Interview mit Hans Schöpflin

„Das Leben gibt es ja nicht ohne Kunst“

In der Kunst- und Begegnungsstätte Spore treffen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Kontexten aufeinander – und finden Austausch auf Augenhöhe. Der Gründer Hans Schöpflin verrät uns im Gespräch, wie das Projekt begann und warum er keine klassische Sammlung hat

Von Tim Ackermann
24.01.2025

In Ihren Worten klingt ein Schicksalsschlag an, der Ihr Leben verändert hat und mit dem Sie aber in Gesprächen offen umgehen.

Ja, ich spreche das offen an, aus einer Verantwortung heraus. Unser Sohn ist 1995 an einer Überdosis Heroin gestorben. Er war damals 19 Jahre alt. Das hat viele Fragen aufgeworfen. Zwei Jahre lang habe ich mich zurückgezogen, mir diese kritischen Fragen gestellt. Ich habe mich in dieser Zeit mit Buddhismus auseinandergesetzt, der im weitesten Sinne eine reine Lehre der Ökologie ist, in der die Menschen und die Natur miteinander verbunden sind. Darüber habe ich eine neue Orientierung gefunden – und erkannt, dass der finanzielle Erfolg kein Selbstzweck ist, sondern dass ich dem Geld einen Sinn geben muss. Dazu kommt, dass ich zwar gut gelebt habe, aber der Konsum an sich mich nie wirklich interessiert hat. Das hat es sicherlich einfacher gemacht, da ich mein Leben nicht grundlegend verändern musste.

Das war also der Moment, in dem Sie beschlossen haben, sich zu engagieren?

Ja, denn mir wurde bewusst, dass Akkumulieren nur Sinn ergibt, wenn ich auch wieder etwas zurückgebe. Das war die grundsätzliche Erkenntnis. Es hört sich vielleicht komisch an, wenn ich das so sage, aber das war für mich eine Chance. Wir würden wahrscheinlich hier nicht sitzen, wenn ich diese Tragödie in meiner Familie nicht erlebt hätte.

Mit der Spore Initiative haben Sie nun in Berlin ein dauerhaftes Haus des Austauschs geschaffen, das über Kunstausstellungen und Präsentationen die Perspektiven indigener Communities auf der ganzen Welt vorstellt. Was hoffen Sie, mit diesem Ort zu erreichen?

Es geht, wie Sie schon sagen, um den Austausch. Um das Zusammentreffen von Menschen, die sich normalerweise nicht begegnen würden. Die Bereitschaft, miteinander zu sprechen, ist die Voraussetzung, und der Dialog darf nicht mit erhobenem Zeigerfinger stattfinden, sondern muss wirklich auf der vielgepriesenen Augenhöhe stattfinden. Denn ich versprechen Ihnen: In anderen Teilen der Erde schlummert ein enormer Wissensschatz, der hier noch gar nicht gesehen oder wahrgenommen wird.

Aus der Ausstellung „Xook Kiin. Perceiving Temporalities“
Aus der Ausstellung „Xook Kiin. Perceiving Temporalities“. © Foto: Marvin Systermans. Spore Initiative

Wie zeigen Sie diesen Wissensschatz?

Indem wir diesen im globalen Norden unterrepräsentierten Communities eine Stimme geben, sie aus marginalisierten Diskursen herausholen und sie dabei vor allem mit Respekt behandeln. Die klassische Stiftungsarbeit sieht meist so aus, dass die Förderer mit viel Geld in die Communities gehen, aber auch gleich ihre Lösungsvorschläge mitbringen und den Menschen gar nicht richtig zuhören. Wir haben diesen Ansatz auf den Kopf gestellt: Bei unserem ersten Projekt mit Maya-Communities in Yucatán zum Beispiel sind wir mit relativ wenig Geld hineingegangen, haben aber viel Neugier mitgebracht. Wir haben gesagt: „Das ist interessant, was Ihr macht. Woran arbeitet Ihr gerade? Habt Ihr Bedürfnisse, bei denen Ihr Unterstützung gebrauchen könntet?“ So kommt man ins Gespräch und daraus entsteht dann vielleicht ein gemeinsames Projekt, das sich weiterentwickeln lässt.  

Wie mündet dieser Ansatz dann in Kunstausstellungen?

In den Communities, in denen wir uns engagieren, leben auch immer Künstlerinnen und Künstler, die dann natürlich auch von Anfang an in den Prozess mit eingebunden sind. Das Leben gibt es ja nicht ohne Kunst. Oder anders gesagt: Wir bezeichnen es als Kunst, aber für die Menschen dort ist es Alltag. Und so ist eben eine intensive Zusammenarbeit entstanden, unter anderen haben wir auch Künstlerinnen und Künstler hier in die Spore eingeladen. Da wurden Dinge entwickelt, die einmalig sind. Werke, die auch nicht verkauft werden, sondern den Kunstschaffenden noch immer gehören.

Was passiert nach der Ausstellung mit diesen Kunstwerken?

Manche Werke wie die Wandmalereien lassen sich natürlich nicht konservieren. Aber andere gehen in die Communities zurück und wandern dort von Gemeinde zu Gemeinde, wo sie gezeigt werden. Und die Menschen wissen, dass die Werke auch hier in Berlin gesehen wurden. Das setzt eine große Kraft frei und sorgt für Respekt auf beiden Seiten. Das ist, glaube ich, das größte Geschenk, das wir uns gegenseitig machen können. Die Menschen fühlen sich gesehen. Gleichzeitig erkennen wir in Ausstellungen über indigene Praktiken, dass wir selbst noch sehr viel lernen können. Vor allem über den bewussten Umgang mit der Natur. Das Lernen hört ja nie auf. Deshalb ist es mir auch wichtig zu betonen: Wir sind kein Museum und auch keine Galerie, in der eine Ausstellung ein Anfang und ein Ende hat.

Aus der Ausstellung „U Juum Báalam Kaab. Das Summen der Wächterbiene“
Aus der Ausstellung „U Juum Báalam Kaab. Das Summen der Wächterbiene“. © Foto: Marvin Systermans, Spore Initiative

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