Museion in Bozen

„Krankheiten wandeln sich mit der Zeit“

Die Ausstellung „Kingdom of the Ill“ nimmt sich Fragen vor, die im Kunstbetrieb oft ausgeblendet werden. Sara Cluggish und Pavel Pyś erklären, wie Aktivismus die Museumswelt verändert, und was es mit der Identitätskrise der Kunstinstitutionen auf sich hat

Von Philipp Hindahl
24.11.2022

Die Installation der Brothers Sick bildet einen Eingang in die Ausstellung, die vier Stockwerke umfasst, und sie spielt auch auf die Coronapandemie an. Dann geht man eine Treppe hinauf und landet bei Shu Lea Chang und ihrer großen Cyberpunk-Videoinstallation, gleich neben den Skulpturen der feministischen Künstlerin Lynn Hershman Leeson. Im obersten Geschoss des Hauses ist ein ruhiger, wohltuender Riesenraum. Was für eine Geschichte wollen Sie erzählen?

PP: Die ersten drei Geschosse sind immersiv wie ein Labyrinth. Das gilt besonders für den dritten Stock, wo P Staffs Installation so gestaltet ist, dass sie von allen anderen Räumen sichtbar ist. Die oberste Etage ist dann ziemlich entspannt. Dort wussten wir, dass Barbara Gampers Installation Musik benutzt, aber ich habe nicht erwartet, wie sich der Klang verbreitet. Sie hören eine Marimba, und es klingt fast, als wären Sie bei einer Massageanwendung – wirklich seltsam. Hier herrscht etwas mehr Leichtigkeit, was vielleicht an der Erotik in der Arbeit von Juliana Cerqueria Leite und Zoë Claire Miller liegt, oder an dem sanften Licht, das von Heather Dewey-Hagborg und Phillip Andrew Lewis’ Pflanzeninstallation ausgeht. Danach hat man gleich ein hoffnungsvolles Gefühl.

P Staffs Installation „Acid Rain for Serpentine Gallery" (2019) befindet sich im dritten Stock des Museums. © Courtesy of the artist and Commonwealth and Council, Los Angeles, Foto: Hugo Glenndinning

Viele Arbeiten erzählen von Verwundbarkeit, Altern, Sucht, aber es geht auch um Umweltverschmutzung. Manche sind dabei sehr abstrakt, wie die Installation von P Staff, bei der aus einem dünnen Rohr säurehaltiges Wasser in Metallfässer tropft. Andererseits bringen Nan Goldin und die Organisation PAIN Überbleibsel von Protestaktionen gegen den Sackler-Konzern in die Ausstellung. Wie verhandeln Sie das Zusammenspiel von Kunst und Aktivismus?

SC: Wir zeigen Nan Goldins Zeichnungen, aber auch ihre Arbeit mit PAIN, einer Künstler:innengruppe, die sie mitbegründet hat. Sie benutzt Guerillataktiken, um gegen die Förderung durch die Sacklers zu protestieren. Die Familie besitzt den Konzern, der das süchtigmachende Opioid Oxycontin produziert und vertreibt, von dem auch Goldin abhängig war. Es gibt seither zunehmend eine Debatte um Philanthropie, Gesundheit und Kunst. Bei P Staffs Arbeit ist hingegen erstmal überhaupt nicht klar, wie sich das auf Krankheit oder den Körper bezieht. Aber die Installation hat mit Verschmutzung und der Durchlässigkeit der Haut zu tun. Es geht da um sauren Regen, eine ökologische Krise aus den Neunzigern.

Ich erinnere mich an diesen Niederschlag, der Steine und Wälder zum Erodieren brachte. Das ging aber vorbei und hat sich vor allem als lokales Problem herausgestellt. Ein interessanter Gegensatz zu den globalen Ökologieproblemen, denen wir heute gegenüberstehen. Was kann aktivistische Kunst da überhaupt noch tun?

PP: Wenn Sie etwas mit Kunst studieren, dann hoffen Sie, dass das Ausstellungsmachen den sozialen Diskurs ändern kann. Aber das ist ziemlich naiv, wenn Sie mich fragen. Mal rein finanziell betrachtet: Der größte Teil der Spenden in den USA geht ans Gesundheitswesen oder an Umweltorganisation, und nur ein kleiner Anteil geht in den Kunstbetrieb. Trotzdem haben die Künste eine riesige Rolle, die kulturelle Debatte zu verschieben.

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