Im 16. Jahrhundert entstand in den südlichen Niederlanden die Landschaft als autonome Bildgattung. Die Blüte der flämischen Malerei hielt lange an und sorgte dafür, dass auch heute noch viele herrliche Gemälde auf dem Markt sind. Es ist ein klassisches Sammelgebiet, das nichts von seiner Faszination verloren hat
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24.09.2020
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WELTKUNST Nr. 151
Ob in London oder Wien, in Köln oder New York – die Situationen gleichen sich: Wenn in den Altmeisterauktionen die visionären Landschaften von Roelant Savery oder Lucas van Valckenborch, von Jan Brueghel dem Älteren oder gar von Joachim Patinir aufgerufen werden, steigt die Aufmerksamkeit im Saal. Die Gemälde aus dem Flandern des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, in denen sich ein Kosmos zwischen Paradies und irdischer Welt auftut und selbst derbes Dorftreiben die Stille der Natur nicht übertönen kann, haben bis in unsere Tage ihr Geheimnis und ihre malerische Schönheit bewahrt.
Keine Malergeneration zuvor hatte sich so konsequent getraut, die Madonnen, Heiligen und Stifter aus dem Bild oder zumindest an den Rand zu schieben und das Auge auf nichts anderes zu lenken als auf schroffe Felsen, auf weite, von Flüssen durchzogene Ebenen oder auf undurchdringliche Wälder. Schon vor 1550 fand in Brüssel und Antwerpen die Entdeckung der Landschaft als eigenständige Gattung statt. Das Mittelalter hatte sich verabschiedet. Die Renaissance mit ihrem Interesse an humanistischen und wissenschaftlichen Fragen, die Entdeckung ferner Kontinente: Das brachte ein verändertes Weltbild hervor – sowohl im Geiste als auch in künstlerischen Dingen. In den Wunderkammern bestaunte man exotische Vögel, seltene Gesteine oder den Federschmuck des Aztekenherrschers Montezuma. Und in den flämischen Malerwerkstätten wuchs das Interesse an den schwer zu fassenden Erscheinungsformen der Natur in dem Maße, wie die Marienverherrlichung zurückging.
Der Antwerpener Patinir war einer der Bahnbrecher dieser Entwicklung. Schon um 1515 setzte er religiöse Szenen wie Nebensächlichkeiten in weite Landschaftspanoramen. Er war ein Meister der bizarren Felsen, die er zuweilen wie monströse Gebilde in den Vordergrund setzte, um dann das Auge dahinter in eine gemäßigte Flusslandschaft zu lenken, an deren Ufern er Dörfer, Städte, Hirten und Bauern, Rehe und Vögel platzierte. Am Horizont verdichtet sich die Luft zu blauem Dunst, die Berge schimmern in atmosphärischem Licht, das im wahren Leben nur erlebt, wer aus großer Ferne schaut.
Topografische Genauigkeit ist nicht das Ziel. Es geht um die Darstellung des Sichtbaren in der Natur. Als seien sie Versatzstücke, werden elementare Teile einer Landschaft zu einem großen Ganzen vereint. Wie aus derVogelperspektive gibt der Maler die Vision von einer Welt wieder: ein Spiegel göttlichen Schöpfertums. Für diesen Bildtypus, dessen Entstehung ohne die Entwicklungen in der Kartografie wohl nicht möglich gewesen wäre, hat die Kunstwissenschaft die Begriffe „Überschaulandschaft“ oder „Weltlandschaft“ eingeführt.
Schon im 15. Jahrhundert kannte die Kunst Weltlandschaften. Jan van Eyck etwa setzte sie um 1435 wie einen Paradiesgarten als perspektivischen Ausblick hinter die luftige Schauarchitektur seiner „Rolin-Madonna“. Und auch im Hintergrund von Leonardos „Mona Lisa“ von 1503 entfaltet sich eine Landschaft, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Umso kühner müssen die prächtigen Weltlandschaften von Patinir und seinen unmittelbaren Nachfolgern wie Herri met de Bles, Jan van Amstel oder Matthys Cock damals gewirkt haben. Das waren keine Andachtsbilder mehr, und das biblische Motiv verkümmerte zum Vorwand, um der Natur Aufmerksamkeit zu schenken und Bilder zu komponieren, die ebenso fantastisch wie wahrhaftig anmuten.
Die Landschaft wurde zum Selbstzweck der Malerei. Und während Herri met de Bles die Felslandschaften Patinirs noch überhöhte und ausgehöhlte, verwitterte Steinformationen erfand, die aussehen, als hätten sie dem ewigen Westwind nicht trotzen können und als wäre die Welt in Bewegung geraten, hat Jan van Amstel seine Weltlandschaften wolkig und mit einem Hauch von Romantizismus gemalt. Als Amstel, der 1542 starb, seine Gemälde schuf, stand die flämische Landschaft noch am Anfang ihrer Entwicklung. Aber das Epochale dieses Schritts zu etwas Neuem umriss er ziemlich klar: „Das eigentliche Verdienst der Niederländer ist es, Landschaften schön zu malen; das der Italiener aber Menschen und Götter.“
Nordeuropa erlebte eine andere Renaissance als Italien. Es war Hauptschauplatz der Reformation und des Zweifels am Führungsanspruch der römischen Kirche. Gottesfürchtig, aber nicht klerikal devot malte die Kunst sich frei. Brüssel und Antwerpen liefen Mitte des 16. Jahrhunderts Kunstzentren wie Mechelen oder Brügge den Rang ab. Ihre kulturelle Strahlkraft hatten die südlichen Niederlande schon durch die burgundischen Könige erhalten, noch bevor das ganze Land 1477 Teil des Heiligen Römischen Reiches und von den Habsburgern regiert wurde. 1522 fielen die Niederlande durch die habsburgische Erbteilung an die spanische Krone. Antwerpen mit seinem ausgebauten Hafen und dem Alleinrecht über den Gewürzhandel wurde Weltstadt und Wirtschaftszentrum. Für Künstler ein Eldorado, politisch ein Minenfeld. Die Verfolgung der Protestanten durch Karl V. und seinen Sohn Philipp II. führte 1568 zum Ausbruch des Achtzigjährigen Krieges zwischen den sieben abtrünnigen Provinzen im Norden, die sich 1581 als unabhängige Republik erklärten, und den spanischen Besatzern im Süden.
Aus der Zeit vor 1550 sind nur wenige Landschaftsmaler mit Namen bekannt. Die Forschung aber sorgt im Meer der anonymen Landschaften immer wieder für Überraschungen wie beim sogenannten Meister der weiblichen Halbfigur. Porträts von ihm sind schon seit Langem im Blick der Kenner. Aber erst nach 2000 wurde ihm eine weite „Landschaft mit der Bekehrung des heiligen Paulus“ zugeschrieben, entstanden um 1545. Es ist die einzige bislang bekannte Landschaft des Malers, die in ihrem Stil schon die Abkehr von der Schroffheit früher Szenerien andeutet. Mitte November kam das Gemälde, das trotz der dramatischen Szene von einer himmlischen Ruhe geprägt ist, bei Lempertz zur Taxe von 100.000 bis 140.000 Euro zum Aufruf. Am Ende erzielte es mit Aufgeld 409.000 Euro. Mariana Hanstein, Altmeisterexpertin des Kölner Auktionshauses, hat bereits viele flämische Landschaften in den Händen gehabt und meint: „Es ist immer wieder die Schönheit dieser Bilder, die die Sammler fasziniert. Aber bezahlt wird letztlich die belegte, gesicherte Schönheit.“
Ein Blick in die Auktionsdatenbanken lässt keinen Zweifel daran: In diesem Frühjahr zeigte eine Landschaft mit der Flucht nach Ägypten von Adriaen Isenbrant bei Sotheby’s New York das Potenzial dieser Malerei. Die Tafel erzielte samt Aufgeld 760.000 Dollar. Ein klassisches Motiv aus der Werkstatt Patinirs wie „Der Heilige Hieronymus in der Einöde“ allerdings veräußerte das Wiener Dorotheum im April für nur knapp über 30.000 Euro. Auktionsrekord für Herri met de Bles ist 360.000 Pfund. In den 1930er-Jahren entdeckte der Kunsthistoriker Max Friedländer, dass der Maler als Signatur eine kleine Eule im Bild versteckte. So konnten ihm bislang rund 100 Werke zugeordnet werden.
Wirklichkeitssinn und Stilvielfalt
Einen neuen Ton in der flämischen Landschaftsmalerei schlug Mitte des 16. Jahrhunderts Pieter Bruegel der Ältere an. Die irrealen, wie Kulissen zusammengeschobenen Weltlandschaften überließ er anderen; Bruegel näherte sich der realen, sichtbaren Welt. Erstmals finden wir bei ihm Fels- und Gebirgslandschaften, die der Maler so offenbar tatsächlich gesehen hat. Bruegel erreichte einen Grad an Naturwahrheit, an den sich zuvor kaum einer heranwagte. Überwältigend muss der Eindruck der Alpen gewesen sein, den er in Zeichnungen festhielt, die er 1554 von seiner Italienreise mitbrachte. Etwa kahle, mächtige Gesteinsformationen und tiefe Schluchten, die sich am schmalen Gebirgspass entlangzogen. Ein neuer Landschaftstyp emanzipierte sich neben der Weltlandschaft.
Ein künstlerisches Erdbeben löste Bruegel mit der „modernen Landschaft“, wie sie oft genannt wird, bei seinen Zeitgenossen nicht aus. Aber eine Wahlverwandtschaft ist bei Joos de Momper zu erkennen. Wohl ebenfalls durch eine Italienreise von der Erfahrung des Hochgebirges geprägt, hat er bis ins 17. Jahrhundert hinein variantenreich und nicht ohne emotionale Ausdruckskraft monumentale Gebirgslandschaften gemalt, in deren Details er einen hohen Wirklichkeitsgehalt anstrebte. Bei Christie’s London wurde vor sechs Monaten die durchaus Alpenassoziationen hervorrufende großformatige „Gebirgslandschaft mit Reisenden“ für knapp 250.000 Pfund brutto versteigert.
Eine Reihe von Malern hatte sich kurz nach 1550 von der inzwischen konventionell gewordenen Überschaulandschaft alten Stils gelöst. Das einst alttestamentarisch Beliebige wird ersetzt durch topografisch näher zu bestimmende Schauplätze und Versatzstücke, die Vegetation wird wichtiger, Baumgruppen und dörfliche Ensembles nehmen einen prominenteren Platz ein. Die biblischen und mythologischen Sujets verschwinden zum Teil völlig aus dem Bildgeschehen.
Von einem einheitlichen Stil kann in dieser Zeit nicht die Rede sein. Während Lucas Gassel der Tradition treu blieb, ist bei Jacob Grimmer der Einfluss Pieter Bruegels zu spüren. Hans Bol in Mechelen pflegte ein breites Repertoire von Stadtansichten bis zu frei komponierten Landschaften mit Burgenstaffagen. In seiner zwischen milchigen Grautönen und kräftigem Grün angelegten „Landschaft mit der Rückkehr Jakobs von der Hochzeit zu Kana“ (1593), derzeit von Koetser in Zürich angeboten, hat er am Hochufer eines Flusses eine gotische Kirche platziert. Auch Lucas van Valckenborch, der in Mechelen, aber auch in Linz tätig war, scheint Bruegels innovative Verknüpfung von Wirklichem und Imaginärem zu zahlreichen neuen Bildfindungen inspiriert zu haben. Was ihn dennoch nicht abhielt, weiterhin an der Weltlandschaft festzuhalten.
Denn gefragt waren bis weit ins 17. Jahrhundert hinein alle Genres der neuen Bildgattung. Klaus Ertz, einer der besten Kenner der flämischen Malerei, vertritt die Auffassung, dass durch das Ersticken alles Religiösen im Sittenbild der freie Kunstmarkt einen Quantensprung machte. Die heiteren bis leuchtenden, ganz ohne sakrale Demutsforderung auskommenden und dennoch die Fülle der Schöpfungselemente enthaltenen Kompositionen waren für die Zeitgenossen ebenso kontemplativ wie anregend. Und sind es bis heute, denn die naturhafte Tiefenwirkung verführt zum endlosen Schauen. Von Anfang an hatte sich eine Bildstruktur durchgesetzt, die unendliche Sicht suggeriert. Vom meist bräunlichen Vordergrund setzt sich das Geschehen in einem grünlich gehaltenen Mittelfeld fort, um in der sogenannten atmosphärischen Perspektive – erzeugt durch viele dünn aufgetragene Lasurschichten – in zartem Hellblau zu enden. Mit großer Präzision sind selbst Details im Hintergrund dargestellt. Der Unterschied zwischen Nah- und Fernsicht ist aufgehoben. Weiter, als das Auge schauen kann: Das war die neue Welterfahrung in diesen Bildern.
Die Menschen der Renaissance waren neugierig auf alles Neue und Fortschrittliche. Das erklärt die große Nachfrage in ganz Europa. Nicht nur die Wettiner im fernen Sachsen kauften 1587 einige Kabinettstücke von Hans Bol. Der Herzog von Mantua ließ sich von seinen Kunstagenten gleich Hunderte von flämischen Landschaftsgemälden vorführen. Und von Antwerpen aus ging die neue Bilderware kistenweise per Schiff bis nach Spanien und Portugal. Von der Euphorie profitierte wahrscheinlich auch Paul Bril, der seit 1582 in Rom blieb und die flämische Landschaft mit antiken Ruinen kreuzte.
Doch die große Popularität hatte ihre Kehrseite: Massenproduktion kam in Gang. Die vielen Kopien, Wiederholungen und Adaptionen bedeutender Bildfindungen machen die Zuschreibung heute oft problematisch. In Mechelen in der Nähe von Antwerpen soll es um 1600 allein 150 Werkstätten gegeben haben, die im Schnellverfahren wiederholten, was in ganz anderer, hoher Qualität die Ateliers der Meister verließ. „Was damals als Dekoration gesehen wurde, hat auch heute den Status der Dekoration“, sagt Alexander Graf Strasoldo vom Dorotheum in Wien. „Aber es gibt auch im Umkreis oder in der Folge großer Namen sehr qualitätvolle Werke für fünfstellige Summen.“
Pieter der Ältere, der Gründer der Malerdynastie Bruegel (auch Brueghel oder Breugel, wie sich seine Nachfahren nannten), hatte mit seinen wirklichkeitsnahen Gebirgsformationen zwar ein neues Fenster aufgestoßen, doch vor allem mit seinen Winterlandschaften brachte er eine Lawine ins Rollen. Ursprünglich Teil von Jahreszeitenzyklen in Stundenbüchern, wurden in ihnen der Wechsel der Natur, aber auch Alltagssituationen, Feste wie die Fastnacht oder biblische Geschichten dargestellt, bei Bruegel etwa der Bethlehemitische Kindermord.
Lucas van Valckchenborch, Abel Grimmer, Denis van Alsloot, später der Holländer Hendrick van Avercamp hinterließen herrliche Ansichten vom munteren Eisvergnügen oder von verwunschenen Schneeidyllen. Gijsbrecht Leytens beherrschte das Genre besonders subtil und entrückte die Szenerien mit kristallin schimmerndem Raureif der Wirklichkeit. Mit etwas Glück kann man ein anonymes Stück für weniger als 10.000 Euro finden. Die Meister dieser Spezies aber haben längst sechsstelligen Sphären erreicht. Etwa Leytens, dessen „Winterlandschaft mit Reisenden“ 2015 bei Bonhams in London inklusive Aufgeld 110.000 Pfund erforderten, oder Grimmers verschneite Dorflandschaft, die im gleichen Jahr bei Koller in Zürich knapp 110.000 Schweizer Franken kostete.
Unter der Oberfläche des Wintertreibens können durchaus tiefere Botschaften schlummern. Pieter Bruegels „Jäger im Schnee“ und seine „Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle“ stecken voller Zeichen, die sich als Stimmungsbarometer einer unruhigen Zeit lesen lassen. In den Niederlanden loderten heftige religiöse Auseinandersetzungen. Das fahle Dämmerlicht und die melancholischen, beutelosen Jäger, die Starre der Landschaft und die schwarzen Vögel wurden schon als apokalyptische Bezüge gedeutet. Bruegels berühmte Vogelfalle in der „Winterlandschaft“, Sinnbild für den Köder des seelenheischenden Teufels, öffnet im Bildvordergrund ihre gefährliche Konstruktion und mahnt, dass das Gleiten auf dem Eis für Tier wie für Mensch Tücken und Versuchungen hat. Und die vielen Schlittschuhläufer auf dem benachbarten Teich – auch sie ein Gleichnis für die Brüchigkeit des Lebens.
Als dieses bis heute höchst populäre Gemälde 1565 entstand (die Urfassung ist wohl die im Königlichen Museum in Brüssel), erlebte Europa gerade die Kleine Eiszeit. Gerade der Winter 1564/65 soll besonders hart gewesen sein. Bis ins 17. Jahrhundert hinein herrschte die extreme Frostperiode und sorgte für Missernten und Hungersnöte. War die Landschaft mit den Eisläufern und der Vogelfalle also ein Bild der Stunde? Wieder und wieder wurde es gemalt. Nach dem Tod des älteren Bruegel 1569 setzen seine Söhne Jan Brueghel d. Ä. und Pieter Brueghel d. J. die Reihe der Repliken fort. Mehr als 120 Versionen sind heute bekannt, etwa 40 davon signiert. Für nicht ganz 4 Millionen Pfund hat Sotheby’s 2014 eine vom jüngeren Pieter Brueghel signierte Tafel verkauft. Fassungen ohne Signatur wechselten im Dorotheum und bei Artcurial in Paris jüngst für je etwa eine halbe Million Euro die Besitzer.
Der Name der Malerdynastie Brueghel hat Goldstatus. Der international agierende Händler Richard Green erwarb im November 2017 für nicht ganz 1,5 Millionen Euro brutto bei Lempertz eine in herrlichem Himmelsblau aufglühende Flusslandschaft von Jan Brueghel d. Ä. Ein Wiedersehen mit dem Gemälde gab es dann im März 2018 auf der Tefaf, mittlerweile wurde es für eine ungenannte Summe verkauft. „Doch auch bei Brueghel gibt es große Differenzen“, betont Mariana Hanstein von Lempertz.
Unterschiede gibt es übrigens auch in Bezug auf den Malgrund. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts löste die Leinwand die Holz- und Kupfertafeln vollständig ab. Bei den flämischen Landschaftsbildern haben wir es darum noch mit allen drei Farbträgern zu tun. Und für sie gilt allesamt, dass mehr als 55 bis 60 Prozent Luftfeuchtigkeit, Temperaturen über 23 Grad, zu direkte Sonneneinstrahlung und Nikotin ein konservatorisches Problem sind. Darauf sollte man sich als Sammler zu Hause einstellen.
Besondere Sorgfalt erfordern die klimatischen Bedingungen für Ölmalerei auf Holz. Eine konvex verzogene Tafel ist mitunter irreversibel und kann leicht zu Schäden der Malschicht führen. Ist diese noch intakt, gibt es immerhin die Möglichkeit der Parkettierung: der Planierung der Tafel durch Einsetzen von keilförmigen Streifen auf der Blindseite. Ein Blick auf die Rückseite einer Holztafel vor dem Kauf ist also auf jeden Fall Teil des Zustands-Checks.
Die Landschaft war ein Feld des Experimentierens, des Ausprobierens, des Fabulierens und Fantasierens. Weltlandschaften, Flusslandschaften, heitere Dorflandschaften, surreale Höllenlandschaften: Im letzen Drittel des 16. Jahrhunderts explodierte das Repertoire an Motiven und Sujets. Und trotz der in Mode gekommenen prallen, lebensnahen Bauernszenen – wer sich der Landschaft widmete, wollte doch immer noch das Paradies auf Erden malen. War im Alten Testament die Wüste der Rückzugsort der Eremiten und Weltabgeschiedenen, so wurde nun der Wald zum Refugium der Stille, der Harmonie und der Nachdenklichkeit.
Wild wuchernde Naturräume mit imponierenden Baumgruppen als Reverenz vor dem Baumeister der Schöpfung: Waldlandschaften, so der Begriff der Kunstgeschichte, entsprangen völlig der Fantasie, wenngleich die Details so real wie möglich dargestellt wurden. Wegbereiter gab es viele, aber dieMalergeneration um Jan Brueghel d. Ä., der selbst mit Bildern wie „Waldinneres“ hervortrat, gab diesem Bildtyp einen kräftigen Schub. Abraham Govaerts etwa zelebrierte in seinen Waldlandschaften, in denen sowohl mythologische als auch genrehafte Staffagen wie Hirten und Tiere integriert sind, die ständige Bewegtheit der Natur. Die Äste und Baumstämme biegen sich, Blätter flattern im Wind wie kleine Fähnchen.
Diese Technik setzte Govaerts’ um 1600 geborener Schüler Alexander Keirinxc fort. Auch im Werk von Kerstiaen de Keuninck spielte das Waldmotiv eine große Rolle. Als Meister der Waldlandschaft aber wird Gillis van Coninxloo gefeiert. Er ging ganz nah an die Bäume heran und überzog seine oft menschenleeren Waldstücke mit einem Dickicht, in dem die Baumkronen zu theatralischen Protagonisten werden. Und das Beste für den Sammler: Coninxloo, Keuninck, Govaerts oder Keirincx bieten, mit einiger Kennerschaft, noch viel preislichen Spielraum im vier- und fünfstelligen Bereich.
Denn bis heute ist meist nur ein schmaler Ausschnitt des Œeuvres dieser und vieler anderer Künstler wirklich erforscht und gesichert zugeschrieben. Umkreis, Nachfolger, Werkstatt, Kopie – das sind Kategorien, die preisbestimmend sind. Ein Beispiel: Die zweifellos von Abraham Govaerts stammende Tafel „Die vier Elemente“ kostete im Frühjahr 2018 bei Im Kinsky in Wien mit Aufgeld rund 55.000 Euro. Die Govaerts nur vage zugeschriebene „Waldlandschaft mit Diana und Nymphen“ ging dagegen bei Hampel in München für gut ein Drittel in neue Hände.
Jede Terra incognita birgt Chancen. Das meint auch die Kunsthändlerin Maria Galen: „Das Interessante an diesem Markt ist doch, dass es im Schatten von großen Namen hervorragende Qualität zu entdecken gibt.“ In ihrer Galerie im westfälischen Greven hat sie den Beweis angetreten, dass man auch für 15.000 oder 8000 Euro, zuweilen sogar für noch weniger, exzellente Niederländer des 16. und 17. Jahrhunderts erwerben kann. „Aus dem Rubens-Umkreis sind viele grandiose Maler hervorgegangen. Nur muss man als Händler wie auch als Sammler die Bereitschaft mitbringen, sich damit auseinanderzusetzen“, so die junge Altmeisterexpertin. Jenseits des ausgereizten Spitzensegments hat auch der Berliner Sammler Christoph Müller mit dem Blick für malerische Könnerschaft über viele Jahre eine Sammlung zusammengestellt, die in ihrer Komplexität ein reiches Kapitel der holländischen und flämischen Malerei aufschlägt und 2013 als Geschenk des Mäzens vom Staatlichen Museum Schwerin mit Begeisterung in die Sammlung aufgenommen wurde.
Zurück zu den Akteuren der Zeit um 1700. Für Roelant Savery waren der Wald und Baumgruppen vor allem Teil einer paradiesischen Landschaft, in der Flamingos und Pelikane, Löwen, Schimmel und Kamele die Schöpfungsgeschichte bildhaft werden lassen. Typisch für seine Gemälde ist eine üppige, reiche Tierstaffage. Schon zu Lebzeiten Saverys, der zeitweise als Hofmaler bei Kaiser Rudolf II. in Prag in Diensten stand, sind sie in die großen Sammlungen gelangt. Wo heute die brillant-charmanten Paradiesbilder des Malers auftauchen, sind die Interessenten zur Stelle. Es spricht für sich, dass Anfang des Jahres in dem kleinen Auktionshaus von Walter Ginhart am Tegernsee ein großformatiges Werk auf 810.000 Euro schoss. Roelant Savery ist ein gutes Beispiel, dass das Werk eines Malers, soweit es bekannt ist, große Unterschiede aufweisen kann. Weniger paradiesische Sujets von ihm, mit Kuhherden und einheimischer Fauna, erreichen kaum ein Fünftel der Spitzenpreise.
Savery einen flämischer Maler zu nennen ist zweischneidig. In Antwerpen 1576 geboren, zog er bereits als Kind mit seinen Eltern nach Amsterdam. Aber seine Malerei steht ganz in der Tradition der südlichen Niederlande. In den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts waren viele, um der religiösen Verfolgung zu entkommen, in den toleranteren Norden oder nach Deutschland emigriert. Lucas van Valckenborch etwa zog bereits 1566 nach Aachen und ließ sich später in Frankfurt nieder. Gillis van Coninxloo verließ 1585 Antwerpen. Nach einem Intermezzo im kurpfälzischen Frankenthal, wo bereits andere protestantische Maler aus den südlichen Niederlanden wie Anton Mirou und Pieter Schoubroeck eine Künstlerkolonie gebildet hatten, ging er nach Amsterdam und befasste sich dort vor allem mit Waldlandschaften im typisch flämischen Stil.
Welchen Einfluss die flämische Malerei auf die Künstler im protestantischen Teil der Niederlande hatte, ist in vielen holländischen Gemälden des Goldenen Zeitalters erkennbar. Noch vor Jahren verfolgte die Kunstwissenschaft die gängige These: Die exzentrischen, fantasievollen Kompositionen stehen für Flandern, die realistischeren, nüchternen Landschaften für Holland. „Diese Sichtweise gilt heute als überholt. Im Süden entsteht zwar die Landschaft, aber sie geht auch schnell in den Norden über“, sagt Uta Neidhardt, die Kustodin für niederländische Malerei in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden. Nur eins, so die Kunsthistorikerin, unterscheide die beiden Regionen: Im Norden gibt es keine Weltlandschaften, dafür bei Jan van Goyen oder Salomon van Ruysdael dann die charakteristisch holländischen flachen Landschaften mit sehr tief platzierten Horizonten.
Die Renaissance ging ihrem Ende entgegen. Die Generation um Jan Brueghel d. Ä. prägte bis um 1620/30 das Geschehen. Peter Paul Rubens setzte zu dieser Zeit mit seinen dramatisch aufgeladenen Landschaften, in denen er scheinbar alle Kräfte der Natur wie Sturm und Sturzbäche, versöhnende Regenbögen und gleißendes Licht ins Spiel brachte, einen grandiosen frühbarocken Akzent und stieß eine neue Strömung an. Die einst ehrfurchtsvolle Huldigung vor dem Werk des Schöpfers verwandelte sich in Bewunderung der Natur. Bei David Teniers d. J., Adriaen Brouwer oder Lucas van Uden, der im Atelier von Rubens Hintergründe gemalt haben soll, entwickelten sich pittoreske Züge.
In Brüssel befreite sich um 1640/50 ein Kreis von Malern um Jacques Fouquier, ebenfalls Rubens-Schüler, und Lodewijk de Vadder von der Detailbesessenheit der Vorgänger. Mit großzügigem Pinselstrich wurden sandige Wege und rauschende Baumgruppen als erhabene Landschaftserlebnisse wiedergegeben. Zu dieser „Brüsseler Schule“ werden auch Lucas Achtschellinck, Ignatius van der Stock oder Daniel van Heil gezählt. Die neue Generation bewegte sich zwischen Realismus und Sinnlichkeit und interessierte sich stark für die Lichtphänomene und die Wolken am Himmel. Andere beschworen Idyllen mit weidenden Herden und rastenden Wanderern. Derweil läutete der Franzose Claude Lorrain in Rom bereits die Epoche der arkadischen Landschaft ein.
Hier geht’s zum Service des Sammlerseminars Flämische Landschaften.