Taring Padi

Bissiger Reis

Das Kollektiv Taring Padi ist mit antisemitischen Darstellungen auf der Documenta in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Wer ist die Gruppe, die den größten Skandal in der Geschichte der Weltkunstschau auslöste? Eine Begegnung in Indonesien

Von Nadine Freischlad
01.08.2022

Doch ohne Zugriff auf visuelles Material oder die Literatur, die Lekra produziert hatte, entwickelten die Studierenden eine ganz eigene Ästhetik, die sich eher an linker Ikonografie und den Werken des sozialistischen Realismus aus Mexiko und Ostdeutschland orientierte, erklärt Wissenschaftlerin und Zeitzeugin Heidi Arbuckle-Gultom. Diese von kommunistischer Propaganda inspirierte Bildsprache wurde Taring Padi in der Post-Suharto-Ära zum Verhängnis.

Suhartos Rücktritt hinterließ ein politisches Vakuum. In ganz Indonesien brachen kleinere Konflikte aus, oft ethnisch oder religiös motiviert, wie etwa in der Region Zentral-Sulawesi, wo Gewalt zwischen Muslimen und Christen aufflammte. Im Ort Poso gab es gewalttätige Ausschreitungen, bei der mehr als 1000 Menschen ums Leben kamen. Um die Jahrtausendwende herum agierte die junge Künstlergruppe noch immer aus der Zentrale in Gampingan. Taring Padi produzierte viele Materialien wie Plakate und Flyer, welche die Menschen in den Konfliktzonen zu religiöser Toleranz aufriefen. Gleichzeitig festigte sich in Teilen der Bevölkerung aber auch die Ansicht, Taring Padi würde zu stark mit kommunistischem Gedankengut sympathisieren. Mit Suhartos Abtritt wechselte zwar die Regierung in Indonesien, doch Abneigung und Argwohn gegenüber allem, was mit dem linkem Gedankengut in Verbindung stand, hatte sich festgesetzt. Religiöse Gruppierungen, die in dieser Zeit Zuwachs fanden, sahen Kommunisten als Atheisten und als Feinde des Islam.

Dies war die bislang schwerste Krise für Taring Padi. „Wir wurden als radikaler Unterbau einer regierungskritischen, linken Partei gesehen, die Leute hielten uns für Kommunisten“, erzählt Ucup. 2003 wurde Gampingan von einer Gruppe muslimischer Fundamentalisten überfallen. Einer der dort ansässigen Künstler starb später an den Verletzungen, berichtet Ucup. Die bunte Mischung aus Kunstschaffenden, Aktivistinnen und Aktivisten und ihren Anhängern, die sich in Gampingan angesammelt hatte, musste das Gelände verlassen.  

Taring Padi fand zunächst Zuflucht im Studio einer befreundeten, jüngeren Künstlergruppe, Caping. Als dieses Atelier durch ein Erdbeben beschädigt wurde, zogen alle zusammen in den Vorort der Stadt, in das Gebäude, das noch heute Taring Padis Zentrale ist. „In den Jahren nach dem Übergriff auf Gampingan wurde uns klar, dass das Trauma der Vergangenheit in Bezug auf den Kommunismus noch zu stark war. Es wurde zu einem Stigma für uns, es hielt junge Leute davon ab, uns beizutreten“, sagt Ucup. Taring Padi entschied sich in der Folge, ihre Organisation weniger politisch und dafür inklusiver zu gestalten. Die Gruppe Caping wurde im Laufe der Zeit zur neuen Generation von Taring Padi und brachte auch neue Ästhetiken, wie etwa Skulpturen, mit ins Repertoire. Das Kollektiv setzte sich von nun an verstärkt für die Anliegen von lokalen Gemeinden und indigenen Gruppen ein, vor allem zu Umweltthemen. Mit Aktionen dieser Art befasst sich Taring Padi noch heute. Zum Beispiel als es darum ging, Bauern aus der Umgebung Jogjas zu helfen, die von ihrem Land vertrieben werden sollten, um Platz für den Bau eines neuen Flughafens zu schaffen.

Doch vieles hat sich auch verändert in den mehr als zwanzig Jahren seit der offiziellen Gründung. Inzwischen gehört die Gruppe zum indonesischen Kunst-Establishment, auch für die Stadt Yogyakarta sowie ihre Alma Mater ISI seien sie nun so etwas wie ein „nationales Kulturgut“, sagt Alexander Supartono, heute Fotografiehistoriker in England, der damals als Student aus Jakarta ein häufiger Gast in Gampingan war und Taring Padi später beitrat. Eine Galerie auf dem aktuellen Gelände der Kunsthochschule hat eine Wandmalerei von Taring Padi erhalten. Im Jahr 2018 widmete die Galerie Taring Padi eine große Retrospektive.

Zugleich hat sich mit den Jahren der Kultstatus von Taring Padi etwas gedämpft, und es entstand Raum für kritische Stimmen. So üben indonesische Autorinnen und Autoren in einer Sammlung von Essays, die Taring Padi auf ihrer Webseite zur Verfügung stellen, Kritik an der einseitigen und stereotypen Darstellung von ethnischen Minderheiten und Frauen in Taring Padis Werken. Ein spezieller Vorwurf zu antisemitischen Darstellungen wird hier jedoch nicht erhoben. Generell wird die schwache Präsenz von Frauen bei Taring Padi bemängelt, vor allem in seiner Anfangsphase waren ausschließlich Männer die treibende Kraft. Heute sind unter den jüngeren Mitgliedern mehr Frauen wie Yana dabei, auch wenn sie immer noch die Minderheit bilden.

Wie genau Taring Padi die schwere Kritik verarbeiten wird, die sie auf der Documenta erfahren haben, ist noch unklar. Yana meint, dass die Gruppe innerhalb Indonesiens darüber aufklären will, was genau in Kassel geschehen ist und warum. Und dass Taring Padi generell zu einer umfassenderen geschichtlichen Bildung beitragen möchte. Indonesien ist bereits mehrfach von internationalen Medien wegen geschmackloser popkultureller Referenzen zum Dritten Reich ins Visier genommen worden. 2014 zeigte sich der indonesische Rockmusiker Ahmad Dhani in einem Musikvideo in Kleidung, die deutlich von einer SS-Uniform inspiriert war. In der Stadt Bandung gab es lange das sogenannte Soldatencafé, das Bilder von Hitler und Hakenkreuzen zur Schau stellte. Erst 2017 wurde es endgültig geschlossen.

„Davon habe ich noch nie etwas mitbekommen. Den Zweiten Weltkrieg, Nazis, das kenne ich aus Filmen, aus dem Kino“, sagt Yana. Einem jüngeren Mitglied kann man das vielleicht abnehmen. Doch Taring Padi setzt sich laut eigener Aussage mit den Themen Rassismus, Unterdrückung und Menschenrechten auseinander – und das seit Jahrzehnten. Taring Padi war ausgezogen, um der Welt Indonesien zu erklären. Doch die Einsicht, mit der sie zurückkehrt, sollte lauten: Taring Padi muss zunächst die Welt verstehen.

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