Das Kollektiv Taring Padi ist mit antisemitischen Darstellungen auf der Documenta in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Wer ist die Gruppe, die den größten Skandal in der Geschichte der Weltkunstschau auslöste? Eine Begegnung in Indonesien
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01.08.2022
Auf der Documenta 15 gibt es weiterhin im Hallenbad Ost einen Ausstellungsraum mit Archivmaterial, das einen Querschnitt der politischen Aktionen zeigt, für sich die Taring Padi in den vergangenen zwei Dekaden eingesetzt hat. Doch einige der Inszenierungen, die die Gruppe im Rahmen der Weltkunstschau im öffentlichen Raum umsetzen wollte, wie zum Beispiel ein Straßenumzug und ein Straßentheater, fanden gar nicht oder nur in kleinem Rahmen statt.
Inzwischen sind Taring Padis Mitglieder wieder aus Deutschland zurückgekehrt und in ihrem Studio in Yogyakarta eingetroffen. Die fröhliche Stimmung ist verpufft. Als wir mit Ladija Triana Dewi – genannt Yana – telefonieren, ist sie sichtbar müde von der Reise. „Wir sind natürlich traurig und geschockt“, erzählt sie. „Die Kritik, die wir erfahren haben, war hart, wir haben viel gelernt. Wir sind fieberhaft unser Archiv durchgegangen. Sind irgendwo sonst noch solche Bilder verwendet worden?” Und sie ergänzt: „Es klingt wahrscheinlich absurd, aber: Bevor wir auf die Documenta gingen, kannte ich den Begriff Antisemitismus nicht.”
Wie kann das sein?
Um Taring Padi einzuordnen oder ihre Argumentationsweise zumindest versuchsweise nachzuvollziehen, muss man tiefer in Indonesiens Geschichte eintauchen. Und in die Geschichte von Yogyakartas Kunstszene. Die Stadt in Zentraljava – auch Jogja genannt – war in vieler Hinsicht der logische Geburtsort für Taring Padi. Sie ist der Knotenpunkt einer dicht besiedelten, doch ländlich geprägten Region, deren Reis- und Gemüsebauern die Metropolen im Westen und Osten der Insel Java beliefern. Zudem ist Jogja ein historisches Kulturzentrum, mit prachtvollen Tempeln und einer Historie, die lange vor der Islamisierung der indonesischen Inselkette begann. Diese Faktoren machten auch die Kunsthochschule ISI in Yogyakarta seit ihrer Gründung Mitte der 1980er-Jahre zu einer angesehenen Adresse, meint Dolorosa Sinaga, eine Bildhauerin und Aktivistin, die mit Taring Padi befreundet ist. Zu einem kreativen Höhepunkt kam es Mitte der Neunziger, als die renommierte Kunsthochschule von ihrem Campus im Stadtzentrum Jogjas auf ein neues Gelände am Stadtrand zog. Der alte Campus, Gampingan, war auf einmal ungenutzt.
Zur gleichen Zeit wurde der politische Unmut in der Bevölkerung stärker. Einige ISI-Studierende hatten sich der Protestbewegung gegen den Staatspräsidenten Suharto angeschlossen, der damals seit knapp 30 Jahren im Amt war und mit eiserner Hand regierte. Eine Handvoll radikalisierter Studenten entschied sich, in Gampingan zu bleiben. Sie besetzten ihr altes Universitätsgelände und schufen dort einen Raum außerhalb der Aufsicht der Hochschule. „Zu der Zeit kam alles zusammen. Die Menschen hatten genug vom Suharto-Regime, eine Währungskrise drohte, eine Ära des Exzesses ging zu Ende. Aktivisten wurden entführt und verschwanden“, sagt Farah Wardani, Kuratorin und Gründerin des Indonesia Visual Art Archive in Yogyakarta, einem Zentrum für zeitgenössische indonesische Kunst.
Gampingan zog verschiedenste Menschen an, etwa Straßenmusiker und radikale Denker und Dichter aus Jakarta. Das Gelände wurde zu einem Zentrum der Protestbewegung und formte die Keimzelle von Taring Padi, erzählt Heidi Arbuckle-Gultom. Arbuckle-Gultom war damals Gaststudentin am ISI und hatte sich mit einigen Kunststudenten angefreundet. Sie schrieb 1999 ihre Dissertation zu Taring Padi. Im Freiraum von Gampignan stellten sich die Studierenden viele Fragen, die zur damaligen Zeit Tabu waren. Zum Beispiel nach dem Schicksal der Mitglieder der Indonesischen Kommunistischen Partei.
Suhartos Machtübernahme Mitte der 1960er-Jahre – auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – war extrem blutig. Mit Unterstützung westlicher Mächte katapultierte sich der ehemalige General ins Präsidentenamt, nachdem seine Truppen einen vermeintlichen kommunistischen Putsch verhindert hatten. Von Suharto geschürt, verbreitete sich daraufhin in Indonesien eine antikommunistische Panik. Dem vorherigen Präsidenten Sukarno wurde Nähe zur Kommunistischen Partei nachgesagt, er wurde verhaftet. Die Partei wurde verboten, ihre Anhänger und Familien verfolgt und brutal ermordet. Laut wissenschaftlichen Schätzungen kamen durch die staatlich sanktionierten Massaker an mutmaßlichen Kommunisten in Indonesien in der Zeit um 1965 mindestens 500.000 Menschen ums Leben. Die Hergänge gelten in der Fachliteratur als Genozid. Doch von indonesischer Seite gibt es bis heute keine offizielle Aufarbeitung, sodass auch die genaue Zahl der Todesfälle unklar ist.
Dieses schwarze Kapitel der indonesischen Geschichte konnte in Gampingan endlich frei diskutiert werden, wenngleich nur wenige Informationen zur Verfügung standen. Die Studierenden hatten die Zeit selbst nicht miterlebt, und die Generation ihrer Eltern wollte darüber nicht sprechen. Auch die Kunst- und Kulturorganisation Lembaga Kebudayaan Rakyat (Institut für Volkskultur, kurz Lekra), die unter Suhartos Regime aufgrund ihrer Nähe zur Kommunistischen Partei ebenfalls verboten war, wurde heiß diskutiert. Heute sind Lekra-Maler wie Affandi und Hendra Gunawan international bekannt, doch unter Suharto waren die Werke der Gruppe komplett aus dem öffentlichen Leben getilgt worden. Einzelne Mitglieder waren entweder im Exil, ermordet oder saßen, wie der Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer, im Gefängnis. Die regierungskritischen Kunststudentinnen und -studenten in Gampingan sahen sich als ideologische Nachfahren der Lekra-Künstler und wollten ihr Erbe antreten.