Ausstellungen

Wettstreit der Schönheit im Barockflügel

Im neu eingerichteten Barockflügel des Bayerischen Nationalmuseums fällt das Urteil schwer, welcher der zwölf Säle am prächtigsten gelungen ist

Von Gloria Ehret
29.10.2018

Perplex blickt man auf den Kronleuchter mit lächelndem Satyrkopf, den der Hof-Elfenbeinschnitzer Christoph Angermair um 1625 für die Kammergalerie des bayerischen Kurfürsten Maximilian geschaffen hat: Das Licht fällt ungebrochen über das gehörnte Haupt und lässt das kostbare Material sanft schimmern. Daneben bezwingt Herkules in einem dramatischen Gewaltakt den Nemeischen Löwen, und Proserpina wehrt sich mit Leibeskräften gegen Pluto, der sie in die Unterwelt entführen will – zwei unfassbar grandiose Gruppen, von Georg Petel in Augsburg um 1624 und Simon Troger um 1750 in München geschnitzt.

Auch staunt man nicht weniger vor den zarten vielfigurigen, um 1700 entstandenen Reliefbildern des Düsseldorfers Ignaz Elhafen mit ihren hauchdünnen Hintergründen, die das Licht hindurchdringen lassen. Schon der erste Eindruck beim Rundgang durch die neu gestaltete Barockabteilung des Bayerischen Nationalmuseums ist überwältigend! Der Besuch im wiedereröffneten Westflügel, der rund 1600 Exponaten Platz bietet, beginnt mit 120 weltberühmten Elfenbeinarbeiten des 17. und 18. Jahrhunderts. Und sogleich wird sinnlich erlebbar, wie positiv sich die neue Lichtregie in den spiegelfreien Vitrinen auf die Strahlkraft der hell schimmernden Objekte auswirkt.

Ein vornehmes Handwerk

Doch haben nicht nur die Bildhauer und Schnitzkünstler in Figuren und Gruppen, Humpen oder Reliefs mit dem exotischen Material Elfenbein brilliert. Wunderwerke der Drechselkunst wie Deka- und Dodekaeder oder Contrefaitkugeln entstanden an der Drehbank. Das Drechseln als höfisches Kunsthandwerk gehörte auch zur Ausbildung europäischer Fürstensprösslinge, wie die originale Drehbank des Wittelsbacher Kurfürsten Max Emanuel eindrucksvoll belegt. Erst der Siegeszug des Meissener Porzellans im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts beendete die Blütezeit der Elfenbeinkunst im deutschsprachigen Raum.

Meissen in München

Der kostbaren Porzellansammlung, die rare ostasiatische Einzelstücke genauso umfasst wie auch Meissener oder Nymphenburger Erzeugnisse, sind dann die folgenden Säle gewidmet. August der Starke, der kunstsinnige sächsische Kurfürst, pflegte seine verwandtschaftlichen Beziehungen mit dem bayerischen Herrscherhaus. So kam viel Meissen nach München. Hier ließ Kurfürst Max III. Joseph alsbald eine Manufaktur errichten, die 1761 nach Nymphenburg verlegt wurde, wo sie heute noch tätig ist.

Und es ist ein Vergnügen, die exaltierten, kräftig bemalten hochbarocken Meissener Commedia-dell’Arte-Figuren und -Gruppen von Johann Joachim Kaendler mit den zarteren Nymphenburger Rokoko-Modellen von Franz Anton Bustelli, die Dessert-Tafeln am Hof schmückten, zu vergleichen. 1777 hielten mit Kurfürst Karl Theodor die von ihm geschätzten Frankenthaler Porzellane in München Einzug. Anhand der Fayencen und Porzellane lässt sich auch der Wandel der Trinksitten nachvollziehen: Im Lauf des 17. Jahrhunderts eroberten die Heißgetränke Tee, Kaffee und Schokolade Europa, für die neue Geschirre und Dekore entworfen wurden.

Heimische Hölzer in neuem Gewand

Die Möbelkunst erlebte im 18. Jahrhundert eine Hochblüte – mit neuen Typen von der Kommode bis zu Schreibmöbeln in allerhöchster kunsthandwerklicher Verarbeitung und oft technisch raffinierter Ausstattung. In Deutschland gipfelte sie in den Werken Abraham und David Roentgens. Ein eigener Ausstellungsraum ist Stühlen, Verwandlungstischen und Schreibmöbeln aus ihrer Neuwieder Manufaktur gewidmet, die als gleichrangig mit den berühmten Entwürfen der Pariser Ebenisten gelten dürfen.

Zwei separate Kabinette vermitteln einen Eindruck ganzer Raumschöpfungen. Von 1764 bis 1765 gestaltete Johann Friedrich Spindler Wand- und Deckenpaneele aus heimischen Hölzern für einen intimen Raum in Schloss Fantaisie bei Bayreuth für Elisabeth Friederike Sophie von Württemberg. Das sogenannte Tattenbach-Kabinett mit bemalten Seidenbespannungen stammt dagegen aus dem Münchner Stadtpalais, das der Baumeister François de Cuvilliés der Jüngere 1767 für den Minister Joseph Ferdinand von Reinstein-Tattenbach, errichtete. Die Blumenmalerei geht auf den Nymphenburger Porzellanmaler Joseph Zächenberger zurück, der die exakt gleichen Blüten auf Porzellan wie auf Seide darstellte.

Gold, Silber und Glas

Die Gold- und Silberschmiedekunst aus Augsburg gehörte mit imposanten Pokalen, Trinkspielen und Geschirren zum Prunkvollsten der Epoche. Eine vergoldete Lavabogarnitur (um 1712/1715), also eine Wasserkanne mit großem Becken, veranschaulicht die rituellen Handwaschungen an der Tafel des Herrschers. Solch kostbare Ensembles sind später zu Taufgarnituren umgewidmet worden, wobei das originäre Kirchensilber dem weltlichen an Pracht nicht nachsteht.

Der nächste Raum ist dem Glas gewidmet: 1617 wurde ein monumentaler, smaragdgrüner Römer aus dem Besitz des Mainzer Erzbischofs in Diamantriss mit einer Ansicht von Mainz und 69 Wappen verziert. Nach einem Streifzug vorbei an Nürnberger Balusterpokalen, Gläsern mit böhmischem Schwarzlotdekor von Ignaz Preißler oder einem Dresdener Riesenpokal, der um 1720 mit silbervergoldeten Imperatoren-Bildnissen geschmückt wurde, gelangen die Besucher schließlich in den Saal mit der eingedeckten Tafel des Hildesheimer Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen. Das Geschirr mit drei großen Tafelaufsätzen gilt als vollständigstes europäisches Silberservice des 18. Jahrhunderts. Dass zwar Teller und Besteck an jedem Platz liegen, aber keine Gläser, erläutert die Kuratorin Annette Schommers: »Die Gläser wurden dem Gast einzeln gefüllt gereicht und nach dem Trunk vom Diener zurückgenommen.« So erklärt sich, dass auf einer der Wandkonsolen ein riesiger Gläserkühler bereitsteht.

Barocke Kleiderlust

Wie die Hofgesellschafft sich damals kleidete, führen Kostüme aus Seide, Brokat und später auch Baumwolle vor Augen. Die „Grande Parure“ war förmlichen Hoffesten vorbehalten, die „Parure“, auch „Halbputz“ genannt, umschrieb die festliche Kleidung, während die Tageskleidung als „Négligé“ und die Haus- und Nachtkleidung als „Deshabillé“ bezeichnet wurde. Man kann sich die so Ausstafierten gut in den Kabinetten lustwandelnd vorstellen. In der neuen Abteilung sind zudem Kinderanzüge und Accessoires ausgestellt. Dies alles war natürlich nicht ohne Förderer und Sponsoren zu verwirklichen. Die Bauer’sche Barockstiftung hat großzügig zur Restaurierung zahlreicher Objekte beigetragen. Die Säle mit den Roentgen-Möbeln und den Kostümen hat der verstorbene Münchner Kunsthändler Harry Beyer finanziert. Und die Einrichtung des neuen Jagdsaales wurde durch Spenden der Bayerischen Staatsforsten und des Bayerischen Jagdverbandes ermöglicht. Eindrucksvoller denn je führen die zwölf neu eingerichteten Säle den Prunk und die Lebenslust während der Barockzeit bei den Wittelsbachern und am Münchner Hof vor Augen. Die langjährige Generaldirektorin des Bayerischen Nationalmuseums, Renate Eikelmann, hat sich mit der Verschönerung dieser Abteilung ein weiteres Denkmal zu ihrem Ausscheiden in den Ruhestand gesetzt.

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Barocker Luxus

Neue Dauerausstellung im Bayerisches Nationalmuseum

 

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 149/2018

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