Interview mit Jenny Holzer

„Ich liebe nicht jeden Satz“

Die Wortmeisterin Jenny Holzer wird in einer großen Schau in Düsseldorf gewürdigt. Ein Gespräch über wahre Sätze und magisches Licht

Von Tim Ackermann
07.03.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 210

Der Inhalt wird beeinflusst, moduliert, infiziert, unterstützt, übertragen, transportiert durch die Materialien, das Medium, die Technik, die Assoziationen – und das ist der Spaß daran und die Verantwortung.

Warum sind Sie 2005 mit Ihren „Redaction Paintings“, bei denen Sie Zensurbalken in freigegebenen Dokumenten zu den Kriegen in Irak und Afghanistan farbig übermalen, zur Malerei zurückgekehrt?

Ich wollte nicht als eine schamvoll verdrängte und schreckliche, gescheiterte Malerin sterben. Ich sah ästhetisches Potenzial in zensierten Regierungsdokumenten, die den Werken der russischen Suprematistinnen und Suprematisten ähnelten, und ich fand Informationen in den einst geheimen Seiten, die enthüllend, wahrhaftig und unmittelbar sind. Sie sind es wert, dass man sie wieder den Menschen vor Augen hält, die ansonsten die Geschichte möglicherweise nicht sehen würden. Diese Dokumente bieten Form und Inhalt, manchmal getrennt und manchmal zusammen, so lockten mich diese Blätter an. Jetzt lerne ich, wie man sie richtig malt.

Mögen Sie es eigentlich lieber, wenn Ihre Werke den öffentlichen Raum beleben, anstatt in einem Museum ausgestellt zu werden?

Ich empfinde es als Glücksfall, wenn meine Werke auf öffentlichen Plätzen und in Museen zu sehen sind. Jeder Ort hat unterschiedliche Ansprüche, die nahezu unmöglich zu erfüllen sind, aber das ist die Herausforderung und die Verpflichtung daran.

Auf der Rückseite des Ausstellungsflyers der Düsseldorfer Schau erscheint eine Fotografie des Rockmusikers Kurt Cobain, wie er 1993 bei einem Fotoshooting in New York zufällig vor einem Ihrer Werke aus der „Survival“-Serie posiert. Was gefällt Ihnen an diesem Bild?

Ich mag, dass Cobain in einer anderen Aufnahme dieses Fotoshootings in der Nase bohrt.

In Ihren zwei Serien „IT IS GUNS“ und „VOTE YOUR FUTURE“ äußern Sie sich deutlich zu den Themen Waffenbesitzkontrolle und parlamentarische Demokratie. Warum sind Ihnen diese beiden Themen so wichtig, dass Sie so offen darüber sprechen?

Eine absurde, verwerfliche, tragische Anzahl an Menschen wird erschossen, und Alternativen zur Demokratie sind schrecklich.

Was halten Sie davon, dass Ex-Präsident Donald Trump im vergangenen Dezember aus egoistischen Gründen die „Beendigung“ der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika forderte. Hat er sich damit nicht mit einer Versammlung von Wörtern angelegt, die – aus guten Gründen – viel mächtiger sind als er selbst?

Auf einer gewissen Ebene ist Trump klar, dass die Verfassung sehr viel mächtiger ist als er. Dieses Bewusstsein mag der Grund sein, weshalb Trump diktieren will.

Glauben Sie, dass Ihre Kunst einen Einfluss darauf hat, die Welt zum Besseren zu verändern?

Ich hoffe, sie hat die Welt nicht schlechter gemacht. Das ist alles, was ich mit Zuversicht für mich beanspruchen kann. Ich kann keine großen Behauptungen machen. Auf jeden Fall sind die meisten menschlichen Aktivitäten überfällig für eine kritische Neubewertung, und meine sind da keine Ausnahme.

Die Perspektiven und Erfahrungen von Frauen sind sehr wichtig und sichtbar in Ihren Werken. Aber Empathie kann auch eine Bürde sein …

Empathie ist eine Voraussetzung. Ich bin keine richtige Schriftstellerin, also muss ich etwas fühlen, um angemessen schreiben zu können.

Warum haben Sie Ihre Serie „Lustmord“ zu Ende geführt, bei der die Arbeit emotional sehr hart gewesen sein muss?

Es war und ist notwendig, Vergewaltigung als ein Kriegsverbrechen und ein im Alltag ständig vorkommendes Verbrechen darzustellen. Ein zu großer Prozentsatz von Frauen braucht sich Vergewaltigung nicht vorzustellen, um mitzufühlen. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn hauptsächlich Männer sexuell angegriffen und nicht selten getötet würden.

Welchen Einfluss hatte die Tatsache, dass Sie eine Frau sind, auf Ihre Karriere als Künstlerin?

Weiblich zu sein kann in der Kunstwelt von Nachteil sein, so wie ganz allgemein Frauen auf dieser Welt im Nachteil sind. Manchmal jedoch ist das, was ich aufgrund meines Geschlechts weiß und vorhersehen kann, ein Pluspunkt. Und tatsächlich bieten meine Erfahrungen lebendiges Themenmaterial.

Was glauben Sie, wie sich unsere Welt verändern würde, wenn überwiegend Frauen als Staatspräsidentinnen die Geschicke lenken würden?

Es wäre nicht schlechter, wenn die Welt überwiegend Präsidentinnen hätte.

In einem interessanten Doppelinterview mit der Schauspielerin Jane Fonda für das Magazin Cultured sprechen Sie beide über Ihre persönlichen Erfahrungen mit politischem Protest und zivilem Ungehorsam. Ich vermute, dass Ihnen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten sympathisch sind, die Straßen und Flugplätze blockieren. Aber ist für Sie eine Grenze überschritten, wenn Protestierende Kunst attackieren, zum Beispiel wenn sie Suppe auf Gemälde werfen?

Ich würde lieber Kessel voller Suppe auf Klimawandelleugnern sehen.

Service

Ausstellung

„Jenny Holzer“,

11. März bis 6. August,

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen/K21, Düsseldorf

kunstsammlung.de

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