Marseille

Ein Platz am Meer

Die Art-O-Rama lockte diesen Sommer wieder ein bunt gemischtes Kunstpublikum nach Marseille. Aber auch abseits der Messehallen hat die junge Kreativszene der südfranzösischen Hafenstadt so einiges zu bieten

Von Clara Zimmermann
03.09.2025

Wer am alten Hafen von Marseille nach oben schaut und nicht etwa den Himmel, sondern auf einmal das eigene Spiegelbild entdeckt, befindet sich bereits mittendrin im Kunstparcours der Mittelmeermetropole. Der futuristische Spiegel, den Norman Foster 2013 dort installierte, schwebt in einer Höhe von sechs Metern und reflektiert seine Umgebung auf fast schon magische Weise. Man fühlt sich klein unter dem schattenspendenden 48 Meter langen Edelstahldach, aber gleichzeitig auch ganz groß.

So ähnlich ergeht es auch der Kunst- und Designmesse Art-O-Rama, die sich unter der Leitung von Jérôme Pantalacci in den vergangenen Jahren einen festen Platz im Terminkalender der europäischen Szene erobert hat: Sie findet traditionell zum Ende der Ferienzeit am letzten Augustwochenende statt und lädt in mediterraner, entspannter Atmosphäre dazu ein, internationale Positionen und aufstrebende junge Galerien zu entdecken. Obwohl die zweitgrößte Stadt Frankreichs mittlerweile ein vielfältiges Kunst- und Kulturangebot vorzuweisen hat – 2013 war sie Europäische Kulturhauptstadt und das Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée (Mucem) öffnete seine Türen auf dem Gelände des ehemaligen Fort Saint-Jean, 2020 fand hier die Wanderbiennale Manifesta statt –, steht sie nach wie vor im Schatten von Paris.

Maya Inès Touam Marseille
Die Pariser Galerie Les Fille du Calvaire reiste mit Arbeiten von Maya Inès Touam nach Marseille. © Courtesy the artist and Les filles du calvaire

Im hippen Kulturzentrum Friche la Belle de Mai nahe des Bahnhofs Saint-Charles hat die Messe eine Heimat gefunden, die ihrem Anspruch als dynamische, niederschwellige Kunstmesse gerecht wird. Das 4,5 Hektar große Areal – ehemaliger Standort einer Tabakfabrik – wurde 1992 in ein Kreativzentrum umgewandelt, inklusive Skatepark, Kantine, Theater und großer Dachterrasse. Graffitis und Lastenaufzüge sorgen für ein urbanes Flair.

Die 19. Ausgabe der Art-O-Rama ehrte im August ihren Gründer, den Galeristen Roger Pailhas (1945–2005). Im Jahr 1996 initiierte er unter dem Namen „Art Dealers“ eine kleine Kunstmesse in seinen weitläufigen Räumlichkeiten am alten Hafen von Marseille. Acht Galerien waren eingeladen, ihre Kunst zu zeigen. Nach dem Tod von Pailhas führten seine Mitarbeiter Jérôme Pantalacci und Gaïd Beaulieu das Projekt weiter. 2007 fand dann die erste Ausgabe der Messe unter ihrem neuen Namen statt.

Insgesamt 65 Galerien und Verlage aus 14 Ländern waren in diesem Sommer dabei. Die Wiener Galeristin Alexandra Toth nahm auch schon im vergangenen Jahr an der Messe teil und lobte das angenehme Format: „Alles ist gut kuratiert, sehr ausgewählt und übersichtlich. Man kann sich gut auf die Arbeiten fokussieren.“ Auch der charmante Standort am Meer sei nicht von der Hand zu weisen. Aus Deutschland reisten nur zwei Galerien an, beide zum ersten Mal: Dittrich & Schlechtriem aus Berlin legte großformatige Leuchtkästen des 1995 in München geborenen Monty Richthofen vor, und Paw aus Karlsruhe präsentierte Werke von Miriam Schmitz, Matt Muir und Marc Botschen. „Es geht hier nicht nur um das Verkaufen“, findet Daria Dumitrescu von der Galerie Sabot aus Cluj-Napoca. „Die Art-O-Rama ist eine gute Plattform, um Kontakte zu knüpfen und so die eigenen Künstlerinnen und Künstler zu fördern.“ Mit im Gepäck hatte sie unter anderem zwei Arbeiten von Daniel Moldoveanu.

Amalia Laurent Marseille
Amalia Laurents Arbeit „Balcons“ von 2020 war im Angebot der Galerie Sissi Club. © Sissi Club, Marseille

Sissi Club, gegründet 2019 und mittlerweile eine der bekanntesten Galerien aus Marseille, bespielte schon öfter einen Stand auf der Messe. In diesem Jahr zeigte sie Arbeiten der Künstlerinnen Amalia Laurent und Marion Ellena, beide Jahrgang 1992. Sie beschäftigen sich mit unterschiedlichen Formen der Wahrnehmung und des Vergessens. Auf großen Batikstoffen verewigt Laurent mittels bunter Verfärbungen die Spuren der Zeit, während Ellena die Fähigkeit eines Bildes, Erinnerungen zu bewahren hinterfragt, indem sie nur Ausschnitte von Fotografien präsentiert. Die Londoner Galeristin Helen Neven kommentiert: „Besonders junge Galerien werden von der Messe sehr unterstützt. Außerdem wird man ermutig, auch experimentelle Arbeiten zu zeigen.“ Sie entschied sich für eine Solo-Präsentation mit Arbeiten von H M Baker, die alte Büroteppiche mit Fernsehbildern bedruckt hat.

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