Bild des Tages

Sag mir, wo die Bienen sind

Die Kunst des Augsburgers Maximilian Prüfer entsteht mithilfe von Ameisen, Schnecken oder Wassertropfen. Seine jüngsten Arbeiten widmen sich dem Bienensterben und sind nun im Weltmuseum Wien zu sehen

Von Simone Sondermann
22.05.2023

Für sein jüngstes Projekt ist Maximilian Prüfer weit gereist. Das ist gar nicht typisch für ihn. Die meiste Zeit findet er die Dinge, mit denen er arbeitet, vor der Haustür seines Augsburger Studios oder auf Streifzügen durch die nahe gelegenen Wälder. Und diese Dinge sind, genau genommen, auch gar keine Dinge, sondern lebendige Wesen: Ameisen und Schnecken, Falter und Vögel. Und mitunter auch der prasselnde Regen. Doch diesmal reiste er bis nach China, in die Sichuan-Provinz, um sich mit einem Thema zu konfrontieren, das zum ebenso stillen wie beklemmenden Zeugen der fortschreitenden Umweltzerstörung geworden ist: dem Insektensterben. In China begegnet man der Ausrottung der Bienen und ihren Folgen mit der künstlichen Bestäubung. Menschen klettern auf Leitern und bringen die Pollen von Hand auf die Blüten. Sie treten – notgedrungen – an die Stelle der Tiere, die sie aus ihrem Lebensraum vertrieben haben. Für sein Projekt „A Gift From Him“ mietete Prüfer einen einzelnen Baum von den Bauern in Sichuan und bestäubte im Frühjahr eine einzige Blüte. Als er im Herbst zurückkehrte, war der Baum kahl – bis auf die eine Frucht, die er zur Entwicklung gebracht hatte. Er dokumentierte diesen Prozess, fertigte einen Bronzeabguss der wertvollen, einsamen Frucht.

Kunst als Geburtshelfer der Natur, das ist eine Art, die Arbeitsweise von Maximilian Prüfer zu beschreiben. Der 35-jährige Augsburger ist ein Tüftler, ein Erfinder. Schon als Kind war er von Neugierde getrieben, machte seltsame, aber durchaus funktionale und visionäre Erfindungen, bekam einen Preis von „Jugend forscht“. Es folgte ein Designstudium, aber auch dabei ging er vor allem eigenen Wege, machte klassische Naturstudien und stellte im Rahmen seiner Beobachtungen immer mehr philosophische und existenzielle Fragen. Für seine künstlerische Praxis wurde das Spurenverfahren prägend, das er selbst entwickelt hat und mit dem er bis heute vorwiegend arbeitet. Für seine von ihm „Naturantypie“ genannten Arbeiten bringt er eine besondere Beschichtung auf große Bögen Papier auf. Über das Papier lockt er dann, etwa mit kleinen Honigtöpfen, Schnecken oder Ameisen, die darauf ihre Spuren hinterlassen. Oder er breitet den Bogen an einem Bachlauf aus und wartet auf den Regen, bis die ersten Tropfen Punkte und immer mehr Punkte auf die schwarze Fläche setzen. Nach und nach entstehen Muster und mit ihnen das Bild. Malen also in Wirklichkeit die Schnecken, der Regen, die Ameisen für ihn das Bild? „Es ist immer ein Miteinander“, erzählt der Künstler, vor allem bei den Insekten. „Ich lerne dabei viel und muss verstehen, wie das Tier tickt. Ich zwinge die Tiere nicht, sie werden allenfalls positiv manipuliert.“ Seit der Coronakrise interessiert er sich verstärkt für das Kollektive. Gibt es ein Denken außerhalb des Körpers? Wie entsteht ein kollektives Gedächtnis, ein kollektives Trauma? Nach Antworten sucht er etwa bei den Blattschneiderameisen. Die Bilder, die er mit ihnen macht, entstehen über einen Zeitraum von zwei Monaten. Die Spur einer einzelnen Ameise allein ist nicht zu erfassen, sie ist zu fein. Doch die Wege der Tiere werden tausendmal gelaufen, erzählt er, so entstehen Spuren der Straßen, die aussehen wie Blitze oder Nervenbahnen. „Das Muster entspricht meinem eigenen Körperschema“, sagt er, denn es ist dadurch beeinflusst, wie er die kleinen Töpfe mit dem Lockstoff auf dem Papier verteilt. Künstler und Insekten bilden sich so gegenseitig ab. Interessant ist auch, dass die Anordnung der Ameisenstraßen ähnlich aussehen wie die Trampelpfade von Menschen, die man auf Drohnenfotos erkennen kann. „Inwelt“ hieß 2022 Prüfers Ausstellung in der Wiener Galerie Kandlhofer. Den Begriff der Umwelt findet er irreführend, dieser suggeriere eine Trennung zwischen uns und unserer Umwelt, die es nicht gibt. Alles hängt miteinander zusammen. Wir sind Beobachter, Handelnde und ein sehr kleiner Teil des großen Ganzen.

Übrigens: Das Weltmuseum Wien zeigt vom 18. Mai 2023 bis 9. Juli 2024 Werke von Maximilian Prüfer in der Ausstellung „Fruits of Labour“.

Zur Startseite