Auktionsmarkt für Bücher

Lesestoff mit Zukunft

Auf dem Auktionsmarkt für Bücher sind Inkunabeln und mittelalterliche Manuskripte gefragt wie eh und je, aber auch Erstausgaben berühmter Klassiker – und „Harry Potter“

Von Peter Dittmar
19.01.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 1/22

Ein Beispiel für die schwankenden Einschätzungen ist das „Theatrum orbis terrarum“ von Abraham Ortelius. Mit dem Zuschlag bei 130.000 Euro erhöhte Ketterer Ende November in Hamburg die Taxe für eine altkolorierte Ausgabe um 50.000 Euro. Sotheby’s erzielte dagegen mit 70.000 Dollar gerademal die Schätzung, während Christie’s in New York 190.000 Dollar kassieren durfte. Bei Zisska & Lacher wurden es sogar nur 32.000 Euro. Allerdings handelte es sich da um die dritte Variante der ersten Auflage in mäßigem Zustand. Und bei Ketterer konnte ein Bieter den Atlasband sogar für 1300 Euro nach Hause tragen. Allerdings nur als Faksimile.

Denn auch das fiel in der jüngsten Saison auf: Die teuren Faksimile-Ausgaben sind längst auktionsfähig. Von 36 Losen dieser Sparte gingen bei Ketterer nur fünf, bei Zisska elf von 21 zurück. So kam „Das Echternacher Evangelistar“, 2007 in Luzern 980-mal gedruckt (Neupreis 2500 Euro) bei Ketterer auf 1100, bei Bassenge auf 1200 und bei Venator & Hanstein in Köln auf 800 Euro. Und der „Codex Gisle“, ein reich illuminiertes Graduale aus dem frühen 14. Jahrhundert, jetzt im Bistumsarchiv Osnabrück, Auflage 480 (Neupreis 10.950 Euro), stieg bei Ketterer von 1800 auf 3500 Euro und bei Venator von 1500 auf 1900 Euro. Als Geldanlage, das verdeutlichen diese Zuschläge, eignen sie sich offensichtlich nicht.

Kunstmarkt Bücher Abraham Ortelius Karte
Mit einem Zuschlag bei 130.000 Euro erhöhte Ketterer Ende November 2021 die Taxe für eine altkolorierte Ausgabe des „Theatrum orbis terrarum“ von Abraham Ortelius um 50.000 Euro. © Ketterer, Hamburg

Nach wie vor sind Pressendrucke ein Segment, das Begehrlichkeiten weckt. Hartung & Hartung boten am 2. November in München gut zwei Dutzend Beispiele der New Yorker Kaldewey Press an, von denen „The Tao Te Ching“, eine der sieben Luxus-Ausgaben (von 42 Drucken insgesamt), mit 2700 Euro am besten verkauft wurde. Ein anderes Beispiel ist „Die tragische Geschichte von Hamlet Prinzen von Dænemark“, die 1929 in 230 Exemplaren in der Cranach Presse von Harry Graf Kessler erschien, berühmt und gesucht wegen ihrer ausgefeilten Typografie im Zusammenspiel mit den Holzschnitten von Edward Gordon Craig. 2017 und 2018 bei Ketterer für 7500 und 6000 Euro, bei Christian Hesse in Hamburg 2020 sogar nur für 2200 Euro zugeschlagen, erzielte Hesse jetzt am 29. Mai, allerdings für eine der 17 Vorzugsausgaben, 22.000 Euro.

Obwohl bei Shakespeare kein Mangel an Mord und Totschlag und allerhand Geistererscheinungen herrscht, kann der dänische Prinz nicht mit den „Klassikern der Schauerliteratur“ des 19. Jahrhunderts konkurrieren. Bram Stokers „Dracula“ in der Erstausgabe von 1897 durfte seine Zähne Mitte September bei Christie’s New York bei 220.000 Dollar (Taxe 50.000 Dollar) blecken. Wohingegen sich Mary Shelleys „Frankenstein: or The Modern Prometheus“, wie er 1818 gedruckt worden war, in derselben Auktion erst bei 950.000 Dollar (Taxe 200.000 Dollar) einem neuen Besitzer zuwandte.

Aber was ist das gegen den Geist von Hogwarts. Im Dezember kletterte eines der 500 Exemplare der Erstauflage der britischen Ausgabe „Harry Potter and the Philosopher’s Stone“ bei Heritage in Dallas von 75.000 auf 380.000 Dollar. Damit ließ das Buch als „Collectible“ die ebenfalls in diesem Jahr gezahlten Potter-Preise – 80.000 und 85.000 Pfund bei Tennants und Bonhams, 110.000 Dollar und 75.000 Pfund bei Sotheby’s – weit hinter sich.

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Nach wie vor sind Pressendrucke ein Segment, das Begehrlichkeiten weckt. So die tragische Geschichte von „Hamlet Prinzen von Dænemark“, die 1929 in 230 Exemplaren in der Cranach Presse erschien, berühmt und gesucht wegen ihrer ausgefeilten Typografie im Zusammenspiel mit den Holzschnitten von Edward Gordon Craig. Christian Hesse erzielte am 29. Mai für eine der 17 Vorzugsausgaben 22.000 Euro. © Hesse, Hamburg

Solche Höhenflüge und Seltsamkeiten des Kunstmarkts lassen die Bibliophilen und Bibliomanen jedoch kalt. Zwar werden allenthalben einzelne Seiten von Inkunabeln und Manuskripten, vor allem die mit ausgeschmückten Initialen und Miniaturen, verauktioniert – zuletzt bei Christie’s ausgiebig am 15. Dezember. Aber auf die Idee, einen mittelalterlichen Codex seitenweise als NFT zu versteigern, ist bislang (Stand 17. Dezember) noch niemand gekommen. Denn damit wäre das Werk, gleichsam gefleddert und geschreddert, für die Wissenschaft wie als Augenfreude des Betrachters verloren. Oder um es mit ein wenig Pathos – wie Der Kaiser von Utopia von Paul Scheerbart – auszudrücken: „Im Alten steckt die ganze Seele der Menschheit. Zum Alten zieht es uns immer wieder hin, wenn wir in der Gegenwart nicht das finden, was unsrer Sehnsucht Genüge tut. Das weiß ein Antiquar.“

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