In einer großartigen Ausstellung des Victoria and Albert Museum in London zeigen Elton John und sein Partner David Furnish einen Teil ihrer Photography Collection. Über 300 Arbeiten erzählen die Geschichte der Fotografie ab 1950 anhand zahlreicher Meisterwerke
Von
17.06.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 227
Für Johns Wissen über Fotografie hat Jane Jackson gesorgt, die 1989 ihre Galerie in Atlanta eröffnete und sie 2003 verkaufte, um Direktorin seiner Photography Collection zu werden. Gezündet hat die Liebe des Sängers zum Medium allerdings Anfang der Neunzigerjahre in Südfrankreich. Nach einer exzessiven Phase des Kokain- und Alkoholkonsums traf er dort auf dem Landsitz eines Freundes den Galeristen David Fahey, der ihm Motive von Herb Ritts und Irving Penn zeigte. „Plötzlich entdeckte ich etwas, von dem ich jahrelang umgeben gewesen war und das ich nie als Kunstform wahrgenommen hatte“, erinnert sich Elton John. Er hatte im Gegenteil seine eigenen Porträtsessions mit gefragten Fotografen wie Penn oder Avedon stets als Belästigung empfunden. Nun drehte sich das Bild: Plötzlich konnte John nicht genug von der Fotografie bekommen: „Ich war Feuer und Flamme und begann, auf Auktionen und bei Privatverkäufen Abzüge zu erwerben.“
In die aktuelle Schau im V&A mit über 300 Exponaten bringen drei Kuratoren – Duncan Forbes, Lydia Caston und Newell Harbin als jetziger Direktor der Photography Collection – Struktur. Im Katalog loben sie geradezu enthusiastisch das Wissen von John und Furnish, die mit den Bildern leben, statt sie wie andere Sammler geschützt in Kisten aufzubewahren. Auch sortiert das Trio die Bilder nicht nach Kategorien, sondern setzt das Erworbene in Bezug zu Johns Leben: ein Supertalent, das hart an der eigenen Karriere arbeiten musste, weil diese die Eltern nicht interessierte. Johns Initialzündung, der Modefotografie, folgte die Faszination für Porträts von Bühnenkünstlerinnen und -künstlern. Besonders faszinierten John widersprüchliche Charaktere mit Brüchen im Lebenslauf wie Marilyn Monroe, den heroinsüchtigen Chet Baker oder Nan Goldin, die in der New Yorker Subkultur unterwegs war. Sex, die Folgen von Aids, Drogenkonsum und prügelnden Liebhabern waren in den Achtzigerjahren ihre Themen. Als in der Londoner Galerie White Cube 1999 eine Soloschau mit Goldins Fotografien zu sehen war, habe man ihm gesagt, die Ausstellung sei nur komplett verkäuflich, erzählt John im Katalog zu „Fragile Beauty“. Er habe deshalb alle Fotos erworben, und David Furnish schickt einen an seinen Mann adressierten Satz hinterher: „Als du dort warst, hat du gesagt: ‚Das ist mein Leben. Das ist, was meine eigene Vergangenheit ausmacht.’“
So kommen Bilder der gay liberation hinzu, politische Auftritte genau wie Momente der ästhetischen Selbstvergewisserung. Robert Mapplethorpe taucht auf, aber auch Aktbilder aus den 1960er-Jahren etwa von Bruce Bellas aka Bruce of L. A., dessen nackter Mann mit feschem, nach oben gereckten Staubwedel heute etwas démodé herüberkommt. Fast hätte man es übersehen, doch die Kuratoren weisen darauf hin, dass die vielen männlichen Porträts etwa von Andy Warhol mit Perücke oder Malcolm X ausnahmslos von Fotografen stammen, während die Frauenbildnisse fast immer Selbstporträts sind – „als hätten sie ihre Repräsentation nur auf eigene Faust durchsetzen können“.
Irgendwann legte Elton John seinen lang gepflegten Snobismus farbiger Fotografie gegenüber ab. Bilder von Paul Outerbridge, William Eggleston und Stephen Shore zogen ein. Mit Rineke Dijkstra oder der britischen Künstlerin Sam Taylor-Johnson, die 2004 Schauspieler für ihre Serie „Crying Men“ Tränen performen ließ, wächst der Anteil konzeptueller Strategien. Und dann sind da Fotografen wie der 1977 geborene Amerikaner Ryan McGinley, dem es auf unbeschreibliche Weise gelingt, das flüchtige Gefühl von Jugend und Freiheit in seinen Bildern zu konservieren.
Ein gutes Foto, glaubt John, entstehe ähnlich wie seine musikalischen Kompositionen. Es habe mit „Glück und Zufall“ zu tun und müsse im richtigen Moment passieren. Von sich selbst mag er ein einziges Porträt aus der Hand von Irving Penn. Der habe ihn in einen dunklen Raum gesetzt, einen Scheinwerfer auf sein Gesicht gerichtet und bei langer Belichtungszeit gesagt, er solle immer wieder seinen Ausdruck ändern. Es sieht aus wie ein Gemälde von Francis Bacon, das alle Traumata, die Facetten des menschlichen Lebens und dessen Fragilität beschreibt. Ein Bild, das sich hundertfach auch in Elton Johns Sammlung widerspiegelt.
„Fragile Beauty“,
Victoria and Albert Museum London,
bis 5. Januar 2025
Mehr zur Ausstellung unter: vam.ac.uk