Atelierbesuch bei Shara Hughes

Eine neue Natur

Furchtlos kombiniert Shara Hughes Stile und Farben. Ob Sonnenuntergang, Kernfusion oder Baumschule, mit ihren leuchtenden Motiven gelingt es der Künstlerin, die Malerei der Gegenwart unter Starkstrom zu setzen. Zu Besuch in ihrem Atelier in Brooklyn

Von Lisa Zeitz
16.07.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 228

Da die Formate ihre Körpergröße überragen, arbeitet sie mit einer Leiter, das sei allerdings, findet sie, physisch anstrengend: auf die Leiter, wieder runter, zurücktreten, schauen, wieder auf die Leiter und so weiter. Deshalb nutzt sie außerdem zwei schwarze Plastikpodeste. Sie stellt sich darauf und zeigt, wie sie sich damit bewegt, indem sie beim Gehen erstaunlich flink die Podeste mit den Füßen verschiebt, ein bisschen so, als hätte sie überdimensionale Plateauschuhe an. „Manchmal benutze ich dafür noch Farbeimer“, sagt sie, „aber wenn sie leer sind, kann man damit schnell ausrutschen.“

Bis 20. Juli sind die neuesten Bilder von Shara Hughes unter dem Titel „Tree Farm“ bei Eva Presenhuber in Zürich ausgestellt. Shara Hughes wuchs in einer Baumschule auf. Hier: „Many Hats“ (2024), 254 mal 127 Zentimeter.
Bis 20. Juli sind die neuesten Bilder unter dem Titel „Tree Farm“ bei Eva Presenhuber in Zürich ausgestellt. Shara Hughes wuchs in einer Baumschule auf. Hier: „Many Hats“ (2024), 254 mal 127 Zentimeter. © Stan Narten, JSP ART PHOTOGRAPHY / courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / Vienna

Gerade beschäftigt sie sich mit einem roten Baum. „Wenn ich mich auf ein Thema reduziere, bringt mich das weiter. Ich bin gespannt, wohin es führen wird, wenn ich diese zentrale Figur als Struktur habe. Ich nehme einen Baum nach dem anderen in den Fokus und mache damit, was ich will.“ Der rote Baum fühlt sich für sie wild an, er ist abstrakter als die anderen. Auf einer weiteren Leinwand hat sie eine Art Trauerweide dargestellt, die Äste in Mint, Gelb und Rosa vor leuchtend rotem Hintergrund. Darunter züngeln blaue Halme aus dem Boden. Der Baum wirkt wie ein Feuerwerkskörper, überschwänglich und doch auch unheimlich, als ob die Landschaft brennt. Dieses Gefühl erzeugt die Kunst von Shara Hughes oft: Optimismus und Apokalypse halten in ihrer Malerei eine eigentümliche Balance, in der die positive Energie, man könnte auch sagen der Spaß, schließlich die Oberhand hat.

Auf einem Bild zeigt sie eine Art Riesenkaktus, dessen Äste in kugeligen Knoten enden. Hat sie dabei an geballte Fäuste gedacht? Sie lacht. „Ja, vielleicht ist er bereit zu kämpfen. Es gibt Wüstenbäume, die so ähnlich aussehen, die hatte ich dabei im Kopf. Ich mag es, dass ich improvisieren kann, es aber trotzdem eine Entsprechung in der Wirklichkeit gibt.“ Kaktusartige Gewächse leiten auf dem Bild in Richtung eines rosa glimmenden Gebirges in die Ferne. Andere Baumbilder verzichten darauf, Tiefe zu suggerieren, so etwa eine Tanne, deren Zweige mit geradezu wütenden Pinselschwüngen nach rechts und links ausladen. Über dem hohen Horizont lässt eine gepunktete Fläche vermuten, dass es schneit.

„Wenn die Action auf der Leinwand passiert, entzieht sich das bis zu einem gewissen Grad meiner Kontrolle“

Die berühmte Kunstkritikerin Roberta Smith hat die Malerei von Shara Hughes in der New York Times einmal mit Hundewelpen verglichen: Ihre Kunst sei laut, übermütig und unwiderstehlich. Das trifft auch auf ihre aktuellen Werke zu. Dabei versteht die Künstlerin es immer wieder, selbstbewusst und unaufdringlich auf die Kunstgeschichte der Moderne anzuspielen. So denkt man bei manchen Partien an van Gogh oder an den späten Ernst Ludwig Kirchner, an Gustav Klimt, an Edvard Munch, David Hockney oder die Farbfeldmalerei von Helen Frankenthaler, die stark verdünnte Ölfarbe manchmal direkt auf die Leinwand gegossen hat. Hughes geht gerne in Museen und würde einerseits gerne den ganzen Tag dort verbringen, andererseits hat sie, kaum in einer Gemäldegalerie angekommen, das Gefühl, „ich muss zurück in mein Studio. Ich bekomme so viele Ideen.“

Geballte Baumpower in Shara Hughes' Gemälde „Come and Get It“ (2024), 254 x 127 cm
Geballte Baumpower in Hughes' Gemälde „Come and Get It“ (2024), 254 mal 127 Zentimeter. © Stan Narten, JSP ART PHOTOGRAPHY / courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / Vienna

Zu Bäumen hat Hughes eine ganz persönliche Beziehung. Als sie und ihre drei Brüder noch Kinder waren, investierte ihr Vater in eine tree farm, eine Baumschule. Ihre Kindheit und Jugend hat sie im heißen, sandigen Süden von Georgia unter duftenden Kiefern erlebt. „Es ist wunderschön dort. Der Forst war eine Nebeneinkunft für meinen Vater, der eigentlich Arzt ist. Als wir groß waren, hat er dann Holz verkauft, um unsere Ausbildung am College zu bezahlen.“ So haben die Bäume auch das Kunststudium von Shara Hughes finanziert. Als sie und ihre drei Brüder alt genug waren, hat jeder von ihnen außerdem 200 Morgen, das sind 50 Hektar, erhalten. „Ein paar von uns haben die Bäume stehen lassen, ein paar haben Bäume fällen lassen und neue gepflanzt.“ Spezielle Bäume hat sie auf ihren neuen Bildern trotzdem nicht dargestellt. „Manchmal schaue ich mir Fotos von Bäumen an und denke, das ist eine interessante Form, dann gehe ich an die Leinwand, und es kommt wieder etwas komplett anderes dabei heraus. Ich gerate durch das Anschauen in eine bestimmte Gedankenzone, aber wenn die Action auf der Leinwand passiert, entzieht sich das bis zu einem gewissen Grad meiner Kontrolle.“ Gerade weil sie keinen direkten Plan hat, macht es ihr Spaß: „Ich bin sehr in die Malerei involviert, aber wenn mich jemand fragt, was als Nächstes kommt, dann sage ich: ‚Ich weiß es nicht.’“

„Es geht um Malerei, bevor es um die Natur geht“

Auf die Frage, ob ihre Naturmotive auch als Appell an die Menschheit aufzufassen sind, die Wälder zu retten, schüttelt sie den Kopf. „Es ist keine politische Aussage zum Thema Umwelt, obwohl sie mir natürlich ein Anliegen ist. Es geht um Malerei, bevor es um die Natur geht. Es geht um meine eigene Natur mehr als um die Natur der Menschen oder die Natur der Welt.“ Vielleicht, meint sie, reflektierten einige Werke ihre politischen Ängste vor anstehenden Wahlen oder aus der Pandemie, „aber sie illustrieren keine spezifischen Anliegen“.

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