In diesem Monat freuen wir uns auf die große Retrospektive von Philip Guston in London, die Fotokunst von Horst H. Baumann in Köln und auf Orhan Pamuks „Museum der Unschuld“ in Dresden
Von
29.11.2023
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 221
Von der Heydt-Museum, Wuppertal, bis 25. Februar 2024
Es ist eine Gabe, mit minimalen Eingriffen aus der Ungegenständlichkeit eine Geschichte herausschälen zu können. Die 2021 verstorbene Künstlerin Erinna König besaß dieses Talent. Zwei dunkle Punkte als Knopfaugen auf einen gezackten gelben Untergrund getupft – plötzlich besitzt „Das Gelbe“ eine Seele! Und mit wenigen Strichen nur machte sie aus den Formen in „A whiter shade of pale“ (2011) eine Reminiszenz an die herrlichen Haar- und Bartmodeeinfälle der Hippies. Leider blieb König zeitlebens der große Durchbruch verwehrt. Ihre museale Retrospektive ist nun der erste Schritt, um das Versäumnis zu korrigieren.
Tate Modern, London, bis 25. Februar 2024
Jahre bevor in der Tate Modern die Türen der Philip-Guston-Retrospektive aufgingen, entbrannte eine Diskussion, da der Maler in seinen Bildern immer wieder die Mützenträger des Ku-Klux-Klans einfügte – und dabei gezielt veralberte. Die Schau präsentiert nun sein Werk als facettenreiche Auseinandersetzung mit Rassismus, Identität und künstlerischem Mut. Ein ebenfalls wiederkehrendes Motiv Gustons ist eine alte, knochige Hand. Im Bild „The Line“ (1978) zeigt diese mahnend aus dem Himmel auf die Erde und zieht eine dicke Linie. Es wirkt so, als stelle diese eine Grenze dar. Man steht auf der einen oder auf der anderen Seite. Guston fordert dazu auf, diese Denkweise zu hinterfragen. Denn sein Bild erinnert uns daran, dass Grenzen willkürlich gezogen sind.
Museum für Angewandte Kunst Köln, bis 28. Januar 2024
Bestaunt man die Bilder dieser Ausstellung, dann fragt man sich, wie ein so bedeutender Fotograf in Vergessenheit geraten konnte. Vielleicht weil sich Horst H. Baumann (1934–2019) in den späten Sechzigern, als er mit seinen Reportagen und Bildstrecken überall präsent war und auch in der Werbung viel verdiente, der Licht- und Laserkunst zuwandte. Jetzt ist das fotografische Werk endlich wiederzuentdecken. Baumanns Street Photography seit den Fünfzigern ist voller Empathie und raffinierter Ästhetik. In den frühen Sechzigern nutzte er als einer der ersten konsequent die neue Farbfotografie. Aufsehen erregten etwa seine Bilder der Formel 1 („Großer Preis von England, 1963“). Bei Baumann sieht man sich glatt in einen Rausch!
Heiliggeistkirche, Landshut, bis 7. Januar
Um die Tradition und das Fortbestehen des Kunsthandwerks zu unterstützen, vergibt die Danner-Stiftung jedes Jahr einen Preis. Im Zuge der Verleihung werden Objekte der Gewinnerinnen und Gewinner sowie von weiteren Teilnehmenden in der Heiliggeistkirche in Landshut ausgestellt. Der unten abgebildete Vitrinenschrank „Raster“ von Gunther Pfeffer erhielt den diesjährigen Hauptpreis. Insgesamt präsentieren 41 Teilnehmende ihre Werke in der spätgotischen Kirche. Die Ausstellung zeigt definitiv kunsthandwerkliche Spitzenklasse, und der monumentale Bau des Gotteshauses bietet einen gelungenen Kontrast zur präzisen Feinheit der Exponate.
Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden, bis 7. April 2024
Wie Gegenstände zu Gefühlsspeichern werden können, das hat der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk in seinem Roman „Das Museum der Unschuld“ auf wundervolle Weise erzählt: Die unglückliche Liebe eines jungen Mannes in Istanbul zu einer Verwandten manifestiert sich in den Dingen, die sie berührt hat. 2012 wurde das fiktive Museum in einem Haus in der Stadt am Bosporus Realität. 41 Kabinette daraus hat Pamuk für eine Wanderausstellung nachgebildet. Ergänzt werden sie durch neue Kunstwerke des Schriftstellers, sie erzählen von Objekten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden inspirierte Geschichten. Diese Dinge mögen vielleicht nicht immer ganz unschuldig gewesen sein, aber von Gefühlen durchdrungen sind sie zweifellos.
Kunstmuseum Basel, bis 4. Februar 2024
Dass sich ein Künstlergigant wie Jasper Johns keinen Mist an die Wohnzimmerwand hängt, hatte man schon gehofft. Und so fühlt man sich durch diese Schau, die den Zielsetzer der amerikanischen Pop-Art als Sammler vorstellt, auf angenehme Weise bestätigt: Klar besäße man selbst gern die Zeichnung „Moultonboro“ (1965–1975), die Johns bei seinem Hard-Edge-Kollegen Frank Stella vielleicht gegen eine eigene Arbeit eintauschte. Genauso solide Kunstgeschichte strömt aus den anderen Exponaten. Eine Federzeichnung „Hand, ein Gewand haltend“ des Renaissancemalers Bartolomeo Passarotti und eine Collage des Avantgardisten Kurt Schwitters verbindet zwar wenig, doch dass sie beide Johns inspiriert haben könnten, ist hochspannend zu sehen!