Manuela Alexejew

„Kunst muss sich ins Leben integrieren“

Manuela Alexejew und Carlos Brandl haben mit Passion und Spürnase eine hochkarätige Kunstsammlung aufgebaut. Davon erzählt nun ein Buch im Steidl-Verlag. Ein Hausbesuch in Berlin

Von Simone Sondermann
31.10.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 184

Als Manuela Alexejew den kleinen schmalen Mann aus Luxemburg das erste Mal traf, ahnte sie nicht, welch Schwergewicht der Kunst er mal werden sollte. Es war das Jahr 1992, und die Berliner Galeristin Carsta Zellermayer präsentierte einen 25-Jährigen, der gerade sein Kunsthochschulstudium in Stuttgart absolviert hatte und dabei war, ins chaotische Nachwende-Berlin mit all seinen verführerischen Freiräumen umzuziehen. Auf der Website der Galeristin sieht man heute noch einige leicht unscharfe Farbfotografien der „Meister Proper“-Siebdrucke, Hasenmasken und „geilen Weihnachtsmanntapete“, die Michel Majerus damals hier ausstellte. So ganz überzeugten sie Manuela Alexejew nicht davon, dass der junge Mann „mal ein ganz Großer werden“ würde, wie die Galeristin emphatisch versicherte. Dennoch gab sie eine kleine Arbeit bei ihm in Auftrag: Majerus sollte den Stoffbezug von sechs Kissen bedrucken. Er nahm freudig an und versah die Heimdekoration mit Weihnachtsmännern und pornografischen Texten. Von Manuela Alexejew mal als nettes Geschenk für Freunde gedacht, waren sie damit nur noch was für den Hausgebrauch.

Zehn Jahre später hatte Majerus eine Weltkarriere hingelegt und zeigte seine raumfüllende Pop-Art in der führenden Galerie Neugerriemschneider. Berlin war mittlerweile internationale Kunsthauptstadt, und wer etwas auf sich hielt, kam zur Eröffnung. „Er sprang mir auf den Rücken und sprach mich sofort auf die Kissen an, die er damals für mich gemacht hatte“, erinnert sich Alexejew. Kurz danach starb Majerus bei einem Flugzeugabsturz auf dem Weg von Berlin nach Luxemburg. Das 4,5 Meter breite Gemälde „Splash Bomb“, das heute im Salon ihres Charlottenburger Lofts hängt, ist neben den Kissen ihr einziges Majerus-Werk. Manuela Alexejew und ihr Mann Carlos Brandl kauften es post mortem bei einer großen Charity-Auktion. „Es ist das letzte Bild, das er vor seinem Tod gemalt hat“, erzählt sie traurig. Neben der riesigen Leinwand hängt eine Fotografie des freundlich lächelnden Künstlers.

Wenn Manuela Alexejew von ihren Kunstwerken erzählt, sprüht sie vor Geschichten dazu. Die von Majerus ist die traurigste, aber sie ist auch beispielhaft für die Nähe von Kunst und Leben im Denken und Fühlen der Berliner Sammlerin. „Das ist das Leben“ ist eine Wendung, die sie häufig benutzt. Sie spricht über die Werke, die ihre großen Räume bevölkern, mit einer Begeisterung und Zärtlichkeit, als wären es enge Freunde. Das ist deshalb so beeindruckend, weil ihre Kunst fast ausnahmslos von sehr hoher Qualität ist und nicht weniges in den großen Museen dieser Welt einen Platz haben könnte. Stattdessen stehen und hängen die Werke in einer herrlich eklektizistisch eingerichteten Fabriketage gemeinsam mit aufwendig intarsierten Wiener-Werkstätte-Sesseln von Josef Hoffmann, einer Hohenzollern-Kommode aus dem gesprengten Berliner Stadtschloss, Meissener Porzellan und jeder Menge Kissen, Büchern und Designerlampen. Es gibt hier Kunst von Yayoi Kusama und Ernst Wilhelm Nay, von Alicja ­Kwade und Gregor Hildebrandt, ein monumentales Porträt von Otto Dix aus den Dreißigerjahren und eine Skulptur von Henry Moore, kleine und große Gemälde von George Condo, Allen Jones und William ­Copley – ein Stelldichein der illustren Namen aus Postwar und Gegenwartskunst.

Manuela Alexejew und Carlos Brandl in ­ihrem Charlottenburger Loft
Manuela Alexejew und Carlos Brandl in ­ihrem Charlottenburger Loft vor einem abstrakten Kunstdialog: Gerhard Richters Ölgemälde von 1983 trifft auf ­Martha Jungwirths Komposition von 2015. © Trevor Good/Gerhard Richter 2021 (07042021)

Wie diese Sammlung über die Jahre entstanden ist, ist ebenso schillernd wie die Lebenswege der beiden Besitzer. Und sie ist ein Stück Berliner Geschichte, wie sie sich so wohl nur im alten Westberlin und in der vor Möglichkeiten strotzenden Nachwendezeit zutragen konnte. Als das Paar in den 2000er-Jahren ihr 500 Quadratmeter großes Loft in einem Industrieensemble entdeckte, das ehemalige kaiserliche Postamt, war es „eine Bruchbude“, wie Manuela Alexejew berichtet. „Es gab kein Wasser, keine Toiletten.“ Sie hat viel Liebe und Arbeit in den Umbau und die Einrichtung gesteckt. Und konnte sich dabei auf ihr beim Designstudium an der Kunsthochschule geschultes Auge verlassen.

Wie unterhaltsam Manuela Alexejew von ihrem Leben mit der Kunst erzählen kann, begeisterte auch den Autor und Moderator Thomas Kausch auf Anhieb, als sie mal bei einem Abendessen zusammensaßen. Es entstand die Idee zu einem Buch, das nun im Steidl-Verlag erschienen ist. Es erzählt anhand ausgewählter Kunstwerke der Sammlung von den markanten Lebensstationen Alexejews und Brandls.

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