Künstler können auch in die Hunderttausende gehen – so bereits geschehen bei Lievens, Castiglione, Boucher, Runge, Boucher, Klimt, Moore, Dix, Kubin und Voigt.

Einige von ihnen haben im Zeichnungssektor sogar die Millionengrenze überschritten. Und freilich dringen in diese Spitzenregionen auch jede Menge andere vor – in den letzten zwölf Monaten etwa William Kentridge (Bonhams, London, 15. November 2022, Zuschlag 500.000 Pfund), Pablo Picasso (Lempertz, Köln, 2. Dezember 2022, Zuschlag 220.000 Euro; Karl & Faber, München, 8. Dezember 2022, Zuschlag 275.000 Euro), Jan Gossaert (Sotheby’s, New York, 25. Januar 2023, Zuschlag 400.000 Pfund) und Francisco de Goya (Christie’s New York, 11. Mai 2023, Zuschlag 2,6 Mio. Dollar). Solche Ergebnisse zeigen: Der Sektor ist überaus lebendig. Denn immer mehr Menschen in aller Welt scheinen zu begreifen, dass Handzeichnungen, die ihrem Wesen nach den Dingen des Lebens mit dem Stift nachspüren und die immerwährende Suche nach Erkenntnis auf Papier konservieren, jenseits bestimmter Stilvorstellungen die Spur der Existenz selbst fortzuschreiben scheinen – und somit Vergangenheit höchst gegenwärtig machen.

Paul Peter Rubens Handzeichnugen
Am 4. April im Wiener Dorotheum kletterte ein Rubens zugeschriebener, aber keinem seiner Gemälde zuordenbarer „Weiblicher Akt in Rückenansicht“ ohne Eintrag in Anne-Marie Logans Werkverzeichnis von 30.000 auf 85.000 Euro. © Dorotheum, Wien

Besonders reizvoll ist seit eh und je, dass der kaum dokumentierte, ergo recht unsichere Altmeistersektor viele außerordentliche Qualitäten bereithält, die bislang nicht oder nur vage mit bestimmten Namen in Verbindung gebracht werden konnten. So scannen den Markt viele Kenner und / oder Spekulanten auf der Suche nach Trouvaillen – und engagieren sich im Fall der Fälle. Beispielsweise am 4. April im Wiener Dorotheum, als ein Rubens zugeschriebener, aber keinem seiner Gemälde zuordenbarer „Weiblicher Akt in Rückenansicht“ ohne Eintrag in Anne-Marie Logans Werkverzeichnis von 30.000 auf 85.000 Euro kletterte. Oder am 31. März bei Koller in Zürich, als eine anonyme „Studie zu einem Brustharnisch“ mit schwarzer und weißer Kreide auf blauem Bütten spektakulär von 500 auf 30.000 Franken schoss. Wie Connaisseurs aufgrund der Nummer „S. P. 53“ auf der Rückseite wussten, hatte sich das Blatt einst in der berühmten venezianischen Sammlung von Zaccaria Sagredo befunden. Und geschaffen wurde es mit ziemlicher Sicherheit von Paolo Veronese, worauf der Buchstabe „P“ und die Nummer „53“ hindeuten. 

Koller Handzeichnungen
Bei Koller in Zürich erzielte eine anonyme „Studie zu einem Brustharnisch“ mit schwarzer und weißer Kreide auf blauem Bütten 30.000 Franken. © Koller, Zürich

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