Kunstwissen

Robert Seidels Donaureise

Vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer: Der Maler Robert Seidel, Gewinner des diesjährigen BP Travel Award der National Portrait Gallery in London, reist die Donau entlang. Am Ende stehen zehn Porträts aus zehn verschiedenen Ländern. Ein Reisetagebuch, Teil 1

Von Simone Sondermann
12.09.2018

Es ist der 1. September 2018, kurz vor 8 Uhr, es ist kühl und sonnig. Ich sitze im IC Richtung Süddeutschland. Heute beginnt meine Reise vom Schwarzwald ans Schwarze Meer. Nach neun Stunden Zugfahrt steige ich in Donauesching aus, fahre direkt zur Donauquelle und mache die ersten Fotos. Für mich als Maler, der aus der Ferne beobachtet oder alleine im Atelier arbeitet, ist es ungewohnt, Menschen direkt auf der Straße an zu sprechen. Ich bin aufgeregt. Am Abend schau ich mir die ersten Aufnahmen an und bin begeistert und stolz und spüre, wie die Konstruktion Farbe bekommt. Ich liebe es, wenn Vision in praktische Arbeit mündet und dieser erste Moment, wenn es einrastet und los geht ist toll und fruchtbar, setzt Kräfte frei. Die Anspannung wird wird sich lösen … Ich setze den Fuß in den Fluss …

2. September
Der Nebel hängt im Schwarzwald, es ist bewölkt und nieselt. Ich fahre mit der Regionalbahn über Ulm nach Regensburg. Ich treffe Julius auf der steinernen Brücke, wir schlendern durch die Stadt, laufen das Anwesen der Familie Thurn und Taxis ab und schauen am Abend „Gunderman“, den neuen Film von Andreas Dresen im Kino.

3. September
Regen, dicke Beine, Tour de Barocke. Der Regen ist unnachgiebig, immer wieder schwere Güsse. Tropfen prasseln auf meinen Poncho, die Brille ist beschlagen, meine Schuhe sind vollgesogen wie Schwämme. Wir besuchen Wallhalla, essen Mittag in Deggendorf und kommen kurz vor 22 Uhr in Passau an. Alles in allem waren wir ca. 160 km auf dem Rad.

4. September
Wir wollen die Wachau besuchen, Weingebiet und Weltkulturerbe. Nach dem harten Ritt von gestern wollen wir uns etwas Gutes tun und in den Weinbergen wandern. Um schneller voranzukommen, verlassen wir den Donau-Radweg und wählen den direktesten Weg mit Rad und Zug. Der Weg ist sehr steil. Es regnet wieder, und wir kommen erst gegen frühen Abend erschöpft in Krems an.
An der Rezeption unseres Hotels erfahren wir, das wir den besonders schönen Teil der Wachau verpasst haben. Wir gehen nochmal raus, schauen uns die Altstadt an und sitzen noch lange im Biergarten.

5. September
Die Sonne scheint! Das Frühstück im Hotel Unter den Linden ist eine Wucht, und wir entscheiden uns spontan, die verpasste Strecke vom Vortag mit dem Schiff nachzuholen. Die Landschaft ist betörend schön.
Auf dem Oberdeck treffen wir eine asiatische Reisegruppe. Mein erster, zaghafter Versuch der Kontaktaufnahme scheitert an der Verständigung. Keiner kann Englisch. Ich würde so gern, weiß aber nicht wie, es wird posiert, es werden viele Handyfotos geschossen und ich steh daneben.
Ein letzter energischer Versuch, Google Translater und endlich … eine deutsch sprechenden Reiseleiterin. Es handelt sich um eine Gruppe Schauspieler aus der Nähe Shaoxin. Sie vermittelt, es werden tolle Aufnahmen.
Wir fahren nach Wien und übernachten bei Hubert Weinheimer, Sänger der Band: Das Trojanische Pferd. Ein Blind Date, der Kontakt wurde vermittelt, wir kennen uns nicht, verstehen uns aber auf Anhieb prima. Wir palavern bis spät in die Nacht. Reden über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Musik und Malerei, reden über Europa und Politik, und ich denke bei mir, vor zwei, drei Jahren wären solche Abende sicherlich unpolitischer gewesen.

6. September
Wir radeln knapp 12 km quer durch Wien zur Höhenstraße, und bekommen im Lokal Hänsel am Stoan ein klassisches Wiener Schnitzel mit toller Aussicht serviert. Im Cafe Alt Wien gibt es Hauskuchen und Wiener Melange, danach Prater und Ausstellungseröffnung in der Galerie König 2. Wir sehen Arbeiten von Gustav Metzger.

7. September
Frühstück in einem kleinen Cafe, danach Aufbruch Richtung Bratislava. Wir nutzen keine original Fahrradkarten und machen immer wieder kleinere Umwege, wir stoßen auf den Flughafen, überqueren unnötig die Donau und müssen häufig anhalten, um zu entscheiden welchen Weg wir nehmen. Nach ca. 80 bis 90 km, erreichen wir Bratislava. Wir checken ein und schauen uns die Stadt an. Vom Ufo Turm haben wir einen tollen Blick, mit seinen 500 000 Einwohnern, kommt uns die Stadt vertraut und angenehm überschaubar vor.

8. September
Nach einer Woche liegen noch 1900 km vor und bereits ein gutes Drittel der Strecke hinter uns. Wir kommen zügig voran, haben gestern Abend noch in Bratislava übernachtet und essen heute Mittag schon in Györ, der sechstgrößten Stadt in Ungarn.
Ich werde das Gefühl nicht los, viel zu verpassen und der abwechslungsreichen Reise nicht immer gerecht zu werden. Die Fotos und das Schreiben vom Tagebuch fordern viel Aufmerksamkeit.
Die Schatten werden länger und nach ca. 140 km erreichen wir einen einfachen Campingplatz…. Deutsche und ungarische Werksarbeiter aus Györ … Lagerfeuer, Gulasch, Pflaumenschnaps, viel Bier und kleinere Eskapaden.

 

9. September
Wir starten früh, auf den Dörfern liegt noch Tau, wir wollen gegen späten Nachmittag in Budapest ankommen. Wir wechseln zweimal das Donauufer auf die slowakische Seite, am Morgen in Komaron und Nachmittag in Esztergom. Der Donau-Radweg besteht größtenteils aus baufälligen Bundesstraßen mit viel Verkehr. Laut und schmutzig. Nach 80 km haben wir die Nase voll entscheiden uns spontan, den Rest mit dem Zug zu absolvieren. Fahrradmitnahme klappt prima, kommen am frühen Abend in Budapest an und übernachten in einem zentral gelegenem Appartement.

10. September
Wir frühstücken ausgiebig im Cafe Central, verzichten auf das Fahrrad und kaufen Tickets für den Bus. Wir sitzen auf dem Oberdeck und lassen uns durch die Stadt fahren, passieren die Sehenswürdigkeiten und genießen die Beiläufigkeit. Citadel, Fischerbastei, Burgpalast, St. Stephans – Basilika … auf dem Boot eine Stunde die Donau rauf und runter … das prachtvolle Parlamentsgebäude in der Dämmerung. Wir baden im traditionellen Gellertbad im Art-déco-Stil. Wir sind ganz weich und rosig und fühlen uns pudelwohl.
Das Ansprechen von Menschen fällt mir mittlerweile leichter. Es ist immer wieder eine Herausforderung den richtigen Ton zu treffen, innerhalb kürzester Zeit das Projekt kurz zu umreißen und gleichzeitig auf die Menschen ein zu gehen. Absagen nicht persönlich nehmen. In Budapest konnte ich einige für mein Projekt gewinnen, auf dem Land war es schwieriger, da kaum Englisch gesprochen wird und die Menschen hier in Ungarn etwas verschlossener wirken.

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