Marseille

Ein Platz am Meer

Die Art-O-Rama lockte diesen Sommer wieder ein bunt gemischtes Kunstpublikum nach Marseille. Aber auch abseits der Messehallen hat die junge Kreativszene der südfranzösischen Hafenstadt so einiges zu bieten

Von Clara Zimmermann
03.09.2025

In der Sektion „Design“ offerierte man primär Kunsthandwerk aus Marseille und stellte damit die Vielfalt zur Schau, die die Hafenstadt in dem Bereich zu bieten hat. Für seine Lampen-Kollektion „Patella Tiffanya“ hat der Designer Michel Bresson Muscheln und Glas aus dem Mittelmeer gefischt: Aus den Fundstücken gestaltete er edle Lampenschirme im Tiffany-Stil, die ein besonders warmes Licht abgeben. Die ehemalige Modedesignerin Sophia Kacimi brachte ein begehbares Schachbrett mit auf die Messe, das bereits im V&A Museum in London zu sehen war. Die Figuren hat sie gemeinsam mit Kunsthandwerkerinnen und -handwerkern in Fès und Rabat entwickelt und mit marokkanischen Jacquard-Stoffen bezogen. Mit dem Spiel möchte sie gesellschaftliche Hierarchien hinterfragen und gleichzeitig dazu auffordern, über den Stellenwert des Handwerks in unserem Zuhause nachzudenken.

Michel Bresson Marseille
Eine Lampe von Michel Bresson aus seiner „Patella Tiffanya“-Kollektion. © Michel Bresson

Parallel zum Messestart eröffnete im fünften Stock des Kulturzentrums, von allen nur „La Friche“ genannt, die Ausstellung „Entre Deux Eaux“, in der noch bis zum 28. September die Abschlussarbeiten der Studierenden der École des Beaux-Arts de Marseille zu sehen sind. Zu den Highlights gehört eine Installation von Marcos Uriondo: Er zeigt eine vibrierende Tasse, aus der wie bei einem Springbrunnen Kaffee heraussprudelt. Im nur wenige Autominuten entfernten Château de Servières fand am Wochenende die zwölfte Ausgabe der kleinen Messe für zeitgenössische Zeichnung Pareidolie statt. Die alternative Organisation Systema veranstaltete eine ästhetische Entdeckungsreise durch das Palais Carli – eine ehemalige Bibliothek und Kunsthochschule. Vorbei an leeren Regalwänden aus dunklem Holz ging es für die Besucherinnen und Besucher über eine abenteuerliche Wendeltreppe hinauf bis unter das Dach des im 19. Jahrhundert erbauten Palasts.

Palais Carli Marseille
Ein Blick in die ehemalige Bibliothek im Palais Carli. © Foto: Clara Zimmermann

Unter dem Titel „La Rentrée“ lud die von der Stadt und der Region geförderte Initiative PAC (Provence Art Contemporain) am Samstagabend zur Galeriennacht ein. Diverse Off-Spaces in alten Garagen oder versteckten Hinterhöfen präsentierten abwechslungsreiche Positionen. Im kleinen Artspace La Rose ganz im Norden der Stadt eröffnete die Gruppenschau „La vieille boutique“, die noch bis Ende September Arbeiten von Gina Folly, Camille Blatrix und Thomas Jeppe zeigt. Auch in der Künstlerresidenz Artagon, beheimatet in einer alten Schule im 10. Arrondissement, gab es viel zu entdecken: Moye gewährte Einblicke in ihre Projekte, die sowohl von der Natur als auch von den architektonischen Elementen inspiriert sind, denen sie auf Inseln begegnete. Die 1996 geborene Künstlerin französisch-guadeloupéischer Herkunft gewann 2024 den von der Art-O-Rama ins Leben gerufenen Prix Région Sud. Charles-Arthur Feuvrier, ebenfalls Resident bei Artagon, präsentierte einen überdimensionalen pinken Flip-Flop. Das Schuhmodell namens „Savat DoDo“ stammt ursprünglich aus seiner Heimat Mauritius. Der 1997 geborene Künstler verwandelte es in ein Totem, um Geschichten über die kreolische Diaspora und ihre Kulturen im digitalen Zeitalter zu erzählen.

Im Rahmen der Messe wurde auch in diesem Jahr wieder der Prix Région Sud verliehen. Die mit 2000 Euro dotierte Auszeichnung fördert junge Kunstschaffende aus der Region und unterstützt sie dabei, sich mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren aus der Kunstszene zu vernetzen. Die diesjährige Auswahl im Bereich der Bildenden Kunst traf der Künstler Saâdane Afif gemeinsam mit der Kuratorin Yasmine d’Ô. Für den Bereich Design kuratierte Camille Lamy die Zusammenstellung. Die Messeteilnehmer wählten dann eine Gewinnerin oder einen Gewinner aus den beiden Sektionen aus: Die in Arles lebende Künstlerin Juliette George und die Industriedesignerin Edda Rabold aus Marseille wurden mit dem ersten Platz ausgezeichnet, zu dem ein Aufenthalt im berühmten Künstlerhaus Moly-Sabata an der Rhône nahe Lyon gehört. Im kommenden Jahr dürfen sie sich dann auf eine Einzelpräsentation auf der Messe freuen.

Während alle gewohnt sind, nach Paris zu schauen, floriert in Marseille eine dynamische Kunstszene, die ihren ganz eigenen Weg geht. Auch Norman Fosters monumentales Spiegelkunstwerk „L’Ombrière“ am alten Hafen hat sich nach anfänglicher Skepsis der Einwohnerinnen und Einwohner zum beliebten Wahrzeichen der Stadt etabliert und beweist quasi symbolisch, dass im Schatten stehen auch schön sein kann. 

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