Zum ersten Mal ist es einem afrikanischen Staat südlich der Sahara gelungen, bedeutende Kunstwerke aus Europa zurückzubekommen. Nun sind sie in einer Ausstellung in Cotonou zu sehen
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07.04.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 199
„Wenn Frankreich Kunstwerke aus den ehemaligen Kolonien zurückgibt, dann wird das wie der Fall der Berliner Mauer sein – oder die Wiedervereinigung beider Koreas.“ Das äußerte 2018 der damalige Kulturminister der Republik Benin. Er wollte damit sagen: Er glaube nicht daran. Und sollten Restitutionen doch irgendwann tatsächlich erfolgen, hätte das grundlegende geopolitische Folgen für die afrikanische Kunst weltweit.
Die Mauer fiel am 9. November 2021. An diesem Tag unterschrieben in Paris die Kulturminister von Frankreich und Benin in Anwesenheit der Präsidenten Emmanuel Macon und Patrice Talon den Rückgabeakt von 26 monumentalen Statuen, Architekturelementen, Textilien und spirituellen Gegenständen aus dem Königreich Dahomey. Sie waren als Folge einer blutigen Militärexpedition der französischen Armee 1892 nach Paris gekommen. Am 10. November, nach 129 Jahren Abwesenheit, landeten diese 2,5 Tonnen historischen Materials auf dem Flughafen von Cotonou. Sondersendungen in allen beninischen Fernsehkanälen und die Titelseiten der Tageszeitungen bezeichneten den Tag als „Historique!“.
Riesige Willkommensplakate zierten die Stadt, und Menschenmengen scharten sich an der Hauptstraße zwischen Flughafen und Innenstadt, um den auch im Internet live zu verfolgenden Zug der einfahrenden Lastwagen voller Kulturgut zu begrüßen. Südkoreanische Zeitungen und die New York Times berichteten. Zum allerersten Mal seit den Unabhängigkeiten im Afrika der 1960er-Jahre ist es einem afrikanischen Staat südlich der Sahara gelungen, bedeutende Elemente seiner materiellen Kultur von einer ehemaligen europäischen Kolonialmacht zurückzubekommen. Nicht nur die Geopolitik des afrikanischen Kulturerbes verändert sich damit grundlegend. Auch die Geopoetik tritt in eine neue Ära.
„Kunst in Benin gestern und heute: Von der Restitution zur Offenbarung“, unter diesem Titel wurde eine spektakuläre Zwillingsausstellung in Cotonou eröffnet, die Mitte Juli in die zweite Runde geht. Für sie ließ die Regierung den ehemaligen Nationalpalast, einen schlanken, eleganten Bau der ersten Unabhängigkeitsjahre, in eine vornehme Ausstellungshalle umwandeln. Der Eintritt ist frei. Auf 2000 Quadratmetern empfangen über hundert Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler die 26 aus Paris zurückgekehrten Werke aus dem Königspalast von Abomey.
Am Anfang steht die Vergangenheit. Gleich im Vorraum erinnert die Schau an die Plünderung der Werke durch den Offizier Alfred-Amédée Dodds, als sich Frankreich in dieser westafrikanischen Region im Angriffskrieg gegen die etablierten Königreiche einen „Platz an der Sonne“ sichern wollte. Kolonisierung und Restitution hängen zusammen. Doch wird Letztere in der Ausstellung nie als Akt eines postkolonialen Sieges stilisiert. „Die Rückgabe eines Kunstwerks oder Dokuments an das Land, in dem es entstanden ist, ermöglicht es einem Volk, einen Teil seiner Erinnerung und Identität wiederzuerlangen. Sie ist ein Beweis dafür, dass der lange Dialog zwischen den Kulturen, der die Weltgeschichte ausmacht, zwischen den Nationen in gegenseitigem Respekt fortgesetzt wird.“ Die berühmten Worte des Senegalesen Amadou Mahtar M’Bow, von 1974 bis 1987 Generaldirektor der UNESCO in Paris, bestimmen den Ton der Ausstellung.
Tatsächlich geht es in der Republik Benin des Jahres 2022 zunächst um die Wiederanknüpfung an die eigene Geschichte. Kurator des historischen Ausstellungsteils ist Alain Godonou, der als Gründungsdirektor der École du Patrimoine Africain und langjähriger Begleiter des in Rom ansässigen Studienzentrums für die Erhaltung des Kulturerbes (ICCROM) die zurückgekehrten Objekte in Beziehung zur dynastischen Geschichte „der Könige und der Königin“ von Danxomè setzt. So stehen die 26 zurückgekehrten Kulturdenkmäler, die monumentalen zooanthropomorphen Statuen der Könige Glèlè, Béhanzin und Ghezo, ihre Throne und silbernen Gedenkstäbe in der Schau nicht nur als wohlinszenierte handwerkliche Leistungen oder ästhetische Kostbarkeiten da. Sie erzählen dank präziser Erläuterungen und smarter Grafiken von der weit in die Vergangenheit zurückreichenden, selbst in Benin heute selten erzählten Geschichte eines von der französischen Kolonialmacht zerstörten Königreichs, überhaupt von der Existenz einer vorkolonialen politischen Ordnung in dieser linguistisch, künstlerisch und spirituell hoch entwickelten Region Afrikas.
An den Wänden holen Zitate in Fon, einer der fünf meistverbreiteten Sprachen im heutigen Benin, alte Vorstellungswelten in die Gegenwart. „Kini Kini asi nϽ wadan hu adan do nyaxe do vi tϽ lἑ ji!“ – Löwinnen sind gefährlicher als Löwen, weil sie ihre Kleinen verteidigen müssen. In einem separaten Kabinett liegt, beleuchtet wie ein Juwel, die gestreifte Tunika einer Agoodjié aus dem Corps der Amazonen, jener legendären, als unverwüstlich geltenden weiblichen Einheit der Armee von Danxomè. Dieses Stück Frauenpower leitet in den nächsten, zeitgenössischen Ausstellungsteil über.