Der neue Bildband des amerikanischen Fotografen Jason Fulford setzt auf elegischen Humor – der sich aus Hintersinn und Freude am Banalen speist und uns auf den Sommer einstimmt
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10.06.2020
Das erste Foto in Jason Fulfords „Picture Summer on Kodak Film“ zeigt eine unscharfe Pflanze und ein gemaltes Prisma, das das weiße Licht zu einem Farbspektrum aufspaltet. Oder – wer weiß – vielleicht auch das vielfarbige Licht zu einem weißen Strahl bündelt. Die folgende Doppelseite präsentiert den bunten Schriftzug „signs“ an einer Hausecke. Hier kommt gleich mal die anachronistische Effekt-Linse vom Typ „Kaleidoskop“ zum Einsatz kommt, die das Motiv dekorativ vervielfacht, sowie eine Männerhand, zwischen deren Fingern sich verschiedenfarbige Plastikfeuerzeuge spreizen.
Auf diesen spektralen Prolog folgt der im Titel angekündigte Sommer als gedehntes Gedicht, eingestreut zwischen träge Schatten und dysfunktionale Objekte, festgehalten auf analogem Filmmaterial einer insolventen Marke. Mehr moderne Vanitas geht kaum, sollte man denken. Doch Jason Fulfords weitgehend menschenleere Fotografien besingen nicht nur zeitlos die Vergänglichkeit. Sie sind von verschrobener Intimität, suburbane Stillleben, meist Deko-Desaster, fragmentiert im Quadratformat zu Mustern und Rastern und angereichert mit einem elegischen Humor, der sich mal aus einem feinen Hintersinn, mal aus unverhohlener Banalität speist.
Wären da nicht hin und wieder mal englischsprachige Schriftzüge, könnten die allermeisten Bilder irgendwo und überall aufgenommen sein. Oder um es mit einem dieser Schriftzüge zu sagen: „everything photographic“. Denn auch hier ist es (wie bei allen guten Fotografien) vollkommen gleichgültig, wo sie zu verorten sind. Sie beweisen nichts außer der Existenz abwesender Lebewesen, deren sichtbare Produkte ein seltsames Licht auf sie werfen: Cowboyhüte auf der Motorhaube eines japanischen Automobils etwa, oder ein gutes Dutzend umgekippter, teilweise überfahrener und wahllos verstreuter Warnhütchen, die nicht zufällig in der Amtssprache Leitkegel heißen.
Was sind das für Kreaturen, die eine derart seltsame Vorstellung von Globalisierung und Ordnung und eine solch ausgeprägte Vorliebe für Dekorationen und Abgrenzungen haben, die überall ihre Zeichen hinterlassen, ohne dass auf diese Zeichen jemals Wunder folgen würden?
Jason Fulford, der gern über Philosophie spricht, tut gut daran, seine Fotos unkommentiert zu lassen. Denn diese Bilder beziehen ihren Reiz daraus, dass sie sich erkenntnistheoretisch auf eher dünnem Eis bewegen und allemal offenlassen, ob sie nun Existenzen oder Essenzen zeigen möchten. Die der Fotografie eigene Fragmentierung der Wirklichkeit setzt der Fotograf bewusst ein, um Phänomene zu fokussieren, die zwar nur von anekdotischer Relevanz sind, aber gerade dadurch ihre absurde Dimension gewinnen.
Das meiste, was Fulford fotografiert, wird in seinen Fotos überdauern, wenn es in der Realität längst verschwunden sein wird. Auch das ist eine der Fotografie inhärente Eigenschaft, die besonders zu erwähnen in der Regel überflüssig scheint. Doch selten drängt sich beim Betrachten von Fotos diese Vorstellung so massiv auf wie hier. Was denkt ein Mensch, wenn ihm in hundert Jahren als einziges Dokument unserer Zeit Fulfords Archiv in die Hände fallen sollte?
Die Antwort ist kompliziert und einfach zugleich. Auch in hundert Jahren wird es davon abhängen, welche Erfahrung, welche Fantasie und welchen Sinn fürs Tragikomische der Betrachter sein Eigen nennt. Und inwieweit Nippes, Zäune und andere Geschmacklosigkeiten in seiner Zeit noch Relevanz besitzen.
Jason Fulford, „Picture Summer on Kodak Film“, MACK, 2020, 40 Euro