Die Berliner Künstlerin Dariia Kuzmych lebt seit einigen Monaten wieder in der Ukraine. Wir sprachen mit ihr über ein Jahr Krieg, den Alltag der Sirenen und das Glücksgefühl, nach Kyjiw zurückzukehren
ShareJa und nein. Im Moment arbeite ich an einem Projekt, das mit dem Krieg zu tun hat, aber ich habe es schon viel früher angefangen. Was mir in dem Zusammenhang wichtig ist: Der Krieg hat schon 2014 angefangen …
Ja, genau, und durch den hybriden Krieg in den Oblasten Donezk und Luhansk, den Russland damals angefangen hat. In meiner Realität ist der Krieg daher schon lange präsent. Nur global wurde das anders wahrgenommen. Ich nenne den jetzigen Krieg für mich den großen Krieg, mein Bruder zum Beispiel hat schon 2014 bis 2015 gekämpft und jetzt kämpft er wieder. Ich habe damals, 2014, Interviews geführt mit Soldaten mit schweren Verletzungen, mit Amputationen, aber dieses Material lange nicht verwendet. Ich war überwältigt davon, ich konnte nicht damit arbeiten. Das Thema des körperlichen Traumas ist in meinen Arbeiten präsent, unter anderem weil ich selbst mal einen schweren Unfall hatte, es beschäftigt mich also schon länger. Aber jetzt habe ich ein dokumentarisch-künstlerisches Projekt zum Thema Trauma und körperliche Transformation angefangen, bei dem ich wieder mit Soldaten und Menschen nach den Angriffen arbeite, die schwere Verletzungen erlitten haben. Es geht um den Bruch im Körper und die Veränderung, die das mit sich bringt. Ich sehe in solchen Veränderungen auch die Möglichkeit, also ohne diesen dramatischen Blick. Für die Entwicklung dieser Arbeit habe ich das Else-Neumann-Stipendium des Landes Berlin bekommen.
(schweigt, sucht nach Worten) Meine Befürchtung ist, dass es so wird wie bei der erster Phase von russischer Invasion in Donetsk und Luhansk geht. Dieser Krieg wurde nicht richtig wahrgenommen in den internationalen Medien und lange nicht als Krieg genannt. Jetzt ist meine Angst, dass die Lage, wie sie jetzt ist, auf gleichem Niveau bleibt. Wie ein Feuer, das fast aus ist, aber immer weiterglimmt und das man gar nicht mehr sieht. So war es mit dem Donbass-Krieg, das wurde gar nicht als Krieg bezeichnet, sondern nur als Konflikt. Immer noch wird der verkleinernde Begriff «Konflikt» benutzt, sogar für diese neue Phase von Invasion. Davor habe ich Angst, dass es einfach langsam immer so weitergeht, mit kleinen Zurückeroberungen und so weiter. Die ukrainische Gegenoffensive muss kommen, dafür braucht man Waffen. Das sind ja konkrete Menschen hier, die das tun, die die Ukraine schützen und nicht nur die Ukraine, sondern auch die Sicherheit Europas, und diese Menschen sterben. Ich war schon auf Begräbnissen von Freunden, die als Soldaten starben, und im friedlichen Leben waren das Regisseure, Musiker, und andere wie ich. Keine Berufssoldaten. Die Kapazität an diesen Menschen ist nicht unendlich, deshalb brauchen wir viel Unterstützung.
Es tut mir weh, dass viele Menschen aus der Kunstszene das Land verlassen haben. Ich verstehe, dass das gut ist für sie, sie haben Ausstellungen, Residenzen, alles mögliche, ich verstehe vor allem, dass sie das tun, wenn sie Kinder haben. Ich trage nur Verantwortung für mich selbst, mit Kindern kann man nicht so frei entscheiden, muss Risiken vermeiden. Es tut mir trotzdem weh, dass hier die Menschen aus der Kunstszene fehlen. Viele wollen zurück, aber sie haben Angst zurückzukehren. Das betrifft mich persönlich, das ist mein Kreis hier und ich möchte, dass es hier weiter ein kulturelles Leben gibt, dass es nicht immer nur um das Notwendigste geht. Das liegt im Moment vor allem auf die Schulter von denen, die bleiben. Wenn die Ukraine gewinnt, können die Menschen endlich zurück.