Hart, aber herrlich: Hinter seiner rauen Fassade bietet das frühere Zeitungsviertel eine überraschende Vielfalt von Galerien in Fabriketagen und alten Kaufhäusern, einstigen Kirchen und schicken Gründerzeithäusern
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»Schön is’ dit nich«, sagt der Kreuzberger achselzuckend, und recht hat er: Bei der Bombardierung des alten Berliner Zeitungsviertels leisteten die Alliierten ganze Arbeit, und das meiste, was nach dem Krieg an Gebäuden neu errichtet wurde, glänzt in vielfältigen Schattierungen der Hässlichkeit. Sei’s drum! Eines der spannendsten Galerienviertel der Stadt versteckt sich genau hier!
Los geht’s in einem Hinterhof der Gitschiner Straße mit der Hausnummer 94 und auch gleich mit dem ersten Geheimtipp: Duve Berlin. Vom Stil her eine klassische Kreuzberger Fabriketage – weiße Wände und grauer Betonboden. In diesem Ambiente zeigt Alex Duve gern Kunst, die etwas abgerockt wirkt. Unlängst widmete er eine Gruppenausstellung dem unpopulären Thema »Rauchen«. Vom 28. April bis zum 28. Mai treffen jetzt die leicht trashigen Rauminstallationen von Christopher Füllemann mit ihren Topfpalmen und grellen Neonwürsten auf die „dreckigen“ Abstraktionen von Jens Einhorns Netzstoff-Übermalungen.
Um die Ecke wartet dann eine rare architektonische Perle: In die Kirche St. Agnes in der Alexandrinenstraße zog 2013 die König Galerie ein. Mit dem Erwerb des Gebäudes hat Johann König den richtigen Riecher gehabt. Egal ob Gemälde von Katharina Grosse oder jetzt zum Gallery Weekend Fotografien von Annette Kelm und Riesenbagels aus Holz von Claudia Comte: die Kunst sieht vor dem brutalistischen Betonhintergrund stets rasant gut aus.
Wir machen kehrt, biegen in die Neuenburger Straße ein und dann in die Alte Jakobstraße. Wem schon jetzt die Beine schwer werden, der stärkt sich mit einem Espresso im Café Dix der Berlinischen Galerie. Seit 15. April sind im Landesmuseum für Moderne Kunst die Gruppenausstellung »Visionäre der Moderne« und eine Einzelausstellung des Künstlers Erwin Wurm zu sehen. Uns zieht es zwei Straßen weiter in die Lindenstraße: Im früheren Kaufhaus Merkur (Hausnummer 34/35), das 1912 im aufknospenden Modernismus errichtet wurde, haben gleich zehn Galerien für zeitgenössische Kunst Platz gefunden. Im Erdgeschoss befindet sich eine Dependence der Düsseldorfer Konrad Fischer Galerie, die Helden wie Bernd und Hilla Becher oder Bruce Nauman im Programm hat. Zum Gallery Weekend darf man auf »mutierende« Skulpturen von Alice Channer gepannt sein. Als weitere interessante Galerien im Gebäude ließen sich etwa Nordenhake, Żak/Branicka oder Niels Borch Jensen nennen.
Ein erneuter Richtungswechsel lässt uns nach 150 Metern einen Blick auf Daniel Libeskinds spektakulären Bau des Jüdischen Museums Berlin werfen. Wer Zeit mitbringt, kann im Museum derzeit die politische Kunst des KZ-Überlebenden Boris Lurie entdecken. Wir gehen in die Markgrafenstraße, wo ein großer Industriehallenkomplex vor Jahren noch viele Galerien beherbergte. Einige wurden weggentrifiziert von hippen Büros wie dem »Startupbootcamp« oder einer »Flüsterkneipe«amerikanischen Stils (wenn auch ohne die genretypische Geheimniskrämerei, da mit großen Schaufenstern). Gehalten haben sich die Galerien Barbara Thumm und carlier/gebauer. Die erste zeigt ab dem 29. April den Kubaner Diango Hernández. Die zweite bietet zum Gallery Weekend Werke von Mark Wallinger.
Zwischen türkischen Hochzeitssälen, Lidl und dem lokalen Arbeitsamt geht es über eine schmuddelige Parkanlage an der Besselstraße und durch viel Kreuzberger Kiezkolorit zum zweiten Geheimtipp: In einem der wenigen erhaltenen Gründerzeithäuser in der Friedrichstraße hat Daniel Marzona seine Galerie erst seit eineinhalb Jahren. Hier kann man vom 29. April bis zum 6. Juni die so stillen wie poetischen Wandarbeiten Olaf Holzapfels bewundern. Die filigranen Linienornamente seiner Bilder setzt der Künstler aus Materialien wie gefärbtem Stroh und Kakteenfaser zusammen. Gegenüber von Marzona liegt der Berliner Ableger der Galerie Meyer Riegger aus Karlsruhe. Auf die Zeichnungen der Schweizer Künstlerin Miriam Cahn, die dort ab 29. April ausgestellt werden, freut man sich schon jetzt, bieten sie doch eine reizvolle Reibung von zarter Farbigkeit und harten Motiven.
Die Friedrichstraße hinauf folgt in der Rudi-Dutschke-Straße 26 ein weiteres Galeriehaus: Im Vorderhaus findet man im ersten Obergeschoss die Galerie Isabella Czarnowska, wo vom 29. April bis zum 16. Juli die Abstraktionen des polnischen Künstlers Stanisław Fijałkowski den Betrachter bezaubern. Die Bilder wirken hochaktuell, dabei stammen die ersten Werke aus den Sechzigerjahren. Fijałkowski ist mittlerweile 94 Jahre alt und in Polen wohlbekannt – hierzulande ist es jedoch seine erste Einzelausstellung überhaupt. Im Erdgeschoss des Galeriehauses setzen Veneklasen/Werner dann auf Kunst „made in California“: Sie zeigen zum Gallery Weekend die ultracoolen Skulpturen von Pat O’Neill. Und die rote Tür im Hinterhof schließlich gehört zu Crone, einer Galerie, die den Maler Norbert Bisky und die Konzeptkünstlerin Hanne Darboven im Programm hat. Letztere wird zum Gallery Weekend präsentiert.
Wer die Treppe zu Crones Obergeschoss hinaufsteigt, der erschnuppert dabei möglicherweise Düfte aus der benachbarbarten Küche des Restaurants von Sternekoch Tim Raue, einem waschechten Kreuzberger übrigens! Gerne würde man sich schon mit (teurer) Pekingente verwöhnen. Doch zum Abschluss geht es noch schnell um die Ecke zur Buchmann Galerie, wo Bettina Pousttchi zum Gallery Weekend Fachwerkbalken aus Keramik ausstellt. Für ein bisschen Dorfgefühl im Großstadtkiez.