Ausstellung in Bologna

Bilder ohne Autor

Zahlreiche römische Fresken wurden in Pompeji durch die Asche des Vesuvs konserviert. Eine Schau in Bologna begibt sich nun auf die Spur der anonymen Malerinnen und Maler

Von Jan Kohlhaas
31.10.2022

Nur einer hinterließ seinen Namen: „Lucius pinxit“ steht in weißer Farbe auf einem der unzähligen Fresken, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bei Ausgrabungen in Pompeji, Herculaneum, Boscoreale und Stabiae ans Tageslicht kamen – einst begraben durch den Vulkanausbruch des Jahres 79 unter einer Decke aus Schlamm und Asche. Doch wer dieser Lucius war, ist nicht überliefert. Ebenso wenig, wer all die anderen Malerinnen und Maler waren, die die Wände der öffentlichen und privaten Gebäude dieser einst wohlhabenden Römerstädte kunstvoll dekorierten.

Doch schon ihre Zeitgenossen schätzten die Werke nicht mehr als Kunst: Im 35. Buch seiner Naturgeschichte erfahren wir von Plinius dem Älteren, dass die große Zeit der einst hochverehrten Malerei vorbei ist, da sie von anderen Künsten und vom Material Marmor verdrängt wurde. Nun sei es die Aufgabe der Maler, Mauern zu verschönern und Wände zu streichen, um damit die Häuser zu schmücken. Das geschah anonym, denn ihre Kreationen wurden weniger als Kunstwerke angesehen, sondern vielmehr als Teil der Gesamtdekoration.

Anders als später die Meister der Renaissance waren die römischen Malerinnen und Maler offenbar keine gefeierten Superstars. Doch welche soziale Rolle spielten sie in der Gesellschaft? Wie arbeiteten sie? Wie war ihre wirtschaftliche Situation? Diesen Fragen versucht die Ausstellung „I pittori di Pompei“ im Museo Civico Archeologico in Bologna auf den Grund zu gehen, um damit den anonymen Meistern ein Gesicht zu geben. Über 100 Fresken wurden dafür aus dem Archäologischen Nationalmuseum Neapel, das die weltweit größte Sammlung antiker Malereien besitzt, ausgeliehen. Rund die Hälfte verlässt zum ersten Mal nach ihrer Ausgrabung Neapel.

Fresko Bologna Pompeji Ausstellung
Fresko mit Herkules und Omphale. Eros bläst Aulos-Töne ins Ohr des Helden. © Museo Civico Archeologico, Bologna

Gleich mit dem ersten Exponat wird klargestellt, dass die Malerei im Römischen Reich kein männliches Privileg war: Auf einem Fresko des 1. Jahrhunderts aus dem Haus des Chirurgen in Pompeji sitzt eine Malerin, die mit dem Pinsel in der rechten Hand in einem Farbkasten rührt und an dem zu ihren Füßen stehenden Gemälde arbeitet. Welche Techniken, Materialien und Farben sie und die anderen Maler verwendet haben, ist im Folgenden zu sehen. Direkt wird deutlich, wie gut die von Mario Grimaldi kuratierte Ausstellung gleichermaßen für Laien und Experten funktioniert: Während in gezeichneten Szenen die Maler und Stuckateure bei der Arbeit gezeigt werden, können ihre Werkzeuge in Vitrinen genau studiert werden. Natürlich handelt es sich bei den Bleigewichten, Winkelmessern und Zirkeln um Originalfunde aus Pompeji. Genauso wie bei den Schüsseln mit bunten Pigmenten, neben denen eine Wandtafel hängt, auf der die Unterschiede der Farben und ihre Preise erklärt werden. Die verwendeten Pigmente sagen nämlich auch einiges über den damaligen Wert des Gemäldes, die Bezahlung der Malers und damit den Reichtum der Auftraggeber aus. So wissen wir aus der Naturgeschichte von Plinius d. Ä., dass ein Pfund des Pigments Ägyptisch Blau bis zu 176 römische Asse kosten konnte. Wenn man bedenkt, dass der Tagessold eines römischen Soldaten bei zehn Assen lag und ein halber Liter Wein für zwei Asse verkauft wurde, war die Malerei also ein kostspieliges Vergnügen.

Der zweite Teil der Ausstellung ist den verschiedenen Themen gewidmet, die auf den zentralen Bildern der Wände zu finden sind. Oft stammen sie aus der griechischen Mythologie, aus Theater und Musik. Dazu kommen Darstellungen von Architektur und Landschaft sowie die äußerst beliebten Stillleben – in Bologna eindrucksvoll vertreten durch eine komplette, 3 mal 4,5 Meter große Wand aus dem Haus der Julia Felix in Pompeji. Es ist faszinierend, zu sehen, wie die Malerinnen und Maler dieselben mythologischen Themen unterschiedlich umsetzten, um sie den jeweiligen Räumlichkeiten anzupassen. Die Wahl des Themas hing oft von der Funktion des Zimmers ab, zusätzlich spielten aber auch seine Größe, die Lage von Türen und der Lichteinfall eine Rolle, was in der Ausstellung anhand originalgetreu nachgebauter Räume vortrefflich simuliert wird.

Schale Pompeij Ausstellung
Eine Schale mit blauen Pigmenten kommt ebenfalls aus Pompeji. © Museo Civico Archeologico, Bologna

Außerdem gaben die Malerinnen und Maler den Darstellungen ihre eigene künstlerische Handschrift, die man in Bologna wunderbar selbst entdecken kann. Wer ganz nah an die Werke herantritt, erkennt jedes noch so kleine Detail. So ist auf einem der amüsantesten Bilder der Schau, dem Fresko mit Herkules und Omphale aus dem Haus des Marcus Lucretius in Pompeji, zu sehen, wie aus den Löchern des Doppelaulos, mit dem der kleine Eros dem volltrunkenen Helden ins Ohr bläst, Töne steigen. Auf einem großen Fresko aus der Villa des Publius Fannius Synistor in Boscoreale mit den Personifikationen von Makedonien und Persien wiederum ist es die besondere Gestaltung der Hände mit seltsam überkreuzten Fingern, mit der sich der Maler zu erkennen gab. Die Verwendung einer bestimmten Farbe, um die Hauptperson einer Szene zu kennzeichnen oder das an einer Wand lehnende oder auf einer Staffelei stehende Bild im Bild sind weitere dieser „geheimen Signaturen“.

Wenn das komplette dekorative Programm eines Hauses erhalten ist, tritt das künstlerische Individuum mit all seinen Fähigkeiten noch mehr in Erscheinung. Dazu gehört auch eines der größten Häuser Pompejis, das des Meleager, aus dem zwei herausragende Stuckreliefs gezeigt werden. Wer vor den extrem fein gearbeiteten, in bunten Farben leuchtenden dreidimensionalen Wanddekorationen steht, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der namenlose Maler war nicht nur ein Wanddekorateur, sondern einer der größten Künstler seiner Zeit.

Das Stuckrelief mit der Frau in der offenen Tür zierte einst das Haus des Meleager in Pompeji und gehört zu den bedeutendsten Malereien seiner Zeit. © Museo Civico Archeologico, Bologna

Und Lucius? Tja, meint Mario Grimaldi – der war wohl besonders stolz auf sein Werk, sodass er es signiert hat. Die Tatsache, dass seine Malerei zwar gut ist, aber nicht zu den herausragendsten Beispielen in Pompeji gehört, legt die Vermutung nahe, dass er kein professioneller Maler, sondern wohl eher ein Verwandter des Hausbesitzers war. 

Service

AUSSTELLUNG

„I pittori di Pompei“,

Museo Civico Archeologico,

Bologna,

bis 19. März 2023

museibologna.it

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