Kunstwissen

Stilkunde: Historische Mikroskope

Seit der Antike wird Glas zu Linsen geschliffen  – der Schritt zum Mikroskop gelang um 1600.

Eine Einführung in ein faszinierendes Sammelgebiet

Von Gloria Ehret
15.03.2016

Kaiser, Könige und Fürsten ließen sich seit dem 16. Jahrhundert auf Repräsentationsgemälden mit Erd- und Himmelsgloben, Fernrohren und Teleskopen abbilden, um damit ihre Herrschaft über die irdische Welt und die Gestirne zum Ausdruck zu bringen. Das Kleinste und Nahe zu entdecken gehörte nicht zu den vordringlichsten Wünschen der Menschheit. Doch hat das Mikroskop die Medizin revolutioniert. Entwickelt wurde es nicht von namhaften Naturforschern, sondern, gleichsam nebenbei, von Brillenmachern.

Schon in der Antike wurde Glas zu Linsen geschliffen, die als Brenngläser der Vergrößerung dienten. Um 1285 soll der Italiener Salvino d’Armate die Brille entwickelt haben. Auf Gemälden des Spätmittelalters werden die noch seltenen Augengläser von bärtigen Männern getragen. Mit Lupen konnte man kleine Objekte in bis zu zehnfacher Vergrößerung betrachten. Der entscheidende Schritt zum Mikroskop gelang um 1600. Wobei strittig ist, wer es letztendlich »erfunden« hat. Kaum glaublich, wie vernetzt die Welt damals schon war. In Middelburg erkannten der Brillenmacher Zacharias Jansen und sein Vaters Hans um 1590 beim Experimentieren mit Linsen, die sie in ein Rohr einführten, dass das betrachtete Objekt vergrößert erscheint. Bei diesem Typ spricht man vom einfachen Mikroskop. Zusammengesetzte oder »Compound«-Mikroskope haben zwei oder mehr Linsen. Man blickt durch die obere, das »Okular«, und sieht durch die untere, das »Objektiv«, das Betrachtungsobjekt vergrößert. 1609 entwickelte Galileo Galilei sein »Occhiolino« mit einer konvexen und einer konkaven Linse und machte es 1612 dem polnischen 

König Sigismund III. zum Geschenk. 1622 präsentierte der Astronom Cornelius Drebbel ein Mikroskop mit zwei konvexen Linsen in Rom. 1625 führte Johannes Faber von Bamberg den Begriff »Mikroskop« (aus dem Griechischen mikro für klein und skopein für sehen) in die Literatur samt mikroskopischer Abbildungen ein. Um 1645 entwickelte Eustachio Divini einen Schiebetubus aus Pappröhren mit mehreren Auszugsrohren – ein Prinzip, das sich bis ins 20. Jahrhundert behaupten konnte. 1654 hat der Augsburger Johannes Wiesel die Feldlinse hinzugefügt. 1671 baute der Kapuzinerpater Cherubin d’Orléans das erste Stereomikroskop.

Als Pionier der Mikroskopie gilt der Niederländer Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723), der seine Mikroskope komplett selbst baute. Er fertigte rund 550 Linsen, die er jeweils in einen Tubus einsetzte, um Bakterien, Hefepflanzen, Wassertropfen, Kapillare in 50facher bis 270facher Vergrößerung zu betrachten. Obwohl im Hauptberuf Tuchmacher, sandte er seine Erkenntnisse an die Royal Society of England und die französische Akademie der Wissenschaften. Das Echo war enorm: Zu seinen Besuchern gehörten Zar Peter der Große ebenso wie George I. von England. Auf seinen Erkenntnissen aufbauend, veröffentlichte der englische Naturwissenschaftler Robert Hooke 1665 mit seiner »Micrographia« das bahnbrechende Werk mit eigenen Illustrationen. Christiaan Huygens und Isaac Newton steuerten in den 1670ern Verbesserungen bei. Im 18. Jahrhundert dienten Mikroskope auch als Projektionsinstrumente geselliger Salonunterhaltung. John Cuff gelang die Feinjustierung der Fokussierung, indem er das Mi- kroskop mit einer freistehenden Stativsäule versah, die mit einer Schraube oder Zahnstange gegen den Tubus bewegt werden kann. George Adams entwickelte das Revolverobjektiv. Grundsätzlich haben sich die Mikroskope – ob aus London, Paris oder Wien – rund 200 Jahre lang technisch kaum verändert, bis der Ingenieur Carl Zeiss mit dem Glasspezialisten Otto Schott in den 1880er-Jahren eine neue Instrumenten-Ära einläutete.

Was macht den Reiz historischer Mikroskope aus? Das lässt sich etwa im Physikalisch-Mathematischen Salon in Dresden, im Optischen Museum in Jena, im Deutschen Museum in München oder im »Wissenschaftlichen Kabinett« des Wiener Kunsthändlers und Mikroskopexperten Simon Weber-Unger studieren, anhand von botanischen Lupen, unterschiedlichsten Taschenmikroskopen, ersten achromatischen Optiken, frühen Formen des Revolverobjektivs, Instrumenten mit stufenlosen Vergrößerungen oder Sonnenmikroskopen.

Ab etwa 1680 kamen sogenannte Floh- oder Mückengläser auf dem Markt. Diese einfachen Lupenmikroskope sind häufig kunstvoll gedrechselt und in hübsch verzierten Holz- oder Pappköchern aufbewahrt. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts bestanden auch die Tuben meist aus Holz oder Pappe, elegant ummantelt mit Leder oder exotischer Haifischhaut. Kunsthandwerkliche Meisterwerke sind Mikroskope mit effektvoll gedrechselten Tuben oder Zubehör aus Elfenbein. In Deutschland war Augsburg ein führendes Herstellungszentrum für Luxusgüter und wissenschaftliche Instrumente mit Christoph Schissler im 16. oder Georg Friedrich Brander im 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert erlangte München mit Utzschneider und Fraunhofer Weltgeltung.

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