Derzeit blickt eine Kunstausstellung des Deutschen Bundestags auf 75 Jahre Grundgesetz. Wir sprachen mit Bundestagspräsidentin Julia Klöckner über die Rolle des Kunstbeirats, den Andachtsraum von Günther Uecker und das Verhältnis von Kunst und Demokratie
ShareDie Kunstsammlung unseres Deutschen Bundestages ist groß. Es ist eine weltweit einmalige Sammlung, die sich mitunter auch kritisch mit der Arbeit von uns Parlamentariern auseinandersetzt. Diesen Dialog zwischen Politik und Kunst halte ich für wichtig, weshalb im sogenannten Kunstbeirat auch alle Fraktionen mit am Tisch sitzen, wenn etwa über Neuankäufe, Restaurationen oder Auftragsarbeiten entschieden wird. Für mich besonders beeindruckend ist der Andachtsraum von Günther Uecker auf der Plenarsaalebene. Es ist ein überkonfessioneller Andachtsraum, in dem Abgeordnete in Sitzungswochen Andachten besuchen oder sich zurückziehen können, um innezuhalten. Der Raum wird gut genutzt, was auch am Kunstkonzept von Günther Uecker liegt. Er hat es mit seinen ungewöhnlichen und großen Nagelbildern geschafft, einen Raum der Stille zu schaffen, der gleichzeitig Offenheit und Klarheit ausstrahlt. Es ist ein außergewöhnlicher Ort der Inspiration. Insbesondere für ein Parlament, das ja vordringlich ein Arbeitsplatz ist.
Das Wichtigste in meinem Büro ist sicher der Schreibtisch, mein Laptop und Handy. Aber natürlich ist es ein Privileg, dass allen Abgeordneten die Möglichkeit offensteht, Werke aus der Kunstsammlung unseres Bundestages für die Diensträume auszuleihen. Bei mir hängt beispielsweise eine großartige Arbeit von Silke Weyer: ein pinkfarbenes Gemälde, das ein Karussell in voller Fahrt andeutet – voller Energie und auch Lebensfreude. An einer anderen Wand hängt eine Fotografie von Friederike von Rauch, die einen zunächst nicht zuordbaren Raum zeigt. Es handelt sich um eines der Torhäuser am Brandenburger Tor, das nicht weit von meinem Büro steht. Vor dem Bild steht die Skulptur „Haus im Haus“ von Basilius Kleinhans, die für mich sinnbildlich für das Hohe Haus, also unser Parlament, und meine Aufgabe als Bundestagspräsidentin steht. Im Amtshaus plane ich, der Kunst von Frauen mehr Aufmerksamkeit und Raum zu geben.
Im Jahr 2024 haben wir das 75. Jubiläum unseres Grundgesetzes begangen. Das ist der Anlass für diese Ausstellung und die Auftragsarbeiten. Die Ausstellung ist ein gutes Beispiel für das, was ich eingangs ansprach: Wir verstehen Kunst als Dialogpartner, der frei ist in seinem Schaffen und seiner Wahrnehmung. Und wer das ist, der muss und soll auch irritieren dürfen und kritisch sein. Dass wir darüber diskutieren können, wie die Buchstaben des Grundgesetzes konkret ausgelegt und gelebt werden und wo es auch Defizite gibt, unterscheidet uns von autoritären Systemen, in denen Kunst in der Regel nur Mittel zum Zweck ist. Bei uns herrscht die Freiheit der Kunst und der Künstler. Die neunzehn Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und der Welt zeigen eine große Palette an Themen und Möglichkeiten, über unsere verfassungsgemäßen Freiheiten nachzudenken. Nicht im illustrativen Sinne, sondern sehr kritisch, aufrüttelnd, manchmal heiter, manchmal sehr provokant.
Die neunzehn Arbeiten sind vielschichtig – wenn man sich auf sie und die Geschichte dahinter einlässt, berührt wirklich jede Arbeit. Stellvertretend möchte ich das Werk der israelischen Künstlerin Ilit Azoulay nennen. Sie hat Artikel 4 – die Garantie der Glaubens- und Religionsfreiheit – bearbeitet und dafür eine digitale Fotocollage mit großer Ausstrahlung geschaffen. Ausgangspunkt ihrer Arbeit sind Objekte, die Archäologen im Heiligen Land gefunden haben. Sie sind als rituelle Objekte klassifiziert und dienten den Menschen seinerzeit zur Religionsausübung. Welcher konkreten Religion sie zuzuschreiben sind, ist allerdings nicht bekannt. Sie sind, so sagt es Azoulay, noch „unschuldig“, können von niemanden für sich in Anspruch genommen werden. Das Ganze kombiniert sie mit einer Fotografie aus einem Jerusalemer Bus aus den 1950er-Jahren. Darauf zu sehen sind arabische und jüdische Menschen, die erkennbar unterschiedliche Richtungen des Judentums repräsentieren. Sie sind miteinander auf dem Weg. Das ist ein beindruckendes Symbol für die vereinende Kraft von Religionen, aber auch für deren Unterschiedlichkeit und das Konfliktpotenzial, wenn sie in Abgrenzung zueinander gesetzt werden.
Kunst ist im besten Fall immer ein Angebot an den Betrachter, über Themen ins Gespräch zu kommen. Kunst hat Kraft und kann illustrieren. Sie ist alles andere als Alltag, weil sie Gedanken und Gefühle komprimiert ausdrückt und das auch bei den Betrachtenden hervorrufen kann. Das ist bei diesem Projekt ganz genauso. Ein Beispiel: Was sagt Schülerinnen und Schülern wohl Artikel 13 als Gesetzestext? Dass Wohnungen unverletzlich sind, heißt es da. Eine von vielen möglichen Betrachtungsweisen dieses Artikels nimmt die Künstlerin Uli Aigner ein. Sie widmet ihre Porzellaninstallation den Wohnungslosen, also jenen, die gar keine Wohnung und damit keinen persönlichen Schutzraum haben, der unter Artikel 13 fällt. Es geht um die Auseinandersetzung mit unseren Grundrechten. Sie sind gesetzlich garantiert. Verstanden und gelebt werden müssen sie aber von jedem Einzelnen. Zum diesem Verstehen und Ermessen ihrer Bedeutung kann Kunst einen großen Beitrag leisten.
Ich mag die Holzskulpturen von Frank Leske oder die skizzenhafte Malerei von Walter Brusius, mit ihm habe ich bereits zusammengearbeitet für mein Buch zu Bibeltexten. Interessant finde ich die Werke von Stefan Strumbel, er bedient sich traditioneller Motive wie Kuckucksuhren, und auf einer abstrakten Ebene setzt er sich hinterfragend mit dem Thema „Heimat“ auseinander. Besonders gefreut habe ich mich jüngst auch über ein Bild von Paul Schrader, einem Hamburger Künstler, das mir Freunde zur Wahl als Bundestagspräsidentin geschenkt haben.
„Wir – 19 Grundrechte. 19 künstlerische Positionen. Ein Gesprächsraum“
Forum Kunst im Bundestag, Berlin
22. Mai 2025 bis 21. Juni 2026