Vor zwei Jahrhunderten verdrehte ein Dorf in den Sabiner Bergen bei Rom den deutschen Romantikern den Kopf. Wer sich heute auf die Suche begibt, entdeckt die Spuren der einstigen Künstlerkolonie und viele berühmte Blicke
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13.01.2023
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 208
Die Auffahrt nach Olevano, entweder im Bus von Rom oder im eigenen Auto, ist weniger romantisch als damals. Das typische Serpentinengegurke, man hat keine Zeit für weite Blicke, von Richter’schen Feigen oder Trauben kann man nur träumen. Kommt man an der Bar Belvedere an, vor der Greifautomaten mit traurigen Kuscheltieren stehen und in der träumende Kellnerinnen Café und Spumante verteilen, hält der Mythos Mittagsschläfchen – genau wie von Zeit zu Zeit die alten Männer auf dem schattigen Platz daneben. Doch steigt man durch die Stadt ganz nach oben auf die Burgruine, kommt einem der Gedanke, ob das teilweise uralte Mauerwerk der Häuser nicht schon die Maler damals gesehen haben könnten? Ja, haben sie, siehe Johann Joachim Faber, „Olevano“ (1826).
Oben auf der Ruine, in mittäglicher oder abendlicher Lichtstimmung über das Land schauend, meint man endlich die gesamte deutsche romantische und postromantische Italienmalerei auf einen Blick zu haben. Die Berge, die Olivenhaine, die Felsen, die feinen Rauchwolken aus den Schornsteinen der Häuser im Tal. Die italienischen Farben Rostrot und Sandgelb, Knallblau und Fahlgrün. Und vielleicht hört man von Ferne eine Ziege meckern.
Als erster deutschsprachiger Künstler besuchte der klassizistische Maler Joseph Anton Koch um 1803 Olevano und popularisierte das Dorf durch seine in der Heimat kursierenden Werke. Er heiratete sogar eine Frau aus dem Ort. Doch nicht nur ihm ging Olevano ins Leibliche über, der Maler Franz Theobald Horny, heute eine Legende, ist sogar hier gestorben. Mit nur 26 Jahren wurde er in der Kirche beigesetzt, zwei Minuten von der Burgruine entfernt. Auf der Grabplatte steht sein Name italianisiert: Francesco Teobaldo Horny.
Schaut man von der Ruine nach Südosten, sieht man rechts vor dem Monte Serrone das weiße Haus der Casa Baldi, das damals den Künstlern Kost und Logis gewährte und heute Stipendiaten der Villa Massimo beherbergt. Vor 200 Jahren war die Gegend gefährlich, der Gelehrte Carl Friedrich von Rumohr wurde dort von raubenden Briganti überfallen, was in Deutschland hohe Wellen schlug, und der Schweizer Maler Friedrich Salathé sogar entführt. Danach brach eine regelrechte Briganti-Mode los, und gelangweilte deutsche Bürger hielten es für einen lustigen Spaß, bei der Italienreise auch mal ein bisschen überfallen zu werden.
Die Briganti sind heute verschwunden, aber neben den Berglinien, einigen Gebäuden und dem alten Mauerwerk Olevanos hat sich etwas anderes erhalten: Bäume. Schaut man südöstlich nach links, sieht man die Villa Serpentara, eine von der Villa Massimo verwaltete Außenstelle der Berliner Akademie der Künste, umgeben von knapp 100 Eichen, die den deutschen Künstlern Mitte des 19. Jahrhunderts so ans Herz gewachsen waren, dass sie sie durch Kauf vor dem Abholzen retteten und später dem deutschen Kaiser schenkten – ein winziger und eher gemütlicher Teil deutscher Kolonialgeschichte. Unter den Eichen wurden Künstlerporträts teils in die Felsen gehauen, teils als Reliefs angebracht; beeindruckend ist Anton Kochs lächelndes Profil, es ist verrieben, aber deutlich zu erkennen.
Nach Kochs heroischen Landschaften oder auch idealisierten Darstellungen à la Wilhelm Wach, siehe seine hübsche „Candida Mampieri“ vor den Sabiner Bergen (circa 1817–19), deren Nachfahren immer noch in Rom und Umgebung leben, ging es dann in den 1820er-Jahren mit Heinrich Reinhold – „Landschaft bei Olevano“ (1822) – und Johann Joachim Fabers „Olevano“ (1826) stärker in die Malerei vor Ort, unter freiem Himmel. Das gefiel auch Friedrich Nerly, er malte um 1830 unter anderem die Felsen und felsigen Hänge bei Olevano. Seine Studien werden jetzt im Angermuseum Erfurt aufgearbeitet.
Auch Camille Corot, der Erneuerer der französischen Kunst, reiste hierher – er und seine Kollegen mischten sich kaum je mit den deutschen Malern, Befangenheit und Feindschaft belasteten die Beziehung. Dabei gehört Corots „Ansicht von Olevano“ (1827) in ihrer modernen Reduziertheit zum Besten, was hier gemalt wurde.
Aus Olevano wurde in diesen Jahrzehnten eine richtige deutsche Künstlerkolonie, ein Freilichtmalerei-Labor, das auch Karl Friedrich Schinkel in Berlin begeisterte. Er kaufte Reinholds und Fabers Studien; aus seiner Sammlung fanden sie letztlich in den Bestand der Hamburger Kunsthalle. Noch ein gutes Jahrzehnt später kamen dann Johann Wilhelm Schirmer und Carl Hummel; legendär leer mutet Schirmers um 1840 geschaffenes Gemälde „Saccotal“ an, er überwand die pittoreske Kleinteiligkeit, und Hummels „Blick über die Berge bei Civitella“ (circa 1842/46) blieb kühn unfertig.