Anne Imhof hat im Amsterdamer Stedelijk Museum einen düsteren Parcours aus Objekten, Videos und Sound gestaltet. Wir sprachen mit ihr über fluide Körper, Jugendängste und den Glauben an die Zukunft
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11.10.2022
Seit Anfang des Monats wummern im Untergeschoss des Stedelijk Musuems laute Bässe und düstere Sounds. Auf rund 1100 Quadratmetern präsentiert die deutsche Künstlerin Anne Imhof ihre neuste Arbeit unter dem Titel „Youth“: ein Labyrinth aus hunderten von Schließfächern, rotleuchtenden Wassertanks, Autoreifen und Lautsprechertürmen. Der eindringliche Sound bewegt sich durch die dunkle Halle wie ein Gespenst. Eigentlich sollte die große Soloschau, eine Kollaboration zwischen der Hartwig Art Foundation und dem Stedelijk Museum, bereits im Frühling im Moskauer Garage Museum eröffnet werden, doch kann kam der Krieg. „Wir hatte nicht damit gerechnet, dass der Konflikt so schnell eskalieren würde“, erzählen Imhof und das Kuratorenteam während der Pressekonferenz. Anfang Februar drehten sie in Moskau noch die Videos für „AI Winter“, „Fate“ und „Youth“, die nun im Stedelijk Premiere feiern, kurz danach wurden alle weiteren Vorbereitungen für die Ausstellung in Moskau abgebrochen. Der Schock, die Leere und das daraus resultierende Unbehagen, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg, sind auch in Amsterdam noch zu spüren.
In Ihrer Ausstellung im großen Untergeschoss des Stedelijk Museums gibt es ein Labyrinth aus zahlreichen Schließfächern. Diese wecken Erinnerungen an Schulunterricht und Teenage-Drama. Was genau verbinden Sie mit den Aufbewahrungsfächern aus Metall?
Schließfächer kennen wir aus der Schule, aus Institutionen, aus Schwimmbädern, Sporteinrichtungen, und Vereinen, sogar aus Museen. Wir kennen sie aber auch aus dem Arbeitskontext, wenn Leute ihre Kleider ablegen und in Arbeitskleidung schlüpfen. Es geht also um diesen Moment, indem man etwas von sich selbst dalässt und praktisch in etwas anderes hineintritt. Den Moment, wo man zum Teil eines großen Ganzen oder einer Gruppe wird. Und es geht auch um den damit verbundenen Schmerz. Denn in diesem Moment des Übergangs befindet man sich in einer vulnerablen Position. In welchem Lockerroom man sich befindet, kann ebenfalls eine prägende Erfahrung sein: Muss man in den für die Frauen oder in den für die Männer? Die damit zusammenhängenden Gefühle von Verletzbarkeit, aber auch der fließende Übergang zwischen den Geschlechtern, manifestieren sich für mich in den Schließfächern.
Die Schau trägt den Titel „Youth“. Was bedeutet Jugend für Sie? Wie denken Sie heute über Ihre eigene Jugendzeit?
Die Idee von Offenheit, noch nicht alles zu wissen, noch nicht richtig zu sein und diese Suche nach derjenigen, die man ist – diese Idee durchzieht fast mein ganzes Leben. Und die Ausstellung hat viel damit zu tun, mit diesem Gefühl von Unwohlsein, einer Zerrissenheit, die ich besonders als Teenager gespürt habe. Dann gibt es aber auch Gefühle wie Überschwänglichkeit, die im starken Kontrast dazu stehen. Man ist alles, und man ist nichts. Wo und wie bringt man diese Gefühle in einer Gesellschaft unter, die andere Vorstellungen davon hat oder auch wechselnde Vorstellungen, aber eben andere? Ich glaube, die Ideen von Jugend oder Kindheit sind relativ junge Ideen. Jugend als Begriff für den fluiden Übergang von einem Zustand in einen anderen – das ist es, was ich mit dem Titel ausdrücken möchte. In meinen Live-Stücken geht es nicht etwa um das Zusammenkommen einer bestimmten demografischen Gruppe, die sich über bestimmte Codes miteinander verbindet, sondern eigentlich werden da ganz andere Themen verhandelt, die viel universeller sind. Es geht darum, sich in einem großen Ganzen zu verhalten und zu verlieren und sich diesem Ganzen ganz hinzugeben.
Möchten Sie mit der Ausstellung also gezielt ein jüngeres Publikum ansprechen?
Darüber habe ich mir noch gar nicht so viele Gedanken gemacht. Viel eher denke ich, dass die Künstlerinnen und Künstler, die zur Ausstellung beigetragen haben, die Musikerinnen und Musiker, ein ganz junges Publikum ansprechen. Dabei soll es gar nicht so sehr um die eigentlichen Bilder gehen, sondern um die Offenheit, die das Thema „Youth“ mit sich bringt. Und vielleicht auch eine neue Idee davon, was Kunst überhaupt ist. Für mich ergibt sich daraus eine Frage, die mit Zugang zu tun hat, insbesondere mit dem Zugang zu Kunst und inwiefern der exklusiv gehalten wird und welche Rolle Museen hierbei spielen. Es gibt da eine Unklarheit, gar nicht so sehr auf einer intellektuellen Ebene, sondern auf einer Ebene, die mit Erfahrung zu tun hat, mit der Erfahrung, ausgeschlossen zu sein. Es geht mir darum, dass wir diesen Zustand der Offenheit und Zugänglichkeit nicht erreichen können. Das Konzept „Museum“, das es in der Vergangenheit – auch bei meiner eigenen Arbeit – ermöglicht hat, dass Dinge passieren können, die in einem anderen Rahmen vielleicht nicht hätten passieren können, kommt irgendwann an seine Grenze. Natürlich könnte man ein Museum vielleicht so weit bringen, sich zu verändern. Aber dabei geht es darum, dass die Institution Museum an sich die Zugänglichkeit nicht zulässt, und ich für mich denke, dass ich in der Zukunft vielleicht einen anderen Weg außerhalb des Museums gehen muss, um wirklich allen einen Zugang zu meiner Arbeit zu verschaffen.