Kunstwissen

Claus Kleber: Bild meines Lebens

Als Washington-Korrespondent hat Claus Kleber den 11. September 2001 intensiv erlebt – ein Foto von diesem Tag bewegt ihn bis heute.

Von Claus Kleber
11.09.2017

Über meinem Schreibtisch hängt ein Foto des Magnum-Fotografen Thomas Höpker. Das Bild heißt „Williamsburg“ und entstand gegen Mittag des 11. September 2001. Es zeigt fünf junge Menschen an einer Mauer des East River, auf der anderen Seite des Flusses sieht man die brennende Skyline von Manhattan. Die fünf wirken ganz entspannt, zu den rauchenden Trümmern blickt niemand von ihnen. Ohne den Rauch im Hintergrund sähe es aus wie ein idyllischer Nachmittag im Park. Seit ich das Foto erstmals gesehen habe, es war ein oder zwei Jahre nach den Anschlägen, musste ich immer wieder daran denken. Vor rund zehn Jahren habe ich es gekauft.
Höpker hat in diesem Bild die Emotionen eingefangen, die mich an diesem Tag und an den Tagen danach bewegt haben. Ich habe den 11. September sehr intensiv miterlebt. Damals war ich Korrespondent in Washington, das Pentagon brannte lichterloh. 270 Menschen starben, gerade mal 10 Joggingminuten von mir entfernt. Die Nation war in ihrem Kern getroffen. Der Schock darüber steckte mir lange tief in den Knochen, ich denke, bis heute verstehe ich die amerikanischen Positionen zu vielen Fragen besser als die deutschen Zuschauer, die diese Tragödie am Fernseher erlebt haben.

Höpkers Bild zeigt den Terroristen den Mittelfinger

Trotzdem bin ich an diesem Tag in dem Glauben hinausgegangen, dass auch dieser Terroranschlag letztlich ein lösbares Problem darstellt. Dass die Terroristen, diese zwölf Männer mit ihren Teppichmessern, es nicht schaffen, die Welt mit ihrer Brutalität zum Schlechteren zu verändern. Eine ähnliche Stimmung findet sich meiner Meinung nach auch in „Williamsburg“. Das Bild zeigt den Terroristen den ausgestreckten Mittelfinger: Ja, es ist furchtbar, 2000 Menschen sind tot. Aber acht Millionen gehen morgen wieder zur Arbeit. Ja, die Türme des World Trade Centers liegen in Trümmern, aber 98,5 Prozent der Skyline von Manhattan steht noch. Das Leben geht weiter, wir haben die bessere Idee, und diese Idee wird sich durchsetzen. Diesen Optimismus habe ich mitgenommen aus diesem traumatischen Tag – und bis heute bewahren können.

Aufgezeichnet von Jörg Böckem

Service

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Claus Kleber / Credit: picture alliance/Frank May

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr.110/2016

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