Bild des Tages

Der kleine Vermeer

Kein Ticket mehr bekommen für die Vermeer-Schau in Amsterdam? Dann haben wir etwas für Sie: Das Mauritshuis in Den Haag zeigt den Barockmaler Jacobus Vrel, der Jahrzehnte zuvor ähnlich stimmungsvolle Innenansichten schuf

Von Tim Ackermann
21.02.2023

Sanftes Licht fällt in eine holländische Bürgerstube, in der eine junge Frau ganz in ihre alltägliche Arbeit versunken scheint. Wer denkt bei dieser Beschreibung nicht automatisch an eines der berühmten Bilder von Johannes Vermeer – etwa an „Das Milchmädchen“ von 1558–1559? Gemeint ist hier jedoch das Werk eines anderen holländischen Malers: Die Genreszene mit dem extralangen Titel „Interieur mit einer Frau, die das Haar eines Mädchens kämmt, und ein Junge an einer holländischen Tür“ wurde von Jacobus Vrel geschaffen. Der kleine gemalte Zettel auf dem Fußboden in der rechten unteren Ecke des Bildes enthält seine Signatur.

Während die Mutter das Haar des Mädchens möglicherweise auf Ungeziefer absucht, liegt der Reifen als Spielzeug unbeachtet auf dem Boden. Der Junge schaut aus der Tür, von links fällt das Sonnenlicht in sein Gesicht. Dieses Einschleichen der unbekannten Außenwelt in eine stille und würdevolle Situation hat auch Johannes Vermeer mehrfach gemalt. Tatsächlich sind sich die beiden Künstler in der Bildsprache auf den ersten Blick so ähnlich, dass man ihre Werke gelegentlich verwechselt hat. Wobei Vrel ein noch größeres Mysterium ist als sein weltberühmter Kollege aus Delft. Außer dem Namen wusste man praktisch nichts über dieses Künstlerphantom. Ein Forschungsprojekt dreier Museen – dem Mauritshuis in Den Haag, der Alten Pinakothek in München und der Fondation Custodia in Paris – hat nun das Alter des Holzes bestimmen können, auf dem Vrel malte. Heraus kam, dass er wohl schon fast zwei Jahrzehnte früher als Vermeer tätig war. Unser „Bild des Tages“ beispielsweise entstand zu einer unbestimmten Zeit nach 1649.

Vrel darf somit als Vorgänger von Vermeer gelten. Das Mauritshuis stellt diesen kaum bekannten Barockkünstler nun dem Publikum vor. Auch wenn er nicht die einzigartige Könnerschaft seines Delfter Konkurrenten in der Darstellung von Licht und Atmosphäre erreicht, so glänzt die kleine Schau doch mit 13 herrlich gemalten und teilweise recht skurrilen Interieurs und Straßenszenen, die zeigen, wie innovativ Vrel mit den Grenzen von Innen- und Außenraum spielte. Ein kleiner Trost vielleicht für all diejenigen, die im Moment bei der mit 450.000 Eintrittskarten restlos ausgebuchten Vermeer-Ausstellung des Amsterdamer Rijksmuseums gerade nicht zum Zuge kommen.

Übrigens: Das Rijksmuseum prüft gerade, ob es noch mehr Besucherinnen und Besuchern den Eintritt zur Vermeer-Ausstellung ermöglich kann. Es lohnt sich dafür die Museumswebsite zur Schau im Auge zu behalten. Neuigkeiten soll es laut Rijksmuseum ab dem 6. März geben. Die Ausstellung „Vrel, Vorgänger von Vermeer“ läuft noch bis 29. Mai im Mauritshuis in Den Haag.

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