Mainzer Kartause

Jeder Mönch ein Eigenheim

Vor 700 Jahren gegründet, vor 235 Jahren zerstört: Eine Ausstellung des Mainzer Dom- und Diözesanmuseums erinnert an die kunsthistorisch bedeutende Kartause in der Stadt

Von Gloria Ehret
26.09.2023

Die zentrale Bedeutung von Klosterbibliotheken ist hinlänglich bekannt, und die Kartäuser galten als der mittelalterliche Bücherorden schlechthin. Kein Wunder, dass beim strikten Schweigegebot dem Kopieren von Handschriften eine wichtige Rolle zukam. Unter den originalen Handschriften verdient der erste Bibliothekskatalog der Kartause, 1466/70 auf Pergament verfasst, besondere Beachtung. Da Handarbeiten zum Aufgabenbereich der Kartäuser gehörten, waren Buchbinder, Uhrmacher, Schreiner oder Maler unter ihnen.

Mainzer Kartause Chorgestühl
Karyatide aus dem Chorgestühl der Mainzer Kartause, 1723/26. © Foto: Rita Heyen

Ebenso prächtig wie ihre Kirche statteten die Mainzer Kartäuser um 1750 ihren erneuerten hoch gewölbten, breiten Kreuzgang aus. Sieben überlebensgroße Steinskulpturen des Nikolaus Binterim, der um 1746 nach Mainz kam und zum Hofbildhauer des Erzbischofs und Kurfürsten aufstieg, bevölkerten die Ecken. Nebst Kartäuserheiligen treten Johannes der Täufer, Michael und der Gute Hirte auf.

Letzterer und „Maria Immaculata“ sind als Reproduktionen zu sehen. Alle Wände wurden des Kreuzgangs wurden um 1750/53 mit insgesamt 80 Leinwandgemälden sowie Supraporten versehen. Die großformatigen Bilder schilderten Leben und Wirken Jesu Christi, ergänzt um einige alttestamentarische Szenen und eine Steinigung des heiligen Stephanus. Die Mönche zogen auf dem Weg zum dreimal täglichen Chorgebet an diesem opulenten Bilderkosmos vorbei.

Es ist erstaunlich, dass die Kartause dieses extremen, in strenger Abgeschiedenheit lebenden Ordens im 18. Jahrhundert zu einem veritablen Touristenziel avancierte. Der Artillerie-Hauptmann Johann Christoph von Stoevesandt besuchte während seiner Rheinreise das Kloster gar zweimal, so angetan war er von den Kreuzgang-Gemälden, die er 1769 in seinen „Anmerkungen von einer dritten Reise am Rhein“ hervorhob. Kein Wunder, denn der Zyklus gilt als die umfangreichste Bilderfolge des Mainzer Barocks.

Schöpfer der Bilderserie Georg Joseph Melbert, der, sonst kaum beachtet, um 1744 aus dem österreichischen Enns nach Mainz kam. Hier arbeitete er 1752 als Wappenmaler des Domkapitels, und steuerte den Schmuck von aufwendig gestalteten Urkunden bei. Melbert realisierte Festdekorationen und erwarb als Kunstagent 1785 Gemälde für Erzbischof Friedrich Karl von Erthal. Seinen leicht manierierten Figurenstil kennzeichnen die fünf in der Ausstellung vereinten monumentalen Kreuzgang-Gemälde aus dem Bestand des Dommuseums. Unter anderem schildern sie die Auferweckung der Tochter des Jairus, die Heilung des Kranken am Teich von Bethesda sowie jene zweier Besessener von Gadara, die Versuchung Jesu und das Gleichnis von den bösen Winzern. Drei der jeweils 269 mal 175 Zentimeter großen Leinwände hat Schwester Johanna Stüer, Diplom-Restauratorin und Nonne der Benediktinerinnenabtei Engelthal mit ihrem Team in zweijähriger Arbeit restauriert. Sie leitet in ihrem Kloster die Restaurierungswerkstatt des Bistums Mainz.

Kelch aus dem Kirchenschatz der Mainzer Kartause
Franz Ignaz Berdolt (um 1669–1762), Kelch aus dem Kirchenschatz der Mainzer Kartause, um 1715/16. © Foto: Hildegard Lütkenhaus

In der Ausstellung gesellen sich zu drei restaurierten Gemälden – gleichsam als Sehschule zum Vorher-Nachher-Zustand – weitere noch nicht restaurierte Leinwände aus dem Zyklus. Die Schäden entstanden großenteils durch unsachgemäße Lagerung und Transport. In Fotofolgen sind die Restaurierungsschritte festgehalten, bis das Bild zuletzt wieder makellos aussieht.

Erzbischof Friedrich Karl von Erthal, der die Auflösung mehrerer wohlhabender Klöster veranlasste, darunter die Mainzer Kartause, blickt uns auf einem Porträt nach Friedrich Heinrich Füger an. Papst Pius VI. billigte die Aufhebung am 24. August 1781, am 15. November erhielten die Kartäuser die niederschmetternde Nachricht. Die von Friedrich Karl eigenhändig unterzeichnete Handschrift liegt jetzt im Original aus. Das Klostervermögen wurde beschlagnahmt und zugunsten der Universität in einen Fonds übertragen, der als Stiftung bis heute besteht. Die Kartäuser hatten die Möglichkeit, in die Kartause nach Erfurt zu wechseln oder als Weltgeistliche mit einem jährlich garantierten Einkommen von 250 Gulden zu leben. Im Oktober 1782 verließen die 17 verbliebenen Patres die Kartause. Das Inventar wurde versteigert.

Christian Georg Schütz d. Ä. hat Schloss Favorite und die Kartause noch 1784 auf einem Gemälde festgehalten. Vier Jahre später kaufte Erzbischof Erthal den Baukomplex samt Weinbergen für 83.000 Gulden von der Universität zurück, ließ Kirche und Kreuzgang niederreißen, um im Verbund mit dem Garten des Lustschlosses Favorite einen Landschaftspark zu errichten. Im Zuge der Belagerung von Mainz 1793 wurden die Favorite und die Reste der Kartause komplett geschleift. Wo einst die Kultur blühte steht heute das Parkhotel Favorite. Nur die 1911/12 errichtete Wohnsiedlung „Kartaus“ und ein Straßenname erinnern noch schwach an das einst berühmte Kloster.

Service

AUSSTELLUNG

„Die älteste deutsche Kartause. 700 Jahre Kartäuserkloster Mainz“

Bischöfliches Dom- und Diözesanuseum Mainz,

bis 10. März 2024

dommuseum-mainz.de

LITERATUR

„Die Kartause von Mainz. Kunst und Geschichte des ältesten Kartäuserklosters in Deutschland“

hrsg. von Gerhard Kölsch und Christoph Winterer, 2021,

Nünnerich-Asmus Verlag,

192 Seiten, 20 Euro

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