Kunstwissen

Kunst im Netz – Versteckte Botschaften

Einen Totenschädel als Zeichen für die Vergänglichkeit des Lebens zu erkennen, mag nicht schwer fallen. Aber warum ist ein Dompfaff ein Hinweis auf Christi Passion? Unser Autor Peter Dittmar hat im Internet digitale Bildarchive aufgespürt, die sich tiefergehend mit Ikonografie, Ikonologie und Emblematik auseinandersetzen.

Von Peter Dittmar
06.05.2016

In früheren Jahrhunderten wurde die Botschaft der Bilder auch ohne Erklärungen verstanden: Ein junger Mann, an einen Baum gefesselt und von Pfeilen durchbohrt, wurde auch ohne ein Schildchen darunter als Heiliger Sebastian erkannt. Aber heute? Einen Totenschädel als Zeichen für die Mahnung, „Bedenke, dass Du sterblich bist“, zu erkennen, mag nicht schwerfallen. Aber warum verweist eine weiße Lilie neben der Madonna auf ihre Jungfräulichkeit? Warum ist ein Dompfaff ein Hinweis auf Christi Passion?

Wer zur Kunst forscht, findet ein reiches Feld – verbunden mit der permanenten Versuchung, sich auf allerlei Nebenwege locken zu lassen.

Antworten gibt die Ikonografie, die Aby Warburg als Methode zur Entschlüsselung verborgener Bildbedeutungen einführte. Erwin Panofsky hat sie dann systematisiert und zur Ikonologie, der Interpretation anhand bestimmter Themen, zeitgenössischer Vorstellungen und literarischer Quellen erweitert (http://bit.ly/1SD3iC6). Dabei spielt die Emblematik eine wesentliche Rolle. Eine antikisch gekleidete Frau mit Füllhorn symbolisiert den Überfluss. Eine andere, mit einem Buch in der Hand und einem Chamäleon auf dem Arm, steht für „Die Begreifung der Dinge“. So hat es mit tausend Beispielen Cesare Ripa, Koch, Schriftsteller und Gelehrter, 1603 in seiner Iconologia Overo Descrittione Di Diverse Imagini cauate dall‘antichità, & di propria inuentione (http://bit.ly/23d6AB5) erläutert. Das grundlegende Buch wurde mehrfach aufgelegt, erweitert und 1769 in Frankfurt als Erneuerte Iconologia oder Bilder-Sprach: Worinnen Allerhand anmuthige Außbildungen von den fürnehmsten Tugenden Lastern menschlichen Begierden … ins Deutsche übersetzt (http://bit.ly/1TAiRwL).

Zehn Jahre später, 1614, erschien dann in Amsterdam Roemer Visschers Sinnepoppen (http://bit.ly/21jdUvq). Und 1658 folgte, betont christlich moralisierend, der Proteus of te Minne-Belden verandert in Sinne-Beelden von Jacob Cats (http://bit.ly/1T9QAKr), der vor allem mit seinen in knappe Verse gefassten Sentenzen – etwa „Kinderen zijn hinderen“ („Kinder sind ein Ärgernis“) – den niederländischen Sprichwortschatz bereicherte. Beide Bücher sind der zweiten Möglichkeit der Emblematik verpflichtet. Sie übersetzen den Sinnspruch in ein Sinnbild. Das kann für „Qui captat, capitur“ („Wer etwas fangen will, wird selbst gefangen“) ein Seevogel sein, dessen Schnabel eine Muschel eingeklemmt hat, oder für „Vroech rijp, vroech rot“ („Früh reif, früh verrottet“) eine Schale mit Obst. Häufig ist dabei Amor im Spiel.

Die niederländischen Liebes-Embleme des 17. Jahrhunderts erforscht das „Emblem Project Utrecht“ (http://emblems.let.uu.nl/). Untersucht und digitalisiert wurden 27 Bücher. Das älteste ist Quaeris quid sit Amor? von Daniel Heinsenius, das wohl 1601 gedruckt wurde, das jüngste Jan Sudermans De godlievende ziel von 1724.

Noch ausführlicher und thematisch nicht gebunden ist „Emblematica Online“ (http://bit.ly/1N6BY2c) der Universität von Illinois, der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, der Getty Library und der Universitäten in Duke, Glasgow und Utrecht. Dafür wurden 1381 Bücher ausgewertet und 28 313 Embleme eingescannt. Wer jemandem seine Freude, Zu- oder Abneigung übermitteln will, entdeckt hier mit Leichtigkeit ein intelligentes Gleichnis. Und wer zur Kunst forscht, findet ein reiches Feld – verbunden mit der permanenten Versuchung, sich auf allerlei Nebenwege locken zu lassen.

 

Diesen Artikel finden Sie auch in der aktuellen Ausgabe der Kunst und Auktionen (08/2016).

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