In der Kunst- und Begegnungsstätte Spore treffen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Kontexten aufeinander – und finden Austausch auf Augenhöhe. Der Gründer Hans Schöpflin verrät uns im Gespräch, wie das Projekt begann und warum er keine klassische Sammlung hat
ShareAn einer der verkehrsreichsten Straßen im Berliner Stadtteil Neukölln, direkt in der alten Einflugschneise des aufgegebenen Flughafens Tempelhof, befindet sich eine Oase der Ruhe und Kontemplation. Das Äußere des modernen Gebäudes mit seiner Fassade aus hellroten Ziegel- und Betonsteinen, die von Fronten schallschluckender Fenster durchbrochen wird, lässt nicht unbedingt ahnen, was sich im Inneren verbirgt: Das Spore Haus ist ein neuer Begegnungsort mit Ausstellungen, Veranstaltungsprogramm, einer kleinen Bibliothek mit vielen internationalen Bilderbüchern und einem rückseitigen naturnahen Gemüsegarten mit Wildblumenwiese. Die Kunst, die bei Spore gezeigt wird, stammt von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern indigener Gemeinschaften, die darüber ihr Wissen für ein Leben im Einklang mit der Natur vermitteln. So sind bis zum 23. Februar in einem Raum Malereien der indischen Warli-Gemeinde zu sehen, die in Farbe aus Reispaste vielfigurigen Geschichten erzählen und dabei Tradition, Spiritualität und Kenntnisse aus der Landwirtschaft miteinander verweben. Eine zweite Ausstellung widmet sich dem Thema „Wasser“, unter anderem mit künstlerischen Beiträgen aus Kurdistan. Erdacht wurde Spore vom Unternehmer und Philanthropen Hans Schöpflin. Wir haben ihn in Berlin zum Gespräch getroffen.
Es hat viel mit dem Wissen und den Erfahrungen zu tun, die ich in meinem Leben gesammelt habe und auf die ich zurückgreifen konnte, als ich Mitte der Neunzigerjahre begonnen habe, mich zu engagieren. Ich bin Unternehmer, Wagniskapitalgeber und kenne mich damit aus, wie Großkonzerne funktionieren. Zu jener Zeit lebte ich in Kalifornien und habe mich im Bereich des corporate campaigning engagiert – also bei der Frage, wie wir uns mit Großkonzernen auseinandersetzen können, im größeren Kontext der Globalisierung.
Das erste große Thema war für mich: Wasser als common good, als ein Gut also, das dem Gemeinwohl dienen soll. Und das eben nicht eine Ware sein darf mit einem Preis, der nicht für alle tragbar ist. Meine Beschäftigung mit diesem Thema war schon ein Ausdruck eines wachsenden Bewusstseins für andere Menschen, aber eben auch für die Natur. Das Wasser war nur der Anfangspunkt, es ging dann weiter. Wir haben verschiedene Dinge initiiert und ganz unterschiedliche Gegner bekämpft. Im Rahmen meines Engagements habe ich auch indigene Menschen und ihre Sichtweisen und Probleme kennengelernt, hatte irgendwann auch Kontakte in Mexiko. Da hat sich mein Bewusstsein für die Unterdrückten und Misshandelten dieser Welt noch gesteigert. Und so habe ich mich immer stärker mit der Frage beschäftigt, wie man dieses riesige Gefälle zwischen dem Global South und dem Global North ausgleichen kann.
Mit der Panta Rhea Stiftung, die ich Ende der Neunzigerjahre in den USA gegründet habe, sind wir fördernd tätig geworden. Das war nicht als Lobbyismus gemeint, sondern Aktivismus. Panta Rhea bezieht sich auf die Formel panta rhei von Heraklit, der damit sinngemäß sagte: „Alles fließt, alles ändert sich.“ Dieser Gedanken hat mich geprägt. Und dazu gehört auch, in der vordersten Reihe zu stehen.
Correctiv unterstützen wir seit zehn Jahren. Und es ist schön zu sehen, wenn die Förderung dann solche Früchte trägt. Dass Millionen von Menschen auf die Straße gehen. Wer hätte das gedacht, in diesem verschlafenen Deutschland, in dem unter der Kanzlerin Angela Merkel alle Probleme totgeschwiegen wurden.
Ich bin ein politisch denkender Bürger. Der durchaus auch Glück hatte und einiges an Geld verdient hat. Aber ich habe auch Situationen durchlebt, die nicht leicht waren. Welchen Zweck soll das Geld also haben? Ich muss ihm einen Sinn geben, um Dinge wirklich zu verändern.
Ja, ich spreche das offen an, aus einer Verantwortung heraus. Unser Sohn ist 1995 an einer Überdosis Heroin gestorben. Er war damals 19 Jahre alt. Das hat viele Fragen aufgeworfen. Zwei Jahre lang habe ich mich zurückgezogen, mir diese kritischen Fragen gestellt. Ich habe mich in dieser Zeit mit Buddhismus auseinandergesetzt, der im weitesten Sinne eine reine Lehre der Ökologie ist, in der die Menschen und die Natur miteinander verbunden sind. Darüber habe ich eine neue Orientierung gefunden – und erkannt, dass der finanzielle Erfolg kein Selbstzweck ist, sondern dass ich dem Geld einen Sinn geben muss. Dazu kommt, dass ich zwar gut gelebt habe, aber der Konsum an sich mich nie wirklich interessiert hat. Das hat es sicherlich einfacher gemacht, da ich mein Leben nicht grundlegend verändern musste.
Ja, denn mir wurde bewusst, dass Akkumulieren nur Sinn ergibt, wenn ich auch wieder etwas zurückgebe. Das war die grundsätzliche Erkenntnis. Es hört sich vielleicht komisch an, wenn ich das so sage, aber das war für mich eine Chance. Wir würden wahrscheinlich hier nicht sitzen, wenn ich diese Tragödie in meiner Familie nicht erlebt hätte.
Es geht, wie Sie schon sagen, um den Austausch. Um das Zusammentreffen von Menschen, die sich normalerweise nicht begegnen würden. Die Bereitschaft, miteinander zu sprechen, ist die Voraussetzung, und der Dialog darf nicht mit erhobenem Zeigerfinger stattfinden, sondern muss wirklich auf der vielgepriesenen Augenhöhe stattfinden. Denn ich versprechen Ihnen: In anderen Teilen der Erde schlummert ein enormer Wissensschatz, der hier noch gar nicht gesehen oder wahrgenommen wird.
Indem wir diesen im globalen Norden unterrepräsentierten Communities eine Stimme geben, sie aus marginalisierten Diskursen herausholen und sie dabei vor allem mit Respekt behandeln. Die klassische Stiftungsarbeit sieht meist so aus, dass die Förderer mit viel Geld in die Communities gehen, aber auch gleich ihre Lösungsvorschläge mitbringen und den Menschen gar nicht richtig zuhören. Wir haben diesen Ansatz auf den Kopf gestellt: Bei unserem ersten Projekt mit Maya-Communities in Yucatán zum Beispiel sind wir mit relativ wenig Geld hineingegangen, haben aber viel Neugier mitgebracht. Wir haben gesagt: „Das ist interessant, was Ihr macht. Woran arbeitet Ihr gerade? Habt Ihr Bedürfnisse, bei denen Ihr Unterstützung gebrauchen könntet?“ So kommt man ins Gespräch und daraus entsteht dann vielleicht ein gemeinsames Projekt, das sich weiterentwickeln lässt.
In den Communities, in denen wir uns engagieren, leben auch immer Künstlerinnen und Künstler, die dann natürlich auch von Anfang an in den Prozess mit eingebunden sind. Das Leben gibt es ja nicht ohne Kunst. Oder anders gesagt: Wir bezeichnen es als Kunst, aber für die Menschen dort ist es Alltag. Und so ist eben eine intensive Zusammenarbeit entstanden, unter anderen haben wir auch Künstlerinnen und Künstler hier in die Spore eingeladen. Da wurden Dinge entwickelt, die einmalig sind. Werke, die auch nicht verkauft werden, sondern den Kunstschaffenden noch immer gehören.
Manche Werke wie die Wandmalereien lassen sich natürlich nicht konservieren. Aber andere gehen in die Communities zurück und wandern dort von Gemeinde zu Gemeinde, wo sie gezeigt werden. Und die Menschen wissen, dass die Werke auch hier in Berlin gesehen wurden. Das setzt eine große Kraft frei und sorgt für Respekt auf beiden Seiten. Das ist, glaube ich, das größte Geschenk, das wir uns gegenseitig machen können. Die Menschen fühlen sich gesehen. Gleichzeitig erkennen wir in Ausstellungen über indigene Praktiken, dass wir selbst noch sehr viel lernen können. Vor allem über den bewussten Umgang mit der Natur. Das Lernen hört ja nie auf. Deshalb ist es mir auch wichtig zu betonen: Wir sind kein Museum und auch keine Galerie, in der eine Ausstellung ein Anfang und ein Ende hat.
Ich meine damit, dass sich ein Thema oder ein Projekt aus den vorangegangenen Projekten heraus entwickelt. Diese Anreicherung passiert organisch. Das indigene Wissen ist ein erd- und naturverbundenes, globales Wissen. Sie finden da Ähnlichkeiten von Indien bis Yucatán. Und so kann es natürlich vorkommen, dass Kunstschaffende, die bereits an unseren Ausstellungen teilgenommen haben, auch in künftigen Projekten wieder dabei sind.
Ja, aber auch das entwickelt sich und wächst im Gespräch mit den Menschen. Mit Spore wollen wir das indigene Wissen zeigen und es den Menschen, die uns in diesem Haus besuchen, nahebringen. Wir machen daher auch viele Programme für Schulklassen, um dieses Bewusstsein zu vermitteln.
Es kommt schon vor, dass ich doch mal ein Bild oder eine Skulptur erwerbe, vielleicht für die Räume hier oder für mein Haus in Lörrach. Da handeln wir dann auch nicht, sondern zahlen einen fairen Preis. Was ich aber nicht mag, ist der Gedanke einer echten Sammlung, weil ich diese immer mit fensterlosen Katakomben verbinde. Denn sehr viel Kunst sieht nach dem Ankauf nie wieder das Tageslicht!
Ich kaufe, was mich interessiert. Da gibt es keine konzeptuelle Strategie, sondern es ist eher eine eklektische Zusammenstellung: Ich besitze zum Beispiel einige Masken aus dem hohen Norden, vom afrikanischen Kontinent sowie aus dem asiatischen Raum, aber auch moderne Kunst und Gegenwartskunst. Unter anderem habe ich eine Spinnennetzarbeit von Tomás Saraceno gekauft, ein faszinierendes Gebilde. Im Vordergrund steht nicht ein berühmter Name, sondern die reine Ästhetik der Arbeit und die intellektuelle Herausforderung.
Mein Erbe ist geregelt, mein Vermögen wird inzwischen institutionell verwaltet. Wenn ich morgen die Augen zumache, steht das Geld hundertprozentig meinen Stiftungen zur Verfügung. Ich brauche selbst nicht viel zum Leben, ich brauche kein Flugzeug und keine Yacht. Meine jüngste Tochter sitzt in allen Beiräten und wird irgendwann in meine Fußstapfen treten. Zudem haben wir hier in der Spore ein tolles Team. Wichtig ist mir, dass ich über die Stiftungstätigkeit und die Spore mit spannenden Menschen ins Gespräch kommen kann. Für mich gibt es nichts Schöneres.