Lucia Moholy

Im Schatten des Bauhaus

Die Architekturaufnahmen der Gebäude in Dessau kennt die ganze Welt. Aber kaum jemand weiß, wer die ikonischen Bilder schuf. Es war Lucia Moholy, die als wichtige Bauhaus-Fotografin lange übersehen wurde

Von Jochen Stöckmann
30.09.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 204

Wesentliche Teile des Lebenswerks hat Derda mit „Material und Architektur. Fotos der Bauhauszeit“ präsentiert. Aber auch nach dem Weggang aus Dessau hat sich Lucia Moholy mit der Fotografie auseinandergesetzt. Im Mai 1927, schon auf dem Sprung nach Berlin, schreibt sie an László: „lieber laci – ich bin seinerzeit mit widerstreben nach weimar mitgegangen, mit widerstreben dann nach dessau – ich kann es nach den 4 jahren einfach nicht mehr aushalten. glaube mir – ich brauche den wirbel der Umgebung – und da ich mir nicht oft die fahrt leisten kann, nur um in der Stadt zu sein, muß ich sehen, das mit einer arbeit zu verbinden.“

Der „Wirbel“, das ist die Großstadt, die „Arbeit“ Fotografie. Für László, von dem sie sich 1929 endgültig trennt, ist Lucia weiterhin die „Hausfotografin“ – wie sie es selbst beschreibt. Mit ihren eigenen Vorstellungen tritt sie 1930 in Berlin die Nachfolge des Bauhaus-Fotografen Umbo als Leiterin der Fotografie-Abteilung an der Itten-Schule an.

Neben der Lehre porträtiert Lucia – ohne Auftrag, nur für sich – die Menschen ihrer Umgebung. Den Künstlerfreund Kurt Schwitters hatte sie um 1924 noch nach klassischen Regeln Modell stehen lassen, seriös im dunklen Anzug. 1929 aber taucht Clara Zetkin auf, resolute Kommunistin mit Sitz im Zentralkomitee der KPD, ganz ohne Pose, in einem Gartenstuhl, verhalten gestikulierend. Möglich, dass diese neue Art der Porträtfotografie dem Gegenüber, dem Pfeife rauchenden Gesprächspartner der Zetkin geschuldet ist: Theodor Neubauer, Reichstagsabgeordneter und einflussreicher Bezirksleiter der kommunistischen Partei. Er ist der neue Lebensgefährte von Lucia, seinetwegen flüchtet sie nach der Machtergreifung der Nazis und rettet sich über Wien und Paris nach London in die Emigration.

Auf der überstürzten Flucht ist das Negativarchiv, die Existenzgrundlage, bei László Moholy-Nagy in Berlin zurückgeblieben. Doch die Fotografin kann sich mit einem 1935 eröffneten Studio über Wasser halten. Die Londoner Prominenz bekommt, wofür sie bezahlt: technisch perfekte, konventionelle Porträts. Lucia Moholy konstatiert 1939 in ihrem Buch „A Hundred Years of Photography“: „Insbesondere in England bewahrte man eine große Vorliebe für weichgezeichnete, sanfte und friedvolle Porträtfotografien im Stil von Reynolds und Gainsborough. Typische Vertreter einer realistischeren Richtung sind Helmar Lerski (Palästina), Lucia Moholy (London); das weichgezeichnete, glatte und schöne Porträt vertreten Cecil Beaton (London) und andere.“

Vom Bauhaus ist in ihrer Kulturgeschichte der Fotografie nicht die Rede, aber 1950 wird Lucia Moholy um einen Vortrag zu diesem Thema gebeten. In der Annahme, dass ihr eigenes Archiv in Berlin dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen ist, bittet sie Walter Gropius um Bildmaterial. Der antwortet ausweichend. Aber Lucia hakt nach, weil immer häufiger hervorragend reproduzierte Bilder veröffentlicht werden, die nur von ihren Originalnegativen stammen können. Im Februar 1954 erfährt sie, dass Gropius ihr Fotomaterial von Moholy-Nagy übernommen hat. Der Architekt, in den USA erfolgreich, behauptet: „Vor vielen Jahren haben Sie mir in Berlin alle diese Negative gegeben. Ich habe sie sorgfältig aufbewahrt. Sie werden sich vorstellen können, dass diese Fotografien für mich sehr nützlich sind und dass ich sie ständig verwendet habe.“

Um für sich und seine Bauhaus-Idee zu werben, hat Gropius Verlage, Museen und Archive mit Abzügen beliefert – ohne auf Autorenschaft und Urheberrechte hinzuweisen. Erst nach einem langwierigen Rechtsstreit erhält die Fotografin 1957 eine Kiste mit 230 von ursprünglich 560 Negativen zurück. Die restlichen Aufnahmen bleiben verschollen, ohne diese Originale fällt es Lucia Moholy schwer, ihre Rechte an den über Jahrzehnte anonym publizierten Fotografien nachzuweisen. In einer „Zusammenfassung der Ereignisse“ listet sie für sich auf: „Alle, außer mir, haben meine Fotografien genutzt, oft auch, ohne meinen Namen zu erwähnen. Alle – außer mir selbst – haben aus der Verwendung meiner Fotos Vorteile gezogen, entweder direkt oder indirekt, sei es in Form von Geld oder Prestige oder beidem.“

Selber hat Lucia Moholy nach 1945 nicht mehr zur Kamera gegriffen, aus welchem Grund auch immer. Groll gegenüber „dem Bauhaus“ hat die 1989 mit 95 Jahren in Zürich gestorbene Publizistin und Kunstkritikerin nie geäußert. Als sie 1977 in der Zeitschrift Du auf die Jahre in Weimar und Dessau zurückblickt – „Text und Aufnahmen von Lucia Moholy“ – schließt sie mit den Worten: „Noch gibt es Menschen, die, über die Welt verstreut, sorgsam darüber wachen, dass die Reinheit des Bauhausgedankens erhalten bleibe. Sie sind Zeugen dafür, dass der Begriff ›Bauhaus‹ eine menschliche Komponente erster Ordnung einschloss, die von der Kollektivarbeit in Schule und Werkstatt bis zur Privatsphäre künstlerischer Betätigung allgegenwärtig war.“

Service

Ausstellung

„Lucia Moholy – Das Bild der Moderne“,

bis 22. Januar 2023,

Bröhan-Museum, Berlin,

broehan-museum.de

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