Geht es nach Jonathan Meese, wird 2023 ein Schicksalsjahr. In seinem Berliner Atelier spricht der Künstler über den Krieg und das Bauhaus, über Einsamkeit und Elon Musk – und natürlich über die Diktatur der Kunst
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28.12.2022
Das Jahr 2023 war für mich schon immer ein ganz wichtiger Wendepunkt und eine wichtige Weichenstellung. Deswegen ist meine Biografie auch mit „1970 bis 2023“ betitelt. Ich habe mir immer das Ziel gesetzt, dass es 2023 zur Diktatur der Kunst kommen wird und dass wir uns endlich von der Kunst regieren lassen. Für mich hat das auch sehr viel mit dem Jahr 1923 zu tun, in dem so viel passiert ist: Die Besetzung der Ruhr, die Hyperinflation, der Hitler-Putsch. Es war alles anders und doch gibt es Parallelen.
Ich würde es so formulieren: 1923 war von der inneren Stimme geprägt, 2023 ist von äußeren Stimmen geprägt. Was 1923 passierte, hatte eine gewisse Hermetik und Folgerichtigkeit. Die Besetzung des Ruhrgebiets war mit den Ansprüchen auf Reparationszahlungen verbunden. Die Inflation folgte dem Stillstand der Maschinen. Und Hitler folgte der Unzufriedenheit im Volk. Bei der Besetzung der Ukraine heute gibt es solche Motivationen oder Zusammenhänge übrigens nicht.
Die Menschen in Deutschland und Frankreich, ob moralisch richtig oder falsch liegend, waren wirklich beseelt von dem, was sie da machten. Das gibt es heute nicht mehr, weil es überhaupt gar kein Herzblut mehr gibt. Es gibt gar keine Seele mehr, die verhandelt wird. Es gibt nur noch Menschen, die wie ein Computer ein Spiel spielen und die anderen sollen folgen. Das sind im Grunde total antiquierte Formen der Diktatur. Aber wir brauchen keine Kopien von Adolf Hitler, sondern eine Diktatur der Kunst!
Ja, das Bauhaus war eine Bewegung, die tatsächlich von dem Wunsch getragen wurde, die Kunst mächtig zu machen und ihr Aufgaben zu übertragen, die außerhalb von Politik und Religion stehen. Ein Gesamtkunstwerk wurde angepeilt. Aber es war wie mit fast allen Gruppen und Kollektiven: Am Ende nahm sich jeder selbst wichtiger als den anderen. Was auch gar nicht schlimm ist. Der eigenen Stimme nahe zu kommen, das ist schon eine sehr große Aufgabe für jeden Einzelnen. Deswegen glaube ich nicht an Zwangskollektive – auch in unserer Gegenwart nicht: Fang bei dir zu Hause an! Mach klar Schiff mit Dir und bei Dir selbst. Du musst nicht verbittert sein, um die Welt zu retten. Rette die Welt mit einem Lächeln. Und wenn es nicht klappt, dann geh auch lächelnd in den Untergang! Das ist entscheidend für die Kunst. Wenn du verbitterst, verhärmst, dann musst du dich zurückziehen. Du darfst dann keine Botschaft mehr nach außen richten. Es gibt diese verhärmten und verbitterten Menschen, die überall auf der Straße zugegen sind. Ob sie für oder gegen etwas sind, ist völlig austauschbar.
Das Bauhaus wurde missverstanden als zu abgehoben und selbstbezogen. Es war wohl auch nicht mehr stark genug in der Zeitenwende. Die Politik war plötzlich stärker. Es hatte wohl nur ein bestimmtes Zeitfenster. Aber in manchen Gebieten ist es immer noch sehr relevant; eher als Design denn als Kunst. Was auch nicht schlecht ist. Gutes Design ist ja was Tolles, aber man darf Design und Kunst nicht verwechseln. Genauso wie Kultur und Kunst nicht das gleiche sind. Kultur ist das, was eine bestimmte Klientel möchte – was die katholische Kirche möchte etwa, das ist Kultur. Oder das, was ein bestimmtes politisches Land will. Kunst aber ist größer und freier und dauerhafter: Richard Wagner zum Beispiel ist keine Kultur, sondern er ist etwas Zeit-Übergreifendes und dadurch Zeitloses. Ich bin deshalb auch kein Anhänger von Kultur. Kultur ist zu limitiert, ich gucke mir das ganz gerne an, aber das ist eben dann zeitgebunden und dann sage ich okay, das repräsentiert die Zeit, in der es entstanden ist. Wie das Bauhaus. Aber viele Dinge sind eben überzeitlich und das ist dann wieder Kunst. Kunst ist das, was überlebt: Kunst ist stärker als die Vorstellung einer bestimmten Klientel oder Splittergruppe. Der Künstler darf sich ruhig zersplittern, denn die Kunst fügt es wieder zusammen. Die Kunst hält alles aus – also müssen wir sie aushalten! Wir dürfen keine Angst vor Bildern haben. Wenn wir Angst vor Bildern kriegen, dann ist die Kacke am Dampfen. Da müssen wir echt aufpassen.
Ich habe Angst, dass meine Mutter stirbt. Deshalb müssen wir das Jahr hinter uns bringen. Ich habe auch Angst, dass es meinen Freunden und Familienmitgliedern schlecht geht. Oder dass Leute, die ich kenne, in eine persönliche Katastrophe gleiten. Ich habe aber keine Angst vor Naturkatastrophen oder dem Klimawandel, der unaufhaltbar ist – egal was wir tun, um ihn zu befeuern oder versuchen, um ihn zu bekämpfen. Am Ende führt das nur in eine Spaltung zwischen den angeblich Guten auf der einen und den angeblich Bösen auf der anderen Seite. Ich will so nicht denken, denn ich bin nicht religiös. Mit Religion oder Politik werden wir das Klima, die Tiere und die Natur nicht retten, weil die Natur nicht religiös ist. Pompeji war nicht böse, es war nur zu nah am Vulkan gebaut. Vielleicht will der Gletscher jetzt auch einfach mal schlafen und hat Bock, sich zurückzuziehen. Und auch wenn das hart klingen mag: Vielleicht muss auch eine Art gehen, damit eine neue kommt. Das gab es schon immer auf diesem Planeten. Lass die Natur das mal abklären, ob sie uns noch haben will.
Der Realität des realen Krieges. Die finde ich total dämlich. Also dass man so was überhaupt noch denkt und macht, obwohl wir doch Computer haben. Es werden zwar Drohnen von Computern eingesetzt, aber um ganz real Leute umzubringen. Das ist wirklich grauenhaft. Wozu haben wir denn „Raumschiff Enterprise“ und Richard Wagner und die griechischen Tragödien? Die Kunst hat all das doch schon für uns gedacht und formuliert. Wir müssen nur Berlin zur Bühne machen oder am besten gleich ganz Europa. Wir müssen die Straßen Fluten mit einer riesigen Armee von Statisten und Puppen in Kostümen. Dazu sind wir in der Lage. Wir haben den Witz, die Logik und die Begabung dazu. Wir könnten die Kunst alles erobern lassen, fertig ist die Laube!
Natürlich! Und das ist nicht zynisch gemeint, sondern total ernst: Das ist genau das, was der Mensch kann! Bücher schreiben, Filme drehen, Walt Disney, Godzilla und Bayreuth hervorbringen. Das reicht doch. Wer die Welt vernichten will, wird vernichtet! Wir haben diese Brutalität doch in uns. Und wir müssen sie dahin tun, wo es niemandem wehtut. Ich denke immer, das Einfachste im Leben ist, die Ideologien wegzuschmeißen. Aber die Leute sind so ideologisch und bleiben trotzdem einsam.
Das ist wahrscheinlich ein Hauptgrund und ein Trugbild. Die Ideologie verspricht den Menschen eine Zugehörigkeit und bietet ihnen vermeintliche Sicherheit, die sie blind macht. Deshalb bin ich ja gegen jegliche Form von ideologischen Clubs und Vereinen, Religionen oder Parteien. Deshalb kann ich nicht auf eine Demonstration gehen. Mich kann man nirgends hineinbringen. Ich gehe sofort wieder raus. Ich halte lieber meine Einsamkeit aus. Das bin ich der Zukunft schuldig. Wir werden einzeln geboren und wir sterben alleine. Es tut mir leid: Die Straße darf niemals ideologisiert werden! Das bedient leider nur Teufelskreise. Die Menschen haben natürlich ein Anliegen, aber sie verstehen nicht, dass die Straße dafür nicht der geeignete Ort ist. Wir müssen agieren und nicht reagieren. Wir müssen aus uns selbst schöpfen und wieder einzeln Verantwortung übernehmen.