Architekturbiennale 2023

Drei Fragen an Anh-Linh Ngo

Anh-Linh Ngo ist Architekturtheoretiker und Co-Kurator des deutschen Pavillons der diesjährigen Architekturbiennale von Venedig. Ein Gespräch über das Konzept „Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet“ und die Verknüpfung von ökologischer Nachhaltigkeit und sozialen Fragen

Von Lisa Zeitz
19.05.2023

Auf Ihrem Instagram-Account haben Sie ein Foto gepostet, auf dem ein Detail der Treppe des deutschen Pavillons in Venedig zu sehen ist. Auf einem Schild, das dort platziert ist, steht nicht „Closed for Maintenance“, sondern „Open for Maintenance“. Was hat es damit auf sich?

Wir haben uns gefragt, wie wir uns in ein produktives Verhältnis zum Format der Biennale setzen können, um etwas zu schaffen, das nicht nur der reinen Repräsentation dient, sondern auch der Stadtgesellschaft vor Ort nützlich ist. Den Begriff der Nützlichkeit haben wir stark in den Mittelpunkt gestellt. Eine Institution wie die Biennale lebt davon, dass Menschen im Hintergrund aktiv sind, die sie pflegen, reinigen, Instand halten. Im handgreiflichen wie auch im übertragenen Sinne. Ausgangspunkt unserer Überlegung stellte das Sichtbarmachen der Arbeitsprozesse hinter solchen Institutionen dar. Meist wird im Rahmen der Biennale nur über die Kuratorinnen und Kuratoren, über die Künstlerinnen und Künstler gesprochen. Wir wollten jedoch genau die Menschen in den Mittelpunkt stellen, die das alles überhaupt ermöglichen. Oft gibt es in öffentlichen Gebäuden diese Schilder, auf denen „Closed for Maintenance“ steht. Das heißt, die Arbeitsprozesse, die zur Reproduktion der Gesellschaft notwendig sind, werden immer ausgeblendet, unsichtbar gemacht. Mit dem Motto „Open for Maintenance“ haben wir genau das umgekehrt.

Anh Linh Ngo Instagram
„Open for Maintenance“ steht auf dem gelben Plastikschild auf den Treppen des deutschen Pavillons in Venedig. © Instagram @anhlinh.ngo

Was bedeutet das konkret?

In Venedig zielen wir einerseits darauf, die Zugänglichkeit der Räume für die Reinigungskräfte zu erleichtern und andererseits auch selbst als Maintenance Workers tätig zu werden. Ein Teil des Teams wird immer vor Ort sein und mit anpacken. Das liegt daran, dass wir uns mit einem Thema beschäftigen, das uns alle in Zukunft hinsichtlich der Frage der Nachhaltigkeit noch schwer beschäftigen wird: die sanitären Wende. Beispielsweise der Umgang mit dem Problem, dass wir hektoliterweise Trinkwasser für die Entsorgung unserer Abfälle aufwenden. In Zukunft, mit den zunehmenden Dürren, wird dies auch ein großes Problem für Städte darstellen. Das bedeutet, dass wir uns mit den Prozessen der Reinigung auseinandersetzen müssen. Wir müssen versuchen, Abfälle nicht mehr als etwas, das entsorgt gehört zu begreifen, sondern als Wertstoff, um den Kreislauf zu schließen.

So verfahren wir für den gesamten Beitrag zur Architekturbiennale. Wir haben uns selbst beschränkt, indem wir uns vorgenommen haben, den Beitrag nur mit den Abfällen der Kunstbiennale des letzten Jahres zu realisieren. Jedes Jahr finden in Venedig eine oder mehrere Biennalen statt. Die Installationen und Ausstellungsarchitekturen produzieren hunderte Tonnen an Müll, die anschließend aufwendig entsorgt werden müssen. Meist landen sie auf Müllhalden des Veneto. Wir haben uns also gesagt: Wenn wir von Nachhaltigkeit reden und dann nach Venedig fliegen, irgendetwas machen, Müll produzieren und im Anschluss wieder zurückfliegen, ist das nicht gerade das, was wir erreichen wollen. Also haben wir uns von Beginn an auferlegt, nur mit Dingen zu arbeiten, die wir vor Ort vorfinden, um so den Ressourcenverbrauch und die Emission zu reduzieren. Das war unsere Zielsetzung, aber es erweist sich inzwischen auch als eine Strategie, die zu großer Kreativität herausfordert.

Arch+ Architekturbiennale
Spolien der Ausstellung „Queendom” des Israelischen Pavillons zur Kunstbiennale 2022. © ARCH+ SUMMACUMFEMMER / Büro Juliane Greb

Was hat sich das kuratorische Team ARCH+, Summacumfemmer und Büro Juliane Greb für das Projekt vorgenommen?

Wir werden über sechs Monate hinweg den Pavillon täglich bespielen. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Indem wir nahtlos mit der Kunstbiennale begonnen haben und die Arbeit von Maria Eichhorn eins zu eins übernommen haben, mussten wir nicht monatelang auf den Rückbau warten. Das hätte verhindert, dass wir die gesammelten Materialien nach dem Ende der Kunstbiennale nicht hätten zwischenlangern können. Das wiederum ist ein anderes Thema des zirkulären Bauens: Wenn Häuser abgerissen werden, sammeln wir Bauteile und Materialien und lagern sie zwischen. Eines der größten Probleme hierbei ist die Frage, wo wir die Materialien lagern und wie wir sie zugänglich machen können. Also: Woher bekomme ich ein Fenster? Woher Ziegel? Deshalb haben wir den Pavillon so konzipiert, dass er als eine produktive Infrastruktur aufgegriffen wird. Hier richten wir ein Schaudepot ein mit all den gesammelten Spolien der Kunstbiennalen-Architektur. Mit diesen arbeiten wir – aber nicht nur im Kontext des Umbaus, sondern auch, um etwas für die Stadtgesellschaft zu tun. Wir haben uns mit einem Dutzend von lokalen Initiativen zusammengetan, deren Arbeit wir für die Lösung der Frage, wie wir eine soziale und nachhaltige Gesellschaft heute denken können, relevant finden. Mit diesen Initiativen arbeiten wir eng zusammen, um Dinge und Institutionen, die sie gegründet haben, Projekte, die sie gestartet haben, Instand zu setzen.

Service

Podcast

Das Gespräch fand als Live-Podcast im Berliner Freiraum in der Box – Freiraum für Kultur und Natur statt. Der Podcast wird in Partnerschaft mit Volkswagen produziert.

weltkunst.de/podcast

Die Architekturbiennale in Venedig läuft vom vom 20. Mai bis zum 26. November.

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