Die Bildgießerei Noack in Berlin ist eine der ältesten ihrer Art. Wir sprachen mit der Kuratorin Isabella Mannozzi über 125 Jahre Firmengeschichte, Ernst Barlach und ihre Ausstellungsarbeit
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03.06.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 10/22
Isabella Mannozzi ist Chefkuratorin bei Hermann Noack, einer der fünf ältesten Kunstgießereien weltweit. Heute besitzt das Berliner Unternehmen eine 400 Quadratmeter große Werkstattgalerie, deren Historie vor 30 Jahren am alten Standort mit einer Ausstellung des Zero-Künstlers Heinz Mack begann. Nach dem Umzug 2012 nach Charlottenburg zeichnete Mannozzi für zahlreiche Ausstellungen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts verantwortlich. Aktuell zeigt sie eine Schau zu den Anfängen der klassisch-modernen Bildhauerkunst mit Ernst Barlach, der die Inspirationen für seine neue Formgebung in den heute umkämpften Kriegsgebieten der Ukraine fand. Sebastian C. Strenger traf Isabella Mannozzi in ihren Räumen bei Noack und sprach mit ihr über Sammlungs- und Ausstellungsaktivitäten, die Arbeit im Team und die stetige Herausforderung, Ausstellungen weitgehend frei von Wissenschaft und Akademismus zu halten.
Noack ist eine Institution. Was macht sie dazu?
Wir haben gerade die Ausstellung „125 Jahre Bildgießerei Hermann Noack“ in Vorbereitung. Diese Ausstellung wird eine Reise durch die weltweite Kunstgeschichte sein, denn Noack galt international bereits seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts als erste Adresse für den Bronzeguss – und daran hat sich bis heute nichts geändert. Mit der Neuherstellung prominenter Denkmale wie der Quadriga von Johann Gottfried Schadow für das Brandenburger Tor, dem Guss der „Berliner Bären“ nach dem Entwurf von Renée Sintenis für die Film-Berlinale oder der Restaurierung der „Viktoria“ von Drake auf Berlins Siegessäule hat Noack zudem das Gesicht der deutschen Hauptstadt mitgeprägt. Und nicht nur davon wird diese Ausstellung erzählen.
Was ist das Besondere der gegenwärtigen Barlach-Ausstellung?
Ernst Barlachs plastisches Œuvre gehört zu den Höhepunkten der Moderne und der Geschichte der Bildgießerei, die das umfangreiche, komplexe und bis heute anrührende Werk des Künstlers in Gänze gegossen hat. Das war auch der Grund, warum wir diese umfassende Schau geplant haben. Nun findet sie bedauerlicherweise zum Zeitpunkt dieses schrecklichen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine statt – eine Region, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts größte Einflüsse auf die westeuropäische Kunst und insbesondere auf das Werk Ernst Barlachs hatte.
Wie das?
Im Sommer 1906 brach der 36-jährige Barlach gemeinsam mit seinem Bruder Nikolaus ins damalige Südrussland auf – in die heute umkämpften Gebiete um Kiew, Charkow und Donezk. Zu diesem Zeitpunkt sah er die deutsche Bildhauerei an einem Tiefpunkt angelangt. Er verachtete die Moden der Zeit, vornehmlich die Salonplastik und den Neobarock. Doch auch mit seinem eigenen Werk war er keineswegs zufrieden. Vielmehr strebte er einen ganz eigenen Stil an, der ihm authentischer Ausdruck für die Lage des Menschen in seiner Zeit sein sollte. Doch mit seinen überfrachteten, vom Jugendstil geprägten Entwürfen sah er sich von diesem Ziel noch weit entfernt.
Und dieses historische Ergebnis präsentiert diese Ausstellung?
Eben! In seiner Autobiografie von 1928 schrieb Barlach: „Rußland gab mir seine Gestalten“. Die monumentale Weite der Landschaft und die Menschen, deren Leben durch Armut und Entbehrung geprägt waren – Bauern, Bettler und Hirten –, zeigten ihm den Weg zu künstlerischer Wahrhaftigkeit. Neben Mahnmalen widmete sich Barlach in seiner äußerst produktiven Phase Ende der 1920er-Jahre auch anderen Aspekten des menschlichen Seins und verlieh ihnen mit seinen reduziert-expressiven, überzeitlichen Gestalten Ausdruck. 1928 entstand etwa „Der singende Mann“, der perfekt die Versenkung und Verspieltheit des Singens mit einfachen Mitteln fühlbar macht, indem die Figur ganz auf die Körperspannung und charakteristische Haltung hin entworfen ist. Wie man aktuell bei uns sehen kann …
Und das Highlight der Schau ist?
Ein Modell von Barlachs „Schwebendem Engel“, den man aus dem ostdeutschen Güstrow kennt, der über Jahrzehnte den Begriff „Friedensmal“ geprägt hat – und der vor dem Hintergrund des heutigen Ukraine-Konflikts aktueller ist denn je. Daher beginnt die neue Generation gerade auch, sich für diese sonst eher verstaubte Position zu interessieren … Die Spannung zwischen dem „Erlebnis der Minuten“ mit einem Material wie Bronze, das auf unabsehbare Dauer angelegt ist, wurde für Barlachs Arbeit grundlegend. Sie verband sich mit einem untrüglichen Gefühl für die Balance zwischen Expressivität, Zurückgenommenheit und das Moment existenzieller Spannung im menschlichen Körper. Das ist in der figürlichen Sprache etwas Konkretes, nicht etwa wie heute bei konzeptueller und minimalistischer Kunst. Viele unserer Besucher gehören der Generation Y an.