Interview mit Albert Serra

„Pacifiction“ und die Kunst des Desasters

Der neueste Film von Albert Serra gilt schon jetzt als Meisterwerk. Heute kommt seine Südsee-Fantasie in Deutschland in die Kinos

Von Catherine Peter
02.02.2023

Können Sie dieses System beschreiben? Welche Kräfte wirken da?

Es geht darum, unbedingt die Bilder mit Intensität aufzuladen. Das mache ich mit Druck, auch mit Druck auf die Schauspielerinnen und Schauspielerinnen. Für mich ist ganz klar, dass Druck Intensität ergibt. Ich versuche Intensität auf eine kommunikative Art und Weise zu schaffen. Es muss eine ganz hohe Aufmerksamkeit bestehen. Es stimmt, dass Intensität mit dramatischen Situationen zusammengeführt wird. Aber eine Komödie, um lustig und originell zu sein, sollte auch aus großem Druck heraus entstehen, oder? Das ist vielleicht was für den nächsten Film. Der Kontrast zwischen einem komischen Inhalt und der Spannung des Drehs.

Arbeiten Sie schon an einem neuen Film?

Mitte Dezember war ich in Genf, um an einem neuen Drehbuch zu schreiben. Ich gehe immer in Hotels um zu schreiben, eher in schäbigen Hotels. Für „Pacifiction“ war ich in Dublin. Da war ich vorher noch nie gewesen. Ich mag eigentlich kein Bier, und das irische Essen ist grauenvoll, aber ich kannte dort niemanden. Jetzt hatte sich Genf ergeben, weil ich dort auch „Pacifiction“ vorgestellt habe. Ich möchte einen weiteren Spielfilm machen. Ich denke, es ist der richtige Zeitpunkt und ich will nicht zu lange warten. Ich habe aber noch keine Ahnung, um was es gehen soll. Nur die Vorstellung, dass es wieder zeitgenössisch sein sollte. Und dass es schön wäre, wenn die Hauptfigur eine Frau wäre, um mich zu fordern und um was Neues zu probieren.

Pacifiction Marc Susini
Marc Susini in „Pacifiction“. © Filmgalerie 451

Ich habe gehört, dass Sie parallel an einem Film über Stierkämpfe arbeiten?

Ja, es ist mein erster Dokumentarfilm. Wir haben schon angefangen zu drehen und begleiten zwei Stierkämpfer, zwei sehr junge Superstars in Spanien.  Es geht vor allem um die spirituelle Seite des Kampfes, um die Verbindung mit der Tradition. Ich bin mit Stierkämpfen aufgewachsen, kein Fanatiker, aber ein Aficionado. Wir werden sehen. Es ist nicht meine Art zu arbeiten. Ich mag immersive, kurze und intensive Drehs. Hier filmen wir mal zwei Tage hier, drei Tage dort, dazwischen liegen Wochen. Aber das Thema ist super interessant! Und die Bilder sind gewaltig. Wir drehen ja echte Stierkämpfe. Bis jetzt waren wir nur in kleineren Arenen, da ist der Druck etwas niedriger. Und wir können uns Gedanken machen, was für Aufnahmen wir machen wollen, wenn wir in den großen Arenen drehen können.

Drehen Sie denn auch hier mit mehreren Kameras?

Ja, klar. Letztes Mal waren es neun oder zehn Kameras. Ich bin vielleicht der Regisseur auf der Welt, der digital am weitesten geht, um das Potenzial dieser Technik wirklich auszuschöpfen, sowohl beim Filmen als auch beim Schneiden. Ich habe über die Aufnahme von Stierkämpfe schon viel nachgedacht. In Sevilla habe ich eine Konferenz über die Fernsehübertragung von Stierkämpfen gemacht. Wenn man in der Arena ist, selbst in der hintersten Reihe, spürt man etwas, was in allen Fernsehübertragungen verloren geht, egal wie nah die Kamera an den Kampf kommt.

Albert Serra
Der Regisseur Albert Serra beim Besuch in Berlin, fotografiert von Catherine Peter. © Foto: Catherine Peter

Deshalb muss ich wirklich experimentieren und proben, um etwas von dieser Emotion einzufangen. Das mache ich sonst nie, mir die Aufnahmen vor Ende des Drehs anzuschauen. Aber hier macht es total Sinn. Es ist sogar notwendig. Wir probieren einiges aus, und später, im Vergleich, schaffe ich es, mich zu entscheiden. Mit der Auswahl verstehen wir, was wir tun, was mächtig ist und was nicht. Im April, wenn die Saison wieder beginnt, drehen wir weiter.

Sie sind ein großer Verfechter des Kinos als Aufführungsort für Filme. Glauben Sie an die Zukunft des Kinosaales?

Das Kino muss seinen Platz finden, mit seinen ganz eigenen Eigenschaften. Wenn man sich darauf einlässt, dass der Film etwas Eigenartiges ist. Das ist eine Frage, an der ich mich permanent auf eine praktische Art und Weise orientiere. Wenn ich schneide, behalte ich die Bilder, von denen ich denke, dass sie nur Film sind. Keine Kunst, kein Experimentalfilm, nein: Film. Fast immer sind das auch die Bilder, die am schönsten, am gelungensten sind. Film ist die Vereinigung von allen Elementen. Es steckt so viel in den einzelnen Bildern drin. Es braucht die große Leinwand und die Bedingungen, um alles zu erfassen, um daran Freude zu haben, Bilder zu konsumieren. Ich bin optimistisch, was das Kreative und das Finanzielle angeht. Für mich ist Film Hochkultur. Es ist das, was das Leben erträglicher, aufregender, komischer und schöner macht. Und es ermöglicht Selbstkritik. Wie eine Katharsis. Der Film ist wirklich das Einzige, was alle Opfer rechtfertigt. Schlechtes Kino steht für schlechtes Leben.

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