Thomas Baumgärtel

„Die ganze Kunstszene ist total Banane“

Thomas Baumgärtels Karriere als Künstler begann vor 40 Jahren in einem katholischen Kleinstadt-Krankenhaus am Niederrhein. Schon damals rückte eine Banane in den Mittelpunkt. Inzwischen sind seine Graffiti-Bananen weltbekannt.

Von Weltkunst News
15.05.2023

Noch immer zieht es ihn mit seinen Schablonen und Spraydosen in die Nacht. Während der Pandemie sogar wieder vermehrt: „Die Straßen waren so schön leer. Für mich war das ein echter Vorteil“, sagt Thomas Baumgärtel. Seit 40 Jahren macht der 62-jährige Künstler von sich reden. Im Zentrum seines Schaffens steht eine Banane. So wurde er zum Bananensprayer.

Er sprüht seine Bananen als Graffiti illegal an ganz bestimmte Fassaden – von Museen, Galerien und Kunst-Institutionen. Inzwischen hat er rund 4000 solcher Häuser weltweit heimgesucht. Dabei wurde seine Spray-Banane vom anfänglichen Ärgernis zum Gütesiegel für gute Kunst.

Alles begann während Baumgärtels Zivildienst 1983. In einem katholischen Krankenhaus in seiner Heimatstadt Rheinberg fiel ein schlichtes Holzkreuz von der Wand. Kurzerhand nagelte „Zivi“ Baumgärtel als Ersatz für die zerbrochene Jesus-Figur seine Frühstücksbanane ans Kreuz. „Das gab mächtig Ärger. Zum Glück mochten mich die Ordensschwestern.“ Baumgärtel merkte, „wie viel Wirkung eine solche Aktion erzeugen kann“.

Damals reifte in ihm der Entschluss: „Ich will Künstler werden.“ Sein Vorbild war Harald Naegeli, der Sprayer von Zürich, damals wegen seiner ebenfalls illegalen Sprayerei weltweit mit Haftbefehl gesucht. „Was der gemacht hat, hat mich beeindruckt.“ Inzwischen bringt Baumgärtel es selbst auf rund 300 Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung. „Das zahle ich immer sofort. Dagegen vor Gericht zu ziehen, macht alles nur noch teurer.“

Mittlerweile ist seine Banane von Paris, New York bis Basel eine Art Michelin-Stern der Kunstszene geworden – von New Yorker Galeristen spontan begrüßt, von Galeristen in Deutschland anfangs verflucht. Vielleicht, weil sie auch Kunstkritik sein sollte: „Nicht alles ist Kunst, bloß weil es im Museum hängt. Die ganze Kunstszene ist total Banane“, sagt Baumgärtel. „Zumindest hab ich damals so gedacht.“

Für seine Spray-Bananen sucht er sich dann aber die Häuser aus, die er gut findet: „Das ist meine Art der Liebeserklärung.“ Als er 1986 nachts mit einem Bekannten am Museum Ludwig in Köln auftaucht, geht die Sache schief: „Die Polizei hat uns mit gezogenen Waffen umstellt. Die dachten wohl, ich hätte da eine Bombe platziert. Als dann über Funk kam, dass es sich um eine Spraybanane handelt, wurden sie deutlich entspannter.“ Die Banane musste er trotzdem von der Wand entfernen.

Doch zwei Jahre später hatte das Museum mit Siegfried Gohr einen neuen Direktor und der erkannte den künstlerischen Sinn hinter der Bananensprayerei. Er bat Baumgärtel, die Banane wieder ans Museum zu sprühen. Die Stelle durfte er sich aussuchen. Es wurde zu einem Triumphzug für den Wahl-Kölner.

„Ich fühle mich wie ein Restaurant-Kritiker und habe mich nie dafür bezahlen lassen. Ich lasse mich nicht kaufen.“ Als er 1995 zum ersten Mal nach Moskau kommt, staunt er: „Da gab es die Bananen schon. Die hatten sie sich selbst drauf gesprüht. Da habe ich gemerkt, dass meine Aktion inzwischen weltweit bekannt ist.“

Zum 750-jährigen Jubiläum des Kölner Doms überrascht Baumgärtel 1998 mit einer Großaktion, an der er eineinhalb Jahre gearbeitet hat: Er lässt eine 14 Meter lange und vier Meter hohe Banane vor das Hauptportal des Kölner Doms hieven, vier Tonnen schwer. „Die mussten wir in fünf Minuten aufbauen, damit uns die Polizei und die Security nicht dazwischen kommen.“
Seit mehr als 15 Jahren schon hegt er den Plan, eine Riesenbanane durch das Brandenburger Tor in Berlin zu schieben. „Ich bin da noch in Gesprächen“, sagt er.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine entrollte Baumgärtel an einer Kölner Hausfassade ein zehn Meter hohes Transparent, das den russischen Machthaber Wladimir Putin in Sträflingskleidung zeigt, versehen mit dem Wortspiel: „Put in prison“. „Das soll da so lange hängen, bis er wirklich im Gefängnis sitzt“, sagt Baumgärtel. Nach Moskau ziehe es ihn derzeit nicht: „Eher in die Ukraine. Da sind noch einige Museen, die ausgezeichnet gehören.“

Als während der Pandemie Corona-Leugner und Impfgegner mobil machten, zog Baumgärtel los, um Gesundheitsinstitutionen wie das Hamburger Hygiene-Institut auszuzeichnen – mit seiner „Impf-Banane“, die seine Banane in abgewandelter, virusähnlicher Form zeigt. Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei zeigt er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit Banane im Gesäß. Dessen Anhänger verloren die Fassung und überhäuften ihn mit Morddrohungen: „Das hat mir lange Zeit Polizeischutz beschert. Die Reaktionen waren schon heftig.“

Nach wie vor hadert mancher Adressat, den er mit einer Banane an der Fassade überrascht, mit diesem Geschenk. Noch vor Kurzem habe ihn deswegen ein alteingesessener Kölner Galerist sehr lautstark angefahren: „Du Arschloch!“ Baumgärtel nimmt es wie einen Ritterschlag. „Dass das nach Jahrzehnten immer noch so eine Wirkung erzielt, ist doch erstaunlich. Kunst muss wirken.“

Was den künstlerischem Ruhm angeht, ist inzwischen ein anderer Graffiti-Künstler an ihm vorbei gezogen: „Banksy ist super“, sagt Baumgärtel. „Der hat inzwischen mit 188 Millionen Euro die zweitmeisten Verkäufe nach Gerhard Richter bei Auktionen. Im Vergleich dazu wird Street Art in Deutschland immer noch ignoriert.“

Noch bis 30. Mai ist die Retrospektive „40 Jahre Bananensprayer“ in Stefan Piekarskis Galerie „Art Limited“ in Ratingen bei Düsseldorf zu sehen. Dort hängt auch Baumgärtels Ur-Banane am Holzkreuz – nach 40 Jahren dunkelbraun und verschrumpelt. „Die hab‘ ich damals einfach mitgenommen.“ (dpa)

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