Das Münchner Auktionshaus Ketterer Kunst blickt trotz Corona-Krise auf das beste Halbjahr seiner Geschichte zurück und dominiert immer mehr den Markt für zeitgenössische und moderne Kunst. Der Inhaber Robert Ketterer spricht über seine Erfolgsstrategie
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25.10.2020
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 177
Ortstermin München-Riem. Hier draußen, in einem klassischen Gewerbegebiet, rund fünf Minuten Fußweg vom U-Bahnhof Messestadt West, sitzt Ketterer Kunst, Deutschlands erfolgreichstes Kunstauktionshaus. Ein mächtiger weißer Kasten mit einer großen Glasfront, klar und modern, ganz der Bauhausdevise „Form follows function“ verpflichtet. Drinnen dominiert ebenfalls die Farbe Weiß, beim langen Empfangstresen, dem spiegelnden Fußboden, den Designersesseln. Das Herzstück des Hauses, der Saal für die Live-Auktionen, kontrastiert dazu in warmer Holzvertäfelung.
Robert Ketterer, der Geschäftsführer und Alleininhaber, empfängt uns in seinem Büro. Auch hier wirkt alles aufgeräumt, hell, optimiert. Einen Hauch Spleenigkeit vermittelt einzig das in die Wand eingelassene Aquarium gegenüber dem Schreibtisch, bei dem einem unvermittelt alte James-Bond-Filme in den Sinn kommen. Robert Ketterer, ein dynamischer Mann in den besten Jahren, der sich einen jungenhaften Charme und Elan bewahrt hat, strahlt übers ganze Gesicht. Sein Auktionshaus hat gerade das erfolgreichste erste Halbjahr seiner Geschichte hinter sich.
Mehr als 30 Millionen Euro wurden trotz der Pandemie umgesetzt, davon über 25 Millionen Euro mit zeitgenössischer und moderner Kunst. Auf der Jubiläumsauktion im Juli, der 500., überwanden gleich zwei Werke die magische 1-Million-Euro-Grenze: ein Gerhard Richter, „Christiane und Kerstin“ von 1968, auf dem der Maler in der Manier einer unscharfen Schwarz-Weiß-Fotografie die zwei Töchter des Sammlerehepaares Margot und Werner Schäfer porträtiert (2,625 Millionen Euro), und eine „Dorfstraße mit Apfelbäumen“, 1907 von Ernst Ludwig Kirchner in Ölfarben festgehalten (1,062 Millionen Euro). Kein anderes deutsches Auktionshaus konnte mit solchen Zahlen aufwarten, immer größer wird der Abstand zur Konkurrenz.
Wie erklärt sich Robert Ketterer diesen Lauf, der nun schon ein paar Jahre anhält? „Wenn Sie einmal in einer Aufwärtsspirale drin sind, ist es schwer, da wieder rauszukommen. Genauso wie aus einer Abwärtsspirale. Die Leute gehen immer dorthin, wo sie glauben, den höchsten Preis zu erzielen. Und das muss man auch beweisen. Nur erzählen bringt nichts.“ In diesem Jahr kam das Glück hinzu, viele Objekte der Jubiläumsauktion schon vor dem Ausbrechen der Coronakrise im März akquiriert zu haben. Als dann der Lockdown kam, entschloss sich Ketterer, keinen seiner 60 Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken, sondern alle Kraft in die verschobene Auktion und Katalogisierungsarbeiten im Haus zu stecken. „Das hat sich ausgezahlt. Wir waren dann, als es wieder langsam losging, bestens vorbereitet.“
Der Erfolg wurde Robert Ketterer nicht in den Schoß gelegt. Als sein Vater Wolfgang, der die Firma 1954 zunächst als kleine Galerie in Stuttgart gegründet hatte, ihm Mitte der 1990er-Jahre die Leitung des Auktionshauses übertrug, standen die Zeichen eher auf Niedergang. „Mein Vater war schon sehr alt, weit über 70, und hat zum Beispiel keine Reisen mehr gemacht. Wichtige Mitarbeiter waren zur Konkurrenz gewechselt und hatten ihre Kontakte und Expertise mitgenommen. Und dann lag auch noch der Kunstmarkt am Boden.“
Doch Ketterer, damals Mitte zwanzig, ließ sich so schnell nicht unterkriegen: „Ich habe dann gemerkt, dass ich viel herumreisen muss. Das war am Anfang nicht lustig, das war wirklich harte Arbeit. Immer wieder ist man bei den Kunden abgeblitzt. Ich kam zu Kunden, die sagten, wir haben zehn Sachen zu verkaufen, schauen Sie sich das doch bitte mal an. Ich habe dann alles bewertet und am Schluss hat die Objekte über 100 000 Mark Grisebach bekommen, die über 10 000 Lempertz und den Rest wir. So ging das immer wieder, es war schwer, da aus eigener Kraft herauszukommen.“
Bis Fortuna, die Glücksgöttin, ein Einsehen hatte. 2003 fiel Ketterer eine wichtige Sammlung praktisch in den Schoß. Die Sammlerin Ingeborg Tremmel hatte testamentarisch das Münchner Auktionshaus als Versteigerer ihrer 800 Werke bestimmt, darunter ein bedeutendes Konvolut von Käthe-Kollwitz-Zeichnungen. Ketterer wickelte die Auktion mit großem Erfolg ab und gehörte fortan wieder zu den ersten Adressen im Kunsthandel.
Doch schon zuvor hatte der junge Unternehmer eine wichtige Zukunftsentscheidung getroffen. Er räumte im Auktionshaus gründlich auf. Abteilungen wie Jugendstil oder Afrika, die nicht viel Geld, aber viel Mühe machten, wurden kurzerhand geschlossen. „Das war damals schon sehr mutig, wie mir gesagt wurde, aber mein Bauchgefühl gab mir recht. Ich habe überlegt, was ist die Kernkompetenz von Ketterer, was können wir wirklich und womit verzetteln wir uns.“ Später wurden dann noch die Alten Meister abgeschafft, ein Markt, von dem Ketterer nicht viel hält: „Die erste Qualität gibt es nicht mehr, die zweite eigentlich auch nicht und die dritte will keiner mehr. Hinzu kommen die vielen Zuschreibungsprobleme. Ist das wirklich von dem, und wer sagt denn, dass es so ist. Das ist alles extrem schwierig.“
Leicht ist es hingegen, einen anderen Trend zu bedienen. Den zur zeitgenössischen Kunst und hier vor allem zu großen Namen und dekorativen Werken. Die Erfolge der Pop-Art, aber auch von deutschen Gegenwartskünstlern wie Daniel Richter, Katharina Grosse, Norbert Bisky, Karin Kneffel oder zuletzt André Butzer in seinen Auktionen bestätigen ihn in dieser Einschätzung: „Jede Generation kauft ihre Kunst.“
So wie sein Haus heute aufgestellt ist, hält Robert Ketterer es für zukunftsfest: „Wir konzentrieren uns auf das, was wir können.“ Dazu zählen neben der zeitgenössischen und modernen Kunst auch die traditionsreiche Abteilung für wertvolle Bücher in Hamburg und die Kunst des 19. Jahrhunderts, an der Ketterer weiterhin festhalten will: „Hier sehe ich ein gutes Potenzial. Die Qualität ist da, und die Preise sind sehr niedrig.“ Wird in den nächsten Jahren vielleicht noch etwas dazukommen? „Natürlich könnte man auch Auto-Auktionen machen oder Juwelen, aber dafür stehen wir nicht. Unter Sportlern gibt es den Spruch: Never change a winning team. Deshalb bleiben auch die Bücher.“
Ketterer ist es gelungen, Tradition und Innovation in ein gesundes Verhältnis zu bringen. Erprobtes, wie der gedruckte Katalog, wird nicht achtlos über Bord geworfen, aber man hält auch nicht starrsinnig am Althergebrachten fest. Die Aufgabe der repräsentativen Räume im Prinz-Alfons-Palais an der Prinzregentenstraße 2008 und der Umzug in den Neubau nach München-Riem war solch ein Schritt nach vorn.
„Ich habe gesehen, dass es nicht mehr auf die Stadtmitte ankommt, wo man keine Parkplätze findet und nicht genug Platz für die Objekte hat. Deshalb sind wir hier rausgezogen. Das war ein Wagnis, aber es hat sich gelohnt. Die Leute sind uns gefolgt und sie bleiben jetzt viel länger. Sie trinken einen Cappuccino, blättern im Katalog und gehen dann noch einmal herum. Vor Corona hatten wir hier teilweise über 1200 Leute zum Sonntagsbrunch vor der Auktion. Und diese Vorbesichtigungen sind eminent wichtig: Da verlieben sich die Leute in die Bilder, da treffen sie ihre Vorentscheidung. Bieten können sie dann auch im Internet.“
Das Internet sei ohnehin die Zukunft der Branche. Ketterer hat schon früh die Möglichkeiten genutzt, etwa um die Jahrtausendwende als eines der ersten Auktionshäuser in Deutschland Kataloge auf die Website gestellt oder mittels maßgeschneiderter Software die Abläufe in seinem Unternehmen optimiert. Seit 2007 gibt es zudem die Möglichkeit, online auf Objekte in Zeitauktionen zu bieten, eine Plattform, die immer wichtiger wird. Die Ergebnisse dieser sogenannten Online-Only-Auktionen sind im Frühjahr bei Ketterer regelrecht explodiert, auch wenn sie bislang nur etwa fünf Prozent des Umsatzes ausmachen. Die meisten Objekte im Bereich unter 10 000 Euro werden in Zukunft im Netz versteigert, ist sich Robert Ketterer sicher, und „wir werden auch eines Tages die 100 000-Euro-Marke überspringen“. Doch die Live-Auktionen bleiben genauso wichtig, „das eine funktioniert nicht ohne das andere“.
Die größte Herausforderung für Auktionshäuser sei es heute, an gute Objekte zu kommen, erzählt er zum Schluss. Dabei helfen ihm seine Kontakte zu Firmensammlungen, die er in den letzten Jahren zielstrebig ausgebaut hat, genauso wie die über Jahre gewachsene Kundenkartei. Lachend gibt er die Anekdote preis, wie er einen Sammler, der noch zu D-Mark-Zeiten bei ihm ein Nagelbild von Günther Uecker gekauft hat, anrief und fragte: „Weißt du eigentlich, wie viel das inzwischen kostet? Willst du das nicht verkaufen?“ Als der fast schon überredete Sammler dann einwandte, nicht zu wissen, wo er künftig seine geschossenen Rosen vom Oktoberfest hinstecken solle, entgegnete Ketterer: „Pass auf, ich verkaufe dir dafür einen kleineren Uecker und vom Rest des Geldes gönnst du dir was Schönes.“ So wünscht er sich das Geschäft mit der Kunst: In erster Linie soll doch alles Spaß machen.