Anjelica Roselyn

Spiegelbild der Mode

In ihren iPad-Zeichnungen hält Anjelica Roselyn besondere Augenblicke der Fashion-Welt fest. So übersetzt die preisgekrönte Londonerin die klassische Illustration ins digitale Zeitalter

Von Antonia Eggers
27.02.2024

Der Umriss ist linienhaft skizziert. Gianni Versace entwarf das violette, ärmellose Kleidungsstück im Jahr 1996 – eine bedeutende Zeit für die Modewelt. Naomi Campbell, Linda Evangelista, Claudia Schiffer, Christy Turlington und Cindy Crawford prägten die Ära der Supermodels. Diese fünf Frauen hatten alles. Ganz ähnlich scheint es der Dame in Anjelica Roselyns Illustration „Abundance“ (zu Deutsch „Überfluss“) von 2021 zu gehen. Dem gedeckten Tisch, einer Fülle an Orangen, gedrehten Kerzen, Teeservice und Kuchen, schenkt sie kaum Beachtung.

In „Abundance“ (2021) setzt die Modezeichnerin ein ärmelloses Kleid von Versace aus dem Jahr 1996 in Szene. © Anjelica Roselyn
In „Abundance“ (2021) setzt die Modezeichnerin ein ärmelloses Kleid von Versace aus dem Jahr 1996 in Szene. © Anjelica Roselyn

Anjelica Roselyn hat schon immer gerne gezeichnet. „Ich erinnere mich, dass ich gleichzeitig schreiben und zeichnen lernte“, erzählt sie. Die Illustratorin wurde in Washington, USA, geboren. Aufgewachsen ist sie in London. Ihr Studium am renommierten London College of Fashion schloss sie mit einem Bachelor in Bekleidungstechnologie für Damenmode ab. Während dieser Zeit absolvierte sie Praktika bei den Modehäusern Marc Jacobs und Ryan Lo.

Die Illustratorin Anjelica Roselyn übersetzt Mode in ihre künstlerische Sprache

Anstelle die Karriere als Modedesignerin zu verfolgen, entschied sie sich für ihre digitalen Zeichnungen, die sie mit einem iPad anfertigt. „Die Kombination aus unterschiedlichen Zeichnungstechniken mit den Pinseln von Photoshop hat es mir ermöglicht, meine Zeichnungen auf die nächste Ebene zu bringen“, so Roselyn. Sie illustriert ausschließlich frei Hand. „Auf diese Weise kann ich meine eigenen, einzigartigen Formen, Gesichter und Linien kreieren.“

Lidschatten und Rouge in Pastelltönen, dazu ein pinker Lippenstift. In „My future/former self” (2020) blickt die Künstlerin uns in einem Handspiegel entgegen. © Anjelica Roselyn
Lidschatten und Rouge in Pastelltönen, dazu ein pinker Lippenstift. In „My future/former self” (2020) blickt die Künstlerin uns in einem Handspiegel entgegen. © Anjelica Roselyn

Die Pose ist das Fundament der Modeinszenierung. Sie bestimmt, wie das Kleidungsstück am Körper fällt und bringt die Silhouette des Designs zur Geltung. Für Anjelica Roselyn spielt die Körperhaltung ihrer gezeichneten Figuren ebenfalls eine Rolle. „Als ich mit dem Illustrieren begann, orientierte ich mich an dynamischen Posen – wie Gehen, Laufen oder eine Laufsteg-Pose. Jetzt möchte ich mehr Abwechslung in meine Zeichnungen bringen“, sagt sie. In letzter Zeit tendiere sie zu statischen Posen, wie Liegen oder Sitzen. „Das hängt in der Regel von der Kleidung oder Kollektion ab, auf die ich mich konzentriere, und von da an ist der weitere Zeichenprozess sehr instinktiv.“

Den Outfits nach, ging es für diese Damen vom Laufsteg direkt an den gedeckten „Dinner
Den Outfits nach, ging es für diese Damen vom Laufsteg direkt an den gedeckten „Dinner"-Tisch. © Anjelica Roselyn

In ihren Zeichnungen hält die Londoner Illustratorin besondere Augenblicke im Modegeschehen fest

Ein wiederkehrendes Motiv in ihren Arbeiten ist das Geschehen während der Fashion Week. Der Zeitraum, in dem Modehäuser ihre neuesten Kreationen vor einem ausgewählten Publikum präsentieren. Als sich die US-amerikanische Schauspielerin und „Dune“-Darstellerin Zendaya bei der Haute Couture Show Ende Januar 2024 in einer surrealistischen Sci-Fi-Robe von Schiaparelli präsentierte, fing die Modezeichnerin den Augenblick in einer Illustration ein.

Die Schauspielerin Zendaya trug im Januar 2024 eine Sci-Fi-Robe von Schiaparelli, als sie die Haute Couture Show in Paris besuchte. © Anjelica Roselyn
Die Schauspielerin Zendaya trug im Januar 2024 eine Sci-Fi-Robe von Schiaparelli, als sie die Haute Couture Show in Paris besuchte. © Anjelica Roselyn

„Ich liebe kräftige Farben, Bewegung und Posen, die an die Modestrecken erinnern, die ich als Kind bewundert habe“, so Roselyn. „Meine Inspiration für eine Zeichnung kann unterschiedlich sein. Manchmal ist es die Pose des Models, die Umgebung oder das Farbschema.“ Am Wichtigsten sei jedoch das Kleidungsstück selbst und die Art, wie es getragen wird. „Vor allem, wenn das Design asymmetrisch, farbenfroh und gewagt ist“, sagt sie. „Diese Stilelemente machen das Zeichnen noch spannender.“

Digitales Illustrieren findet sich heute gleichberechtigt neben den klassischen Zeichnungstechniken

Seit der Jahrhundertwende setzen Illustratoren immer häufiger auf die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters. Computerprogramme finden sich heute gleichberechtigt neben den klassischen Zeichentechniken. Dazu kommt Social Media. „Heute haben wir das Glück, dass Illustrationen nicht nur in den Print-Publikationen zu finden sind, sondern dass Websites und soziale Medien Modeillustratoren eine Plattform bieten, auf der sie ihre eigenen Arbeiten selbst kuratieren können“, kommentiert Roselyn.

In der Illustration „A Room for Me, and Mine“ von 2022 können die Gäste wie eine moderne Marie Antoinette speisen. © Anjelica Roselyn
In der Illustration „A Room for Me, and Mine“ von 2022 können die Gäste wie eine moderne Marie Antoinette speisen. © Anjelica Roselyn

In den 1920er-Jahren fertigten Künstler wie René Gruau und George Barbier die ersten Zeichnungen für Publikationen wie Vogue und Harper’s Bazaar an. Dann kam die Modefotografie. Was mit Irving Penn, Richard Avedon, Guy Bourdin und Steven Meisel begann, wurde von Ellen von Unwerth, Harley Weir, Juergen Teller und zahlreichen weiteren Fotografen fortgeführt. Die Kunstform der Zeichnung blieb dennoch. Eben weil ihr heute eine eigene Funktion zugeschrieben wird: Statt der naturalistisch genauen Wiedergabe eines Motivs, kann sie die Stimmung eines Designs hervorrufen.

„Wir können selbst entscheiden, worauf wir uns in einer Zeichnung konzentrieren wollen“

Im Gegensatz zur Fotografie haben Illustratoren die Freiheit, ihre Schwerpunkte individuell zu setzen und dadurch eine einzigartige Perspektive zu schaffen. „Wir können selbst entscheiden, worauf wir uns in einer Zeichnung konzentrieren wollen“, sagt Anjelica Roselyn. „Bei Modethemen haben wir die Wahl, auf welche Aspekte wir den Fokus legen möchten, sei es Accessoires, Make-up, Silhouetten oder andere Details.“ Wenn ein Illustrator eine Kollektion darstellt, wird jedes Ergebnis vollkommen anders aussehen. „Das ist etwas ganz Besonderes.“ 

„Ich liebe die Komposition des Bildes und die Bedeutung, die es für mich in dieser Zeit meines Lebens hatte“, sagt die Künstlerin über „Dream Room“ von 2018. © Anjelica Roselyn
„Ich liebe die Komposition des Bildes und die Bedeutung, die es für mich in dieser Zeit meines Lebens hatte“, sagt die Künstlerin über „Dream Room“ von 2018. © Anjelica Roselyn

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