Kunstwissen

Belle Époque – die Kunst des späten 19.Jahrhunderts

Die Belle Époque ist wieder en vogue. Das schwere Parfüm des späten 19. Jahrhunderts mit seinen Akademie- und Salonmalern erfreut sich wachsender Beliebtheit – in Museen und auch auf dem Kunstmarkt

Von Sebastian Preuss
06.10.2016

Heliogabal war eine Figur ganz nach dem Geschmack der Belle Époque. Inbegriff eines lasterhaften, ausschweifenden Tyrannen, bildschön und verführerisch anzuschauen, verkommen und gewissenlos im Inneren. Durch eine Intrige seiner Großmutter kam er 218 nach Christus auf den Kaiserthron. Bei den Römern war er bald verhasst, weil er ihnen die Sitten aus seiner syrischen Heimat aufdrängte, und sich, wie man ihm nachsagte, in Orgien erging, in denen er androgyne Fantasien und Exzesse mit beiden Geschlechtern auslebte. Schon bald wurde Heliogabal (auch Elagabal) von den eigenen Soldaten ermordet, und Rom tilgte ihn aus der Staatsmemoria. Erst seit dem späten 19. Jahrhundert erfuhr er in der Literatur, Musik und Kunst ein Nachleben.

Solche Figuren liebte die Zeit, die gern als Belle Époque verklärt wird: als letzte Periode wirtschaftlicher und kultureller Blüte vor dem Katastrophenzeitalter, das mit dem Massengemetzel des Ersten Weltkriegs begann und bis heute andauert. Schwüle Boudoirszenen, exotische Tableaus aus dem Orient, ätherische Traumvisionen der Antike und anderer vergangener Epochen – das waren die bevorzugten Bildthemen der Akademiker und Salonmaler während der ebenso pompösen wie widersprüchlichen und zerrissenen Jahrzehnte zwischen 1870 und 1914. In der Kostümwelt des arabischen Harems oder einer festlich entrückten Antike konnten die Künstler erotische Fantasien in Szene setzen, ohne Skandale zu entfesseln. Umnebelt vom schweren Parfüm der Historienmalerei, des Orientalismus und der Traumbilder der Symbolisten ließen sich sexuelle Projektionen so explizit vorführen, dass sie eigentlich gegen den Moralkodex der ehrenwerten Bürger verstieß, die diese exaltierten Darstellungen so sehr genossen. Es ist eine Bilderwelt, die nach langer Verdammnis derzeit eine erstaunliche Renaissance erlebt.
Einer der berühmtesten und erfolgreichsten Maler in den einst umjubelten, dann verpönten Gefilden der Akademiekunst war der Niederländer Lawrence Alma-Tadema. Seit 1870 lebte er in London und erfreute sich höchster Wertschätzung der Königin Victoria. Sie adelte ihn und bewunderte wie ganz Europa seinen akribischen Illusionismus, mit dem er voller heiterer Exzentrik in eine erträumte Antike entführt. Es ist eine Welt der sphärischen Klänge, voller sanfter Erotik, ein Bildtrip wie im Drogenrausch. Der Hyperrealismus, die schrägen, merkwürdigen Stimmungen, das Breitwandformat – alles ist auf Überwältigung aus. Die Menschen damals liebten die weit aufgerissene Perspektive, die das Geschehen ins Auge springen ließ; schließlich wurden zwischen 1870 und 1900 mindestens 100 Millionen Eintrittskarten für den Besuch in Panoramen verkauft. Die nächste Stufe war der Film. Wie ein opulentes Kino-Tableau setzte Alma-Tadema 1888 auch „Die Rosen des Heliogabal“ in Szene. Der dekadente Herrscher liegt bäuchlings auf seinen Kissen, gemeinsam mit der machtgierigen Großmutter und anderen Damen schaut er amüsiert zu, wie Rosen auf die Menschen vor ihnen herabregnen. Die um 300 verfasste „Historia Augusta“ berichtet, dass Elagabal bei einem Bankett solche Unmengen von Blüten auf die Gäste niedergehen ließ, dass einige darin erstickten.

Für eingefleischte Modernisten, die Kunst aus der Belle Époque nur gelten lassen, wenn sich von ihr Entwicklungslinien zur Avantgarde ziehen lassen – vor allem die Impressionisten, der Jugendstil, natürlich die Umstürzler Cézanne, Gauguin und van Gogh –, sind Bilder wie der „Heliogabal“ nur süßlicher Kitsch. Die kunsthistorische Verurteilung ist längst in Marmor gemeißelt. Schon bald nach 1900 wollte niemand mehr die raffinierte, aber vereiste Erotik des einst so umjubelten Alexandre Cabanel goutieren, auch nicht die virtuos mit makelloser Oberfläche gemalten Orientbilder von Jean-Léon Gérôme oder die fotorealistischen Palastwächter von Ludwig Deutsch. „Pompiers“ (Kitschiers) werden diese Maler in Frankreich genannt. „Ein Pin-up-Girl und kein Kunstwerk“, ätzte der große Kunsthistoriker Ernst Gombrich noch 1973 über William Bouguereaus „Geburt der Venus“.
Ähnlich ging es überall in Europa. Den Deutschen war mit dem Untergang des Kaiserreichs die Lust vergangen an Anton von Werners haarfeinen Preußenbildern, an glatten Gesellschaftsporträtisten wie Karl Gussow sowie all den Ritter- und Schlachtenbildern, wie sie Wilhelm II. und sein Establishment liebten. In Wien, wo Hans Makart fürstlich Hof gehalten hatte und jeden Nachmittag zahlende Besucher das Atelier bestaunen ließ, hatte nach dem Untergang der Donaumonarchie niemand mehr Lust auf sein opernhaftes Schwelgen à la Tizian und Rubens. Endgültig vorbei war die Zeit, in der sich Millionen von Bürgern im Pariser Salon oder in den Akademieausstellungen anderer Metropolen alljährlich Tausende von Werken offiziell geförderter Kunst anschauten. Auf rund 100.000 Werke wird für das 19. Jahrhundert allein die Produktion der französischen Salonmaler geschätzt. Es war ein Wirtschaftsfaktor, denn den Teilnehmern der Leistungsschauen winkten Karrieren und Verkäufe.

Ein Meilenstein bei der Verabschiedung der Akademiemaler und der Bildung eines neuen Kanons war 1906 die „Jahrhundertausstellung deutscher Kunst“ in der Berliner Nationalgalerie. Direktor Hugo von Tschudi und der Kritiker Julius Meier-Graefe blickte nun von der Warte der beginnenden Moderne auf die Strömungen seit der Romantik und ließen alles weg, was sich nicht in eine Entwicklungsgeschichte hin zum Impressionismus und den Neuerungen um 1900 einordnen ließ. Mit dem Siegeszug der abstrakten Kunst und einer international vernetzten Moderne zementierte sich die Abscheu gegen alles Akademische. Die Romantik um Caspar David Friedrich, Delacroix, Ingres, Courbet, Menzel, der Impressionismus, Gauguin, van Gogh, Cézanne – sie wurden nun zum Goldstandard des 19. Jahrhunderts.
Erste Ansätze, dieses eherne Gesetz aufzubrechen, gab es Ende der Sechzigerjahre. So führte die Berliner Ausstellung „Le salon imaginaire“ 1968 lustvoll die verpönte Kunst vor. „Das Thema bereitet Vergnügen“, schrieb Eberhard Roters im Katalog; dabei war der West-Berliner Kunsthistoriker und Gründer der Berlinischen Galerie ein engagierter Verfechter der Avantgarde. Ein Jahr später schwelgte Paul Vogt – der als Direktor des Essener Museum Folkwang ebenfalls Bedeutendes für die moderne Kunst geleistet hat – in dem Bildband „Was sie liebten …“ mit sichtlicher Lust in der Welt der Salonmaler. Aber er urteilte auch schonungslos: „Wir lächeln nur noch, wo sie sich tragisch gebärden, ihre Schönheitsideale erheitern uns. Ihre Zeit ist vorbei, sie sind historisch, aber nicht Geschichte.“
Doch auch Geschichtsschreibung wird ständig revidiert, und so hat sich der Blick auf die Salonmaler der Belle Époque in den letzten Jahren gewandelt – und zwar gründlich. Im Juni 1993 erzielten „Die Rosen des Heliogabal“ bei Christie’s in London 1,5 Millionen Pfund. Heute gehört das Bild dem spanisch-mexikanischen Großsammler Juan Antonio Pérez Simón, der neben alten Meistern die viktorianische Malerei liebt und diese unlängst mit großem Erfolg in Paris und London ausstellte. Stünde das Rosenbild heute zum Verkauf, dann würde es in ganz andere Preisregionen aufsteigen: Als Sotheby’s New York im November 2010 die fast gleich große, im parfümierten Hyperrealismus ähnlich überwältigende „Errettung des Moses knaben aus den Fluten des Nils“ zum Aufruf brachte, war die Taxe mit 3 bis 5 Millionen Dollar angegeben. Am Ende fiel der Hammer völlig überraschend erst bei 32 Millionen; mit Aufgeld zahlte der Käufer 35,9 Millionen Dollar. Im Jahr 1955 hatte ein Londoner Händler das Gemälde für 900 Pfund verkauft. Der verrückte Preissprung für Alma-Tadema blieb kein Einzelfall: Im Mai 2011 erzielte das nur halb so große „Treffen von Antonius und Kleopatra“ am gleichen Ort einen Hammerpreis von 26 Millionen Dollar.
Die Euphorie für Alma-Tadema ist nur die Spitze einer Bewegung, die immer weitere Kreise zu ziehen scheint. Etwa John Singer Sargent, der elegante Porträtist der High Society, erst kürzlich wieder in Ausstellungen in London und New York gefeiert: Mit seinen hingehauchten Pinselstrichen, sichtlich von den Impressionisten beeinflusst, überführte er die reichen Gesellschaftsdamen in eine künstlich-glamouröse Zauberwelt, was ihn von Manet oder Renoir deutlich unterschied. Schon 1997 erzielte seine „Spanische Tänzerin“ bei Sotheby’s in New York 6,9 Millionen Dollar; 2004 stieg „Gruppe mit Sonnenschirmen“ sogar auf 21 Millionen Dollar. Ein Bruder im Geiste ist Giovanni Boldini, selbst wenn seine luftig dargestellten Ladys und Bonvivants zuweilen in der Exaltiertheit erstarren. Seine Meisterwerke erzielen zuverlässig Millionenbeträge, gipfelnd in der „Giovinetta Errazuriz“, die 2010 einem Bieter 5,8 Millionen Dollar wert war.

Doch auch die akademisch-glatten „Pompiers“, die einstigen Lieblinge des Salonpublikums, sind in ungeahnte Preisregionen aufgestiegen. Bouguereaus „Welle“, deren Nackte am Meeresufer mit ihrer porenfein gemalten Fröstelhaut unser Titelbild ziert, erzielte schon 1999 650.000 Dollar. Mittlerweile bringen Bilder dieser Qualität regelmäßig ein bis drei Millionen. Gérôme, gewiss einer der bedeutendsten Orientalisten, schwankte auf den Auktionen der letzten Jahre zwischen Millionenergebnissen und empfindlichen Rückgängen. Ein Sonderfall ist Osman Hamdi Bey, ein polyglotter Türke, der den Orient aus einheimischer Sicht malte – und sich im Ergebnis kaum von seinen westlichen Kollegen unterschied. Sein „Schildkrötenerzieher“ wurde mit einem Zuschlag von fast drei Millionen Euro bei Antik AS in Istanbul zum teuersten Werk, das in der Türkei je zur Auktion kam. Das Bild ist mittlerweile das berühmteste Gemälde im Land und hängt als Reproduktion auch in Deutschland in vielen türkischen Restaurants und Geschäften.
Und dann ist da noch die Hysterie um Ludwig Deutsch, einen Österreicher, der in Paris Karriere mit Orientbildern im Hochglanzstil machte. Es ist perfektionistische Oberflächenkunst, aber zugleich sind die Gemälde spektakuläre Schaustücke, mit den muskulösen Nubiern lässt sich heute wieder Eindruck machen. Seit dem schon 1999 erreichten Rekordpreis (2,9 Millionen Dollar) hat sich – bei einschlägigen Sujets – das Niveau von ein bis zwei Dollarmillionen gehalten. Die Klientel, die diesen Exotismus so hoch bezahlt, kommt offenbar großenteils aus den Ländern, die dargestellt sind. Hier finden Türken, Libanesen oder Magnaten aus den arabischen Golfstaaten Darstellungen der eigenen Geschichte, von der sie selbst keine historischen Kunstwerke haben. Dass die orientalistischen Gemälde des 19. Jahrhunderts auch drastische Zeugnisse des Kolonialismus sind, hält die Käufer aus den einst unterjochten Ländern ganz offensichtlich nicht von ihrer Sammellust ab.

„Das Tableau dieser Zeit ist unglaublich reichhaltig“, schwärmt Alexander Kunkel in München. „Mit dem nötigen Spürsinn lässt sich die Kunstgeschichte ganz neu darstellen. Und man kann wunderbare Werke zu vernünftigen Preisen anbieten.“ Kunkel gehört zu einer jüngeren Generation von Kunsthändlern, die das späte 19. Jahrhundert in innovativer Weise sichten. Vom grotesken Zeichner Heinrich Kley, den schon Walt Disney liebte, über noch kaum bekannte Maler bis hin zu Franz von Stuck, von dem er gerade eine „Medusa“ für 250.000 Euro verkaufte, reicht die Bandbreite seines Angebots.
Der Hamburger Kunsthändler Thomas Le Claire, als Händler von Altmeisterzeichnungen groß geworden, baut derzeit ähnlich zielgerichtet in seinem Angebot das späte 19. Jahrhundert (wie auch die klassische Moderne) aus und hat damit schon eine ganze Reihe neuer, auch jüngerer Kunden gewonnen. „Die Jungen wollen Stücke, die auffällig sind. Sie dürfen sogar ein bisschen reißerisch sein. Gerade wenn es um Liebe und Tod geht, hat das Fin de Siècle ja viele Tabus gebrochen.“
Und auch die Ausstattungskunst, exaltierte Möbel, die oft hervorragend gearbeiteten Goldschmiedearbeiten, Keramik mit Groteskerien oder höchst aufwendige Prunkvasen für die Weltausstellungen – all das hat, wenn es besondere Einzelstücke sind, heute seinen stabilen Markt. Händler wie die Pariser Tobogan oder Vauclair, wie Neuse in Bremen oder Birbaumer & Eberhardt in Timmendorfer Strand (beide haben seit vielen „Kunstkammerstücke“ des Historismus im Angebot) oder Sinai and Sons in London rufen für ihre extravaganten Objekte ansehnliche Preise auf – mit Erfolg. In niedrigerem Preissegment, aber auch als Zeichen der Zeit zu werten: Das Auktionshaus Metz in Heidelberg brachte 2014 gleich zwei Mal Hunderte von Porzellanfiguren der Zeit um 1900 zum Aufruf. Sie fanden reißenden Absatz.

Doch die Neubewertung der Belle Époque beschränkt sich nicht auf Verkaufserfolge. Es gibt neue Forschungen und Bücher, etwa Norbert Wolfs Epochenpanorama „Die Kunst des Salons“ mit üppiger Bebilderung und vielen klugen Analysen (Prestel, 2012). Und immer mehr Museen – zumindest diejenigen mit neugierigen, unkonventionellen Kustoden – beteiligen sich an der Neuauslotung des späten 19. Jahrhunderts. Ein Meilenstein war 1986 die Eröffnung des Musée d’Orsay in Paris, das in opulenter Inszenierung auch viele Werke abseits der gewohnten Hauptwege zeigte. Derzeit sind mehr „Pompiers“ als je zuvor dort zu sehen, und Cabanels einst so gefeierte „Venus“ kommt genauso zu ihrem Recht wie die berühmten Bilder von Manet oder Degas. Im vergangenen Jahr bestückte das Orsay-Museum in der Fundación Mapfre in Madrid die spektakuläre Schau „El canto del cisne“ (Der Schwanengesang) mit seinen akademischen Malern. Das Publikum verschreckt man damit nicht mehr – im Gegenteil, davon kann auch Roger Diederen berichten. Der Leiter der Kunsthalle in München kennt sich mit den Orientalisten und der „offiziellen“ französischen Kunst bestens aus. Er arbeitete im New Yorker Dahesh Museum of Art, das sich – 1995 von einer libanesischstämmigen Familie begründet – ganz den akademischen Strömungen des 19. Jahrhunderts widmet. In München organisierte Diederen 2011 das üppige Panorama zum „Orientalismus in Europa“. Knapp 100.000 Besucher staunten, aber die Presse reagierte teilweise kritisch. „Die jüngere Generation ist eindeutig offener für diese Kunst“, so Diederens Erfahrung. „Sie findet die Werke fantastisch, denkt nicht in der Kategorie von Kitsch und hat vor allem nicht immer den Kanon der Moderne im Kopf. Die Epoche hat doch so viel mehr zu bieten als nur den Impressionismus.“
Zu dieser innovationsfreudigen Riege von Museumskuratoren gehören auch Felix Krämer im Frankfurter Städel oder Philipp Demandt, der seit 2012 die Alte Nationalgalerie in Berlin leitet. Letzterer hat dort erstaunliche Werke der wilhelminischen Zeit aus dem Depot geholt; einige von ihnen waren seit Jahrzehnten nicht mehr zu sehen. So rekonstruierte Demandt die Lebensgeschichte der heute völlig unbekannten Malerin Vilma Parlaghy rekonstruiert. Ihr Kaiserporträt in Lenbach-Manier hängt jetzt ebenso in der Schausammlung wie Arthur Kampfs unglaublicher „Artist“. So war die deutsche Belle Époque eben auch: Mit Kaiserschnauzbart bekennt der Athlet getreue Gesinnung, aber zugleich posiert er in so aufreizender Art, dass man das Bild heute umstandslos als schwules Bekenntnis einordnen würde. Man misstraue Künstlern allein dadurch, dass sie im Kaiserreich offizielle Erfolge feierten, wundert sich Demandt und zeigt auf Wilhelm Gentz’ „Einzug des Kronprinzen in Jerusalem“ von 1876. „Das ist doch frühes Cinesmacope, so wie Gentz das exotische Menschengewimmel hier in Szene setzt.“ Zu Recht hält sich die Nationalgalerie immer noch weitgehend an das kunsthistorische Wertesystem, das Tschudi und Meier-Graefe 1906 entwickelten. „Trotzdem dürfen wir die offizielle Kunst nicht aussparen. Die Qualität muss stimmen, aber die gibt es“, so Demandt.
Während die großen Geschäfte mit Alma-Tadema, Singer Sargent, Bouguereau oder den Orientalisten fast ausschließlich in London und New York gemacht werden, hat sich auch am Auktionsmarkt im deutschsprachigen Raum einiges bewegt. Mit Makarts „Kleopatra“ erzielte das Dorotheum im April 2013 den Rekordpreis von 652.000 Euro, Karl & Faber in München konnte kürzlich Franz von Stucks „Sinnlichkeit“ bei 440.000 Euro zuschlagen, und Grisebach in Berlin überraschte im November die Fachwelt mit dem zuvor völlig unbekannten Dresdner Symbolisten Osmar Fischer. Seine „Gertrud“, ein grundbürgerliches, konventionell realistisches Mädchenporträt, durchzogen von leichter Exzentrik und einem Schuss Laszivität, kletterte von geschätzten 8000 auf beachtliche 51.000 Euro. „Wir beobachten eine Vorliebe gerade bei jüngeren, zum Teil erst 30-jährigen Käufern für alles Opulente, Träumerische und auch Erotische der Jahrhundertwende. Eine Sympathie für die damalige Weltflucht ist oft dabei. Wahrscheinlich gibt es da eine Beziehung zu unserer heutigen Zeit“, erzählt Florian Illies, der bei Grisebach das 19. Jahrhundert verantwortet.
Wie erklärt sich der Boom der Belle Époque oder besser gesagt: ihrer lange vernachlässigten, oft pompösen und parfümierten Kunstströmungen? Ist es die Sehnsucht nach einem vermeintlich besseren Zeitalter, eine nostalgische Flucht in die Vergangenheit oder gar der Überdruss an einer Gegenwartskunst, die ja selbst heute oft Züge von erstarrter Salonproduktion trägt? Oder ist es Ausdruck dessen, dass wir uns auch heute wieder in einem Fin de Siècle, einer untergehenden Welt der Décadence wähnen?
Ob man nun so weit gehen soll oder nicht, gewiss spielt ein allgemeiner Geschmackswandel eine entscheidende Rolle. Eine Zeit, die sich den Konzeptkitsch von Jeff Koons viele Millionen kosten lässt, hat auch einen Nerv für Pariser Salonmaler oder Dresdner Bürgerporträtisten. Behaglichkeit jedenfalls wird man in dieser Kunst kaum finden. Dafür hat die Belle Époque hinter ihrem Zuckerguss zu viele Abgründe.

Diesen Beitrag finden Sie in WELTKUNST Nr. 112 / März 2016

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