Vom Guglie-Ufer bis ins Castello-Viertel

Wir besuchen das historische Ghetto mit den Synagogen, bestaunen den jüngst restaurierten Palazzo Diedo und lassen den Abend mit einem Aperitif im Caffè Lavena ausklingen 

Heute erlaufen wir die Stadt von der Cannaregio-Seite her und besuchen zunächst das historische „Ghetto“-Viertel. Wenn man dies vom Guglie-Ufer aus betritt, kommt man an der alteingesessenen Bäckerei Giovanni Volpe vorbei, die köstliches koscheres Mandelgebäck anbietet. Das Jüdische Museum wird im Nachgang der 500-Jahr-Gedenkfeier zur Ghettogründung bis zum Winter 2025 erneuert und erweitert, aber auch der verkürzte Rundgang bietet eine gute Einführung zur wechselvollen Geschichte der Juden in Venedig. So erhält man unter anderem Zutritt in die große Scola Ponentina oder Spagnola, die im 17. Jahrhundert vermutlich von dem berühmten Architekten Baldassare Longhena fertiggestellt wurde, der auch die Salute-Kirche erbaut hat. Um die Mittagszeit locken die vielen Bars und Restaurants an den angrenzenden Kanälen zwischen Canal Grande und Nordlagune, besonders beliebt ist das Paradiso Perduto, das einige Tische draußen am Kanalufer hat und bei dem sich Venezianer, die mit Ruderbooten vorbeifahren, mit cicheti & spritz versorgen. Wer es ruhiger mag, kehrt bei Tommaso Sichiero in der Trattoria alla Palazzina am Guglie-Kanal ein, bei schönem Wetter sitzt man hier herrlich unter den Glyzinien im Innenhof.

Wenn man schon am Guglie-Ufer ist, liegt der Besuch der neusten Attraktion in Cannaregio nahe. Wir laufen über die Strada Nuova in Richtung Rialto zum Palazzo Diedo am Campo Santa Fosca, einem riesigen Palast, der um 1710 bis 1720 von dem Baumeister Andrea Tirali erbaut wurde und auf fünf Stockwerken mit einer Oberfläche von rund 4.000 Quadratmetern zwei hohe Hauptgeschosse und ein Mezzaningeschoss umfasst. Nach jahrelangem Leerstand wurde das Gebäude von der Stiftung Berggruen Arts & Culture mit dem venezianischen Architekten Silvio Fassi umfangreich renoviert und zur Kunstbiennale 2024 erstmals dem breiten Publikum vorgestellt. In diesem Jahr kann man neben der Ausstellung „The Next Earth. Computation, Crisis, Cosmology“, kuratiert von Benjamin Bratton, Nicholas de Monchaux und Ana Miljacki (bis 23. November 2025), einem offiziellen Collateral-Event der Architekturbiennale, auch einige der In-Situ-Installationen sehen, die Nicolas Berggruen mit dem venezianischen Direktor Mario Codognato in Auftrag gegeben hat. Spektakulär ist Carsten Höllers „Venice Inclined Oval Staircase“, welche die beiden Hauptgeschosse miteinander verbindet. Geschaffen nach dem Vorbild der scala ovata, der muschelförmigen ovalen Wendeltreppe des venezianischen Renaissancebaumeisters Andrea Palladio, bewirkt sie durch eine innovative Neigung um fünf Grad eine kaum sichtbare, aber deutlich spürbare Unsicherheit. Aber auch die Installation „Omen“ von Urs Fischer mit 600 gläsernen verspiegelten Tropfen von Berengo Studio auf Murano, die Deckengemälde verschiedener Künstler im Erdgeschoss – inklusive des Kassenbereichs – und die Fußbodengestaltung des in Los Angeles lebenden Neapolitaners Piero Golia lohnen den Besuch (das Mezzaningeschoß ist derzeit nicht geöffnet, dort soll ein Café entstehen).

Tessa Mars Arbeit „a call to the ocean“ von 2025 ist Teil der Ausstellung „otras montañas, las que andan sueltas bajo el agua“ im Ocean Space in Venedig.
Tessa Mars Arbeit „a call to the ocean“ von 2025 ist Teil der Ausstellung „otras montañas, las que andan sueltas bajo el agua“ im Ocean Space in Venedig. © Photo: Jacopo Salvi

Anschließend geht es weiter vom Rialto bis ins Castello-Viertel, wo unweit des Arsenales die Renaissancekirche San Lorenzo liegt. Hinter der schlichten, unfertigen Backsteinfassade verbirgt sich ein enormer doppelter Kirchenraum, der mehr hundert Jahre geschlossen war und nun von der TBA21 Academy Wien als Ausstellungsraum genutzt wird. Francesca Thyssen Bornemitza fördert Ozeanforschung und Aufklärung über den prekären Zustand der Weltmeere und hat in Venedig mit „Ocean Space“ einen Ort der Begegnung zwischen Wissenschaft und Kunst geschaffen. Zur Freude der Venezianer und insbesondere der Anwohner ist der Eintritt frei und sorgt für eine gute Durchmischung des Publikums. Wir lassen den Abend am nahe gelegenen Markusplatz ausklingen, wo wir einen Aperitif im Caffè Lavena einnehmen. In diesem traditionsreichen Kaffeehaus, das schon Richard Wagner besuchte, treffen sich die Venezianer am frühen Abend an der langen Bar auf einen Drink im Stehen. Von draußen schwappt die Salonmusik hinein, Kellner in Livree eilen vorbei, und Direktor Massimo Milanesi bereitet den besten Cocktail Americano der Stadt zu.

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