Potsdamer Straße 2016

Sie ist der Punk der Kunstszene: Zwischen Wettbüros und edel sanierten Häusern ist eine Vielfalt von Galerien entstanden. Eine Mischung, die ebenso wild wie arrangiert wirkt

Ernst Wilhelm Nays »Meteor« von 1964 bei Aurel Scheibler (VG Bild-Kunst Bonn 2016)
Ernst Wilhelm Nays »Meteor« von 1964 bei Aurel Scheibler (VG Bild-Kunst Bonn 2016)

Die Potsdamer Straße ist bekannt wie ein bunter Hund, jeder glaubt sie zu kennen. Dabei verändert sie sich stetig: Neue Geschäfte kommen, etablierte Galerien zieht es woanders hin. Wer die »Potse« und ihre Seitenarme durchläu und sich vor-nimmt, genauer hinzuschauen, der entdeckt einen Ort voller Überraschungen.
Eine erste wartet an der Neuen Nationalgalerie. Sie ist immer noch wegen umfangreicher Sanierungen zu, auch wenn es nicht mehr mit großen Lettern an der Tür steht. Aber das ist die Gelegenheit, das Glashaus von Mies van der Rohe zu umrunden und sich einen Blick von oben in den Skulpturengarten zu gönnen. Ein Kleinod mit Werken von Marino Marini, Otto Herbert Hajek und anderen Bildhauern. Treue Besucher der Galerie Loock in der Potsdamer Straße 63 erinnern sich vielleicht daran, dass die Künstlerin Holly Zausner in ihrem Video »Unseen« von 2007 in dem Garten einem Tiger begegnet ist.

Von hier geht es über die Potsdamer Brücke nach rechts das Schöneberger Ufer entlang, wo gleich mehrere Galerien siedeln. Im Haus Nummer 65 etwa Esther Schipper, die zum Gallery Weekend Tomás Saraceno zeigt – den Künstler, der sich lauter Spinnen in seinem Atelier hält, ihnen bei der Arbeit zusieht und anschließend begehbare Netze konstruiert wie 2011 im Hamburger Bahnhof. Eine Etage höher trifft man auf Barbara Wien. Ab dem 29. April stellt sie zum ersten Mal Michael Rakowitz mit einem Projekt aus, für das er die geraubte Sammlung aus dem Nationalmuseum in Bagdad rekonstruiert.

Blain Southern Galerie
Blain Southern gehört zu den Platzhirschen auf der Potsdamer Straße

Ein paar Häuser weiter pflegt in der Hausnummer 71 Galerist Aurel Scheibler in seinen Räumen ein großes Erbe. Sie dienten in den Zwanzigerjahren erst Ferdinand Möller und später den Brüdern Nierendorf als Galeriestandort. Mit seiner Ausstellung zum Gallery Weekend feiert er zugleich sein 25-jähriges Bestehen – eindrucksvoll klassisch mit der Werkreihe der »Augenbilder« von Ernst Wilhelm Nay, die ab 1963 entstanden.

Zurück zur Potsdamer Straße. Man passiert die Galerien Michael Janssen und Circle Culture, die sich im zweiten Hinterhof der Hausnummer 68 versteckt, und landet in jenem Maschinenraum, der die Entwicklung dieser Straße zum hippen Kunststandort antreibt.
Die Fäden laufen nach wie vor auf dem ehemaligen Tagesspiegel-Gelände zusammen, wo sich die Galerien ballen.
Jede ist einen Besuch wert, von Thomas Fischer über 401contemporary oder Jarmuschek bis hin zu Akim Monet mit Klassikern wie
Skulpturen von Auguste Rodin. Platzhirsche sind jedoch allein schon von
der Größe Blain Southern, die mit Harland Miller einen eigensinnigen Maler der Gegenwart präsentieren. Und Judin, deren Ausstellung kaum weniger spektakulär ausfällt: Uwe Wittwer beschäftigt sich mit jenen Gemälden des Berliner Kaiser-Friedrich-Museums, die im Zweiten Weltkrieg aus dem Flakbunker Friedrichshain verschwunden sind.

Aleksandra Domanović, »Substances of Human Origin« (2015) bei Tanya Leighton
Aleksandra Domanović, »Substances of Human Origin« (2015) bei Tanya Leighton

Wir verlassen das Areal und würden gern wie in den vergangenen Jahren Matthias Arndt besuchen. Doch der ist aus seiner Galerie überm Wintergarten in die Fasanenstraße gezogen. Wer bis zur Hausnummer 97 läuft, wird mit der Galerie Helga Maria Klosterfelde belohnt, die in einen ehemaligen Schreibwarenladen gezogen ist. Zum Glück, denn die alte Ladeneinrichtung blieb erhalten und passt hervorragend zu den Editionen der Galerie: Beides handelt von und mit Papier. Zurzeit ist Rirkrit Tiravanija zu sehen.

Schräg gegenüber hat Florian Schmid in der Potsdamer Straße 102 mit 6 FS. Art einen Showroom in seiner Altbauwohnung. Hier sind zum Gallery Weekend die dynamischen Skulpturen von Wolfgang Flad aufgestellt. Die VictoriaBarim selben Haus sollte man sich unbedingt für den Abend merken. Für eine Pause am Nachmittag bietet sich ein Abstecher nach rechts in die Les Climats ist ein wunderbares Weinlokal mit kleinen Speisen, Zeitschriften und natürlich Kaffee. Die neue Location aus demselben Haus, eine Brasserie, soll bald eröffnen – neben der Victoria Bar! Wir bleiben auf der Pohlstraße und folgen ihr bis zur Hausnummer 64. Die Galeristin TanjaWagner überzeugt hier mit künstlerischen Solitären wie Ulf Aminde, der zum Gallery Weekend neue, gesellschaftskritische Arbeiten zeigt.

Zurück auf die Potsdamer Straße geht es dann nach links zu Tanya Leighton. Sie stellt mit Sanya Kantarovsky und danach Aleksandra Domanović span-nende Kunst aus dem einstigen Ostblock aus. Nicht verpassen sollte man schließlich die 11 Kunstsaele (Bülowstraße 90) – eine private Initiative, in der aktuell die Ausstellung »French Connection« zu sehen ist.

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Die Galerie Helga Maria Klosterfelde in einem ehemaligen Schreibwarenladen
Die Galerie Helga Maria Klosterfelde in einem ehemaligen Schreibwarenladen

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