Bild des Tages

Das große Spektakel

Bei Christie’s in New York fiel der Hammer für Jean-Michel Basquiats „El Gran Espectaculo (The Nile)“ von 1983 nach einem fünfminütigen Bietgefecht bei 58 Millionen Dollar

Von Jan Kohlhaas
16.05.2023

Auf den ersten Blick wirken die Werke Jean Michel Basquiats wie eine chaotische Komposition aus einzelnen Skizzen, grafischen Symbolen und gekritzelten Worten. So auch sein großformatiges Gemälde „El Gran Espectaculo (The Nile)“ aus dem Jahr 1983. Die dreiteilige Arbeit überflutet das Auge des Betrachters geradezu mit symbolischen Zeichen, deren Entschlüsselung jedoch eine klare Botschaft transportiert. „El Gran Espectaculo (The Nile)“ ist ein hochkomplexes Historiengemälde, vergleichbar mit Werken wie Picassos „Guernica“. Während Picasso darin 1937 die Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs verarbeitete, thematisiert Basquiat 1983 die Geschichte der schwarzen Diaspora. Er spannt den Bogen vom alten Ägypten bis zum heutigen Amerika, erzählt in seiner einzigartigen Bild- und Zeichensprache von der Passage der Afrikaner vom Aufbau der Zivilisation an den Ufern des Nils zur pharaonischen Handelshauptstadt Memphis, durch die Alte Welt bis nach Amerika und Memphis, Tennessee. Es begegnen uns Symbole wie das Auge des Horus, der Wachhund des Pharaos, eine sitzende schwarze Figur mit den durchgestrichenen Worten „slave“ und „esclav“ auf der Brust. Allein das Wort „Memphis“ verdeutlicht, wie komplex die Ikonografie des Bildes ist. Denn Memphis war nicht nur die alte Hauptstadt von Unterägypten, die mit dem Aufstieg von Theben unterging, sondern ist auch die zweitgrößte Stadt im US-Bundesstaat Tennessee, die einige der schlimmsten Beispiele rassistischer Gewalt erlebte.

„El Gran Espectaculo (The Nile)“ befand sich einst im Besitz von Enrico Navarra, einem prominenten Sammler der Werke Basquiats und Mitverfasser einer dreibändigen Publikation über den Künstler, die als der umfassendste Katalog zu dessen Werk gilt. Das Gemälde wurde in zahlreichen Retrospektiven ausgestellt und befand sich seit November 2005, als es bei Sotheby’s in New York für 4,6 Millionen Dollar versteigert wurde, in derselben Privatsammlung. Dieser Zuschlag wurde gestern im „21st Century Evening Sale“ bei Christie’s in New York in einem fünfminütigen Bietgefecht geradezu pulverisiert – der Hammer fiel bei 58 Millionen Dollar.

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