Gemäldegalerie Alte Meister

Die Lust an den Dingen

Hier galt Luxus, Überfluss und schöner Schein: Im Barock erlebte das Stillleben in den Niederlanden seine große Blütezeit. Die Gemäldegalerie in Dresden besitzt viele dieser Meisterwerke, kann aber nur wenige zeigen. Jetzt wird die Sammlung erstmals in einer opulenten Ausstellung gewürdigt

Von Sebastian Preuss
24.01.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 223

Im zentralen Saal sind die großen Prunktafeln aus dem spanisch-katholischen Antwerpen versammelt. Neben dem Schaustück Adriaens van Utrecht ist hier vor allem Frans Snijders mit drei monumentalen Gemälden dominant. Er war beeinflusst von der Darstellung barock ausladender Marktstände mit ihren Verkäuferinnen und Verkäufern, die im 16. Jahrhundert in den Niederlanden und in Italien in Mode gekommen waren – einige spätere Beispiele dieses Typus belegen den Zusammenhang. Snijders überführte die oft derben Marktszenen aus dem Alltagsleben der Bürger in die Sphäre des Luxus und der teuren Speisen, etwa Austern, Artischocken, Spargel oder Thunfisch. Der Affe – Sinnbild für Sünde und menschliche Untugenden, zugleich aber auch ein Zeichen für den Reichtum seines Besitzers – und der Papagei im Gemälde zeugen vom Kolonialismus sowohl der in Flandern herrschenden Spanier wie der protestantischen Holländer im Norden. Ihre Schiffe brachten die exotischen Tiere aus Südamerika, Indien und Ostasien.

Stillleben im Barock: Jagdbeute gehörte zur Demonstration von Reichtum

Snijders fuhr alles auf, was Prestige demonstrierte. Ein Wildschweinkopf und ein dramatisch aufgetürmter Hirsch verweisen auf den aristokratischen Zeitvertreib der Jagd. Auch der Schwan war in seiner makellosen Schönheit und dem Mut, sich immer zu verteidigen, positiv assoziiert; in der christlichen Bildwelt verkörperte er Reinheit, Liebe, Treue und war ein Symbol für die Auferstehung Christi. Mit heutigen Augen und Ansichten bringt man das alles nicht zusammen: die Luxusverherrlichung, den Affen und den Papagei, Hund und Katze, die sich unter dem Tisch um einen Aal streiten, die geschändeten Kreaturen wie der erlegte Schwan, der enthauptete Eber und gerade erst ausgeweidete Hirsch, schließlich die saftig schimmernden Früchte und all die anderen dargebotenen Köstlichkeiten.

Frans Snijders’ „Stillleben mit dem Affen auf dem Stuhl“ aus den 1630er-Jahren. © Elke Este und Hans-Peter Klut/Gemäldegalerie Alte Meister, SKD
Frans Snijders’ „Stillleben mit dem Affen auf dem Stuhl“ aus den 1630er-Jahren. © Elke Este und Hans-Peter Klut/Gemäldegalerie Alte Meister, SKD

In vielen der gezeigten Stillleben tritt dieser Widerspruch von Leben und Tod, Wohlstand und christlicher Moralisierung hervor: Man kann noch so viel wirtschaftlichen Erfolg haben, am Ende ist doch alles vergänglich. Ist es eine übertriebene These, in diesen Bildern auch eine Art Therapeutikum zu sehen, um den rasant gewachsenen Reichtum gerade in den abtrünnigen Nordprovinzen der Niederlande moralisch zu verarbeiten und irgendwie mit der calvinistischen Religion in Einklang zu bringen?

Moral schwingt in vielen Stillleben mit, denn jeder Reichtum ist vergänglich

Die flämischen und holländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts fielen nicht vom Himmel, sondern hatten eine Vorgeschichte, die bis zurück in die Antike reicht – wo etwa in Pompeji zahlreiche Darstellungen von Speisen und anderen Gegenständen entstanden. Der erste Saal bietet ein einführendes Präludium von römischen Tellern, die mit Fischen bemalt wurden, über ein spätgotisches Stundenbuch mit Blumendarstellungen bis zu Renaissancegemälden des 15. und 16. Jahrhunderts, als die Künstler in biblischen oder allegorischen Szenen zunehmend Wert auf akribische Darstellungen von Pflanzen und Gegenständen des Alltags legten. Diese Lust an den Dingen führte zum autonomen Stillleben, das Pflanzen, Speisen und Gegenstände aller Art isolierte und zur eigenen Bildgattung erhob. Als ältestes bekanntes Werk dieser Art gilt die 1504 entstandene Darstellung eines toten Rebhuhns, das mit Eisenhandschuhen und Armbrustbolzen an der Wand hängt. Der venezianische Maler Jacopo de’ Barbari schuf das Gemälde im Dienst des sächsischen Kurfürsten; heute hängt es in der Alten Pinakothek in München.

Es ist sinnvoll, dass die Dresdner Ausstellung auf solche Leihgaben verzichtet und sich stattdessen auf den reichen eigenen Bestand konzentriert. So kann sie die ganze Bandbreite der Motive auffächern, die im „Goldenen Zeitalter“ der Niederlande zu einer Fülle von neuen Stilllebentypen führt. Mit der Wirtschaftskraft wuchs der Kunstmarkt, sodass sich die Maler durch Spezialisierung zu behaupten versuchten. Als sehr begehrt erwies sich das monochrome banketje, das Pieter Claesz. und der nicht mit ihm verwandte Willem Claesz. Heda zu hoher Meisterschaft führten. Der Hintergrund wird zur bloßen Farbfläche, und die angerichtete Mahlzeit beschränkt sich auf wenige, dafür umso wirksamere Dinge. Die Gefäße aus Silber oder Zinn schimmern metallisch, der Wein im wunderbar transparent gemalten Glas leuchtet dunkelgrün, während eine angebrochene Brombeerpastete zeigt, dass hier gerade gefrühstückt wird. Die kühle Farbpalette und die Reduktion der immer noch sehr kostbaren Accessoires passen im Grunde besser zum Calvinismus der Holländer und setzen dem sinnlichen Barock der Flamen Rubens, Snijders oder Jordaens (alle prominent in der Schau vertreten) einen neuen Stil entgegen.

Ebenso beliebt waren Fisch- und Jagdstillleben. Darunter sind faszinierende Meisterwerke, und immer wieder ist man verblüfft, wie haarfein die Oberflächen der Felle oder der Federn dargestellt sind. Aber die Fülle an toten Hasen, Hirschen, Enten, Rebhühnern oder Singvögeln, allesamt stolz als Trophäen präsentiert, ist für Tierliebhaber auch verstörend. Wieder hält man inne und grübelt. Die zum Teil hyperrealistische Malweise bringt uns diese Bilder sehr nahe, zugleich sind uns das Gedankengut und die Moralvorstellungen, vor allem, wenn sie sich auf christliche Symbole berufen, ziemlich fern. Da nimmt man schon fast Zuflucht zu den Muschelstillleben oder zum Haarlemer Joseph de Bray, der liebevoll dem Pökelhering huldigt, ihn mit Butterbrot, Käse und Bier anrichtet und das Ganze auf einer illusionistisch gemalten Keramikplatte mit Lobgedicht auf das einfache holländische Traditionsmahl bekrönt.

Seit sich im 16. Jahrhundert das autonome Stillleben entwickelt hatte, waren Blumendarstellungen besonders beliebt und teuer. Vor allem, wenn sie so herrlich gemalt waren wie der „Blumen- und Früchtekranz“ von Abraham Mignon, um 1660/70. © Elke Este und Hans-Peter Klut/Gemäldegalerie Alte Meister, SKD
Seit sich im 16. Jahrhundert das autonome Stillleben entwickelt hatte, waren Blumendarstellungen besonders beliebt und teuer. Vor allem, wenn sie so herrlich gemalt waren wie der „Blumen- und Früchtekranz“ von Abraham Mignon, um 1660/70. © Elke Este und Hans-Peter Klut/Gemäldegalerie Alte Meister, SKD

Blumendarstellungen waren besonders beliebt – und teuer

Großen Raum nehmen die Blumenbilder ein. Seit es Stillleben gibt, waren sie besonders begehrt und teuer, die zarten Blütenblätter, die fragilen Stängel und Blättchen in ihrer Vielfalt und sinnlichen Natur wiederzugeben erfordert hohe Meisterschaft. Jan Brueghel d. Ä., der diese Gattung um 1600 wesentlich prägte, ist in der Dresdner Stillleben-Sammlung nicht vertreten, wohl aber mit einer ganzen Bildparade der ungekrönte Blumen- und Früchtekönig Jan Davidsz. de Heem. Er arbeitete sowohl in Antwerpen als auch in Utrecht und zeigt, wie der künstlerische Austausch trotz des langen, desaströsen Krieges und der politisch-religiösen Feindschaft zwischen südlichen und nördlichen Niederlanden weiterlief. Man kann sich kaum sattsehen an den feinen Farbnuancen von Nelken und Rosen, der Vielfalt der Arten, bevölkert von winzigen Insekten (die ebenso alle noch bestimmbar sind), an den raffinierten Verschattungen, am Wechselspiel von Hochglanz und seidig mattem Schimmer.

Mit Maria van Oosterwijck und Rachel Ruysch sind hier auch zwei exzellente Malerinnen vertreten. Sie behaupteten sich in der Männerwelt der damaligen Kunst, und Ruysch stieg zur Hofmalerin von Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz auf. Dass Frauen Blumen malten und keine Lust auf tote Tiere hatten, sagt aber auch einiges aus.

Service

Ausstellung

„Zeitlose Schönheit. Eine Geschichte des Stilllebens“

Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden,

bis 1. September

gemaeldegalerie.skd.museum

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