Tischkultur

Tischlein, deck dich!

Im Barock waren opulente Tafeln ein Zeichen guten Geschmacks. Aber auch Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart wissen, wie man eindrucksvoll eindeckt, und beleben die Tischkultur mit experimentellen Entwürfen

Von Laura Storfner
23.12.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 204

Wenn die Köchin und Künstlerin Laila Gohar ein Abendessen in ihrem New Yorker Studio gibt, hoffen alle auf eine Einladung. Die Kreativszene strömt zu ihren Dinnerpartys und folgt ihr auf Instagram, wo sie korinthische Säulen aus Butter formt und Spitzendeckchen aus Zuckerguss spritzt. Gohar präsentiert ihre Gänge als Gaumenschmaus fürs Auge. Ihr lustvolles Spiel mit dem Essen ist mittlerweile weit über die Grenzen ihrer Küche hinaus bekannt: Für Modemarken wie Simone Rocha und Comme des Garçons schafft sie regelmäßig essbare Installationen. Ihr Gastgeberinnenflair kann man sich seit Kurzem auch ins eigene Esszimmer importieren.

Laila Nadia Gohar
Die Schwestern Laila und Nadia Gohar inszenieren die teils von ihnen geschaffenen, teils kuratierten Objekte für den Tisch – vom Krümelfänger aus ihrer Werkstatt in Kairo bis zu Josef Hoffmanns Weinglas der Wiener Marke Lobmeyr – als Gesamtkunstwerk. Die Fotografie schuf der Künstler Roe Ethridge. © Roe Ethridge

Denn mit ihrer Schwester Nadia, die als Malerin in Toronto lebt, hat sie das Projekt „Gohar World“ ins Leben gerufen. Das Onlineshop-Universum bietet von der spitzenbesetzten Serviette über eine Kerze in Salamiform bis zum Kronleuchter, der Eier balanciert, als Centerpiece alles, was man braucht, um bei Gästen Eindruck zu machen. Was die bisweilen surrealistisch anmutenden Accessoires gemeinsam haben, ist ihr Entstehungsprozess: Alles wird im Freundes- und Familienkreis in kleinen Auflagen hergestellt, oftmals in Handarbeit. So stammen die Tischdecken aus dem Atelier der Großtante in Kairo, während das Geschirr mit einem Dekor aus Limabohnen das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit der Mailänder Manufaktur Laboratorio Paravicini ist. Für ihr erstes Lookbook haben die Schwestern den Fotografen Roe Ethridge verpflichtet, der illustre Gäste, die einem Film des Kultregisseurs Wes Anderson entsprungen sein könnten, um opulent gedeckte Tische platzierte.

Die Gohar-Schwestern kommen mit ihrem Projekt genau zur rechten Zeit: Denn nie war das Bedürfnis nach Wiedersehensfeiern und gemeinsamen Abendessen ohne Zoomübertragung größer als jetzt. Gerade die junge Generation sehnt sich nach neuen Ritualen: Die Dinnerparty ersetzt immer öfter den Discobesuch – statt bei Chips und Bier für die Clubnacht vorzuglühen, will man heute gut essen und gute Gespräche führen. Statt eines Abends, den man am nächsten Morgen schon wieder vergessen hat, will man bleibende Erlebnisse schaffen. Wenn es darum geht, Gastfreundschaft neu zu interpretieren und Tafeln auszustatten, spielen Künstlerinnen und Künstler seit jeher eine entscheidende Rolle. Inspiriert von der Tischkultur des europäischen Adels im 17. und 18. Jahrhundert, entstehen heute zeitgemäße Versionen von Prunkvasen, Geschirr und sogenannten dekorativen Schaugerichten, die im Barock zunächst aus Zuckermasse, später – wegen der von Kaiserin Maria Theresia verordneten Sparsamkeit – aus Fayence und Porzellan modelliert wurden.

David Shrigley Caverswall
Am Boden der Tasse wartet das Vergessen: Seine Porzellanserie setzte David Shrigley mit der Traditionsmarke Caverswall um. © sketch / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Die Beziehung zwischen Kunst und Tafel ist so vielfältig wie das Dinnermenü selbst. Manche wie die Berliner Keramikmeisterin Stefanie Hering, die für ihre eigene Porzellanmanufaktur immer wieder mit Künstlern zusammenarbeitet, reichern historische Referenzen mit Gegenwartsgeist an. In Anlehnung an ein Werk der Hongkonger Bildhauerin Pamela Mei Yee Leung hat sie einen Tafelaufsatz aus Biskuitporzellan in Form eines Hummers aufgelegt, der sowohl chinesische Mythologie als auch barocke Terrinen in Tiergestalt zitiert. Auch der junge Künstler Anthony Sonnenberg aus Los Angeles lässt sich von der Pracht des Barocks inspirieren. Seine reich verzierten Kandelaber triefen in ihrer grotesken Opulenz aber genauso vor einem Phänomen, das erst viel später einen Namen bekam: der kitschigen Übertriebenheit des Camp. Auf vornehme Zurückhaltung setzt unterdessen Edmund de Waal. Er präsentiert seine filigranen Porzellangefäße in eigens konstruierten Vitrinen, die sich zu aufwendigen Raumerzählungen zusammenfügen. Ganz im Gegensatz zu Andrea Zittel, für die Praktikabilität im Vordergrund steht. In der Wüste von Kalifornien hat die amerikanische Künstlerin mit dem Projekt „A-Z West“ einen Ort geschaffen, an dem Menschen zusammen wohnen, experimentieren, arbeiten und gestalten können. Hier entstehen die sogenannten „A-Z Containers“: schlichte Keramikschalen, die als Allzweckgeschirr dienen und zuletzt von der Galerie Sprüth Magers in Berlin in einem Pop-up-Shop angeboten wurden.

Einer, der sich mit dem guten Leben auskennt, ist der britische Künstler Luke Edward Hall. Regelmäßig lässt er das Publikum daran teilhaben – sei es auf Social Media, wo er Eindrücke aus seinem Zuhause in Gloucestershire teilt, oder in seiner Stilkolumne in der Financial Times. Der 33-Jährige kann als Vorbild moderner Gastfreundschaft gelten und ist gleichzeitig ihr Ausstatter. Er illustriert, betreibt sein eigenes Label, richtet Hotels ein und arbeitet regelmäßig mit Marken zusammen, die seine verspielte Eleganz bewundern. Mit dem italienischen Traditionshaus Ginori 1735 hat er zuletzt eine Keramik-Kollektion kreiert, die von seinen beiden Hauptthemen beeinflusst ist – der Liebe zur griechischen Mythologie und zur Bloomsbury Group rund um die Malerin Vanessa Bell.

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