100 Jahre Museum Folkwang

Weltsprache der Kunst

Das 100-jährige Jubiläum des Museum Folkwang in Essen vereint zwei Spitzensammlungen der Moderne in einer spektakulären Ausstellung

Von Daniel Schreiber
03.02.2022
/ Erschienen in Kunstplaner 2022

Wie häufig, wenn Kunstsammlungen in einer gewissen Geschlossenheit zu sehen sind, ist die Essener Ausstellung auch eine Ausstellung über das Sammeln selbst. Osthaus und Matsukata trennte ein Altersunterschied von gerade mal acht Jahren. Sie verkörperten einen Sammlertypus, der sich überhaupt erst damals herausbildete – den des kunstinteressierten Unternehmers, der mithilfe von Beratern eine eigene Sammlung aufbaute. Während Osthaus das Erbe seiner Industriellen- und Bankiersfamilie für den Kauf moderner Kunst einsetzte, hatte Matsukata, Sohn einer einflussreichen Samurai- und Politikerfamilie, sein Vermögen als Präsident der Kawasaki-Werft gemacht, die er zu einer der größten Schifffahrtsgesellschaften der Welt ausbaute. Osthaus ließ sich unter anderem vom großen belgischen Designer und Kunstliebhaber Henry van de Velde unterstützen, Matsukata vom englischen Maler Frank William Brangwyn und dem Franzosen Léonce Bénédite, dem Leiter des Pariser Musée du Luxembourg. Indem sie zeitgenössische französische Kunst sammelten, erlangten beide Sammler ein gesellschaftliches Prestige, das ihnen sonst verwehrt geblieben wäre.

Sowohl Osthaus als auch Matsukata hatten einen ausgeprägten Sinn für das ästhetische Potenzial der Werke, die sie sammelten. Aber wie bei ihrer unternehmerischen Arbeit gingen sie auch mit einer großen Risikofreude und einem Gespür für gute Geschäfte an die Kunst heran. Vor allem die frühen spektakulären Ankäufe durch Osthaus wären ohne diese Risikofreude nicht denkbar gewesen. Bereits zur Eröffnung seines Museums in der westfälischen Provinz konnte das Publikum Renoirs schon erwähnte „Lise“ und Vincent van Goghs aufregendes „Die Ernte. Kornfeld mit Schnitter“ (1889) sehen, ein Bild, dessen bewegte, kraftvolle Farbigkeit mit allem brach, was damals als guter Kunstgeschmack galt. Es war der erste van Gogh, der überhaupt je in einem Museum ausgestellt wurde. Auch die Schnelle und Effizienz, mit der Matsukata zwischen 1917 und 1927 seine Sammlung aufbaute, wäre ohne große Risikobereitschaft nicht vorstellbar. Neben seinen 34 Monets erstand er gleich 20 Gemälde von Gauguin und unzählige Hauptwerke fast aller bedeutender Impressionisten und Postimpressionisten.

Doch in Essen lässt sich auch nachvollziehen, wie wenig Bestand Kunstsammlungen – im Gegensatz zu den Werken, die sie beherbergen – haben können. Schon während des Ersten Weltkriegs verlor Osthaus einen Großteil seines Vermögens durch den Kauf von Kriegsanleihen und musste sich hoch verschulden. Auch die Nachkriegsjahre trafen ihn schwer. Er erkrankte an einer Rippenfellentzündung und kämpfte bis zu seinem Tod 1921 mit finanziellen Problemen. Seine Sammlung konnte schließlich nicht, wie er es gewollt hatte, in seiner Heimatstadt Hagen bleiben. Matsukata musste während der japanischen Finanzkrise 1927 mit seinem Privatvermögen für die Verluste der Kawasaki-Werft haften, und seine Sammlung wurde in den Folgejahren gewaltsam aufgelöst. Das, was von ihr übrig blieb, weil es noch nicht nach Japan verschifft worden war, wurde von der französischen Regierung während des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmt. Ein Teil der Werke wurden 1959 zur Eröffnung des National Museum of Western Art an Japan restituiert. Doch zahlreiche Bilder blieben in Frankreich, darunter allein sieben Gauguins, die heute im Louvre hängen, und van Goghs berühmtes „Vincents Schlafzimmer in Arles“ (1889) aus dem Musée d’Orsay.

Sowohl Osthaus als auch Matsukata trugen mit ihren Sammlungen zur weltweiten Revolution von Impressionismus und Postimpressionismus bei. Sie gehörten einer Generation von Kunstsammelnden an, ohne die wir heute höchstwahrscheinlich anders über die französischen Strömungen dächten, anders über das Projekt der Moderne, das sie anstießen. Auch wenn sich die Museumsträume der Sammler nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatten, verwirklichten: Ihre Mission, möglichst viele Menschen in Berührung mit diesen Bildern zu bringen und ihnen den Trost ihrer Schönheit zu vermitteln, haben sie erfüllt. Wie gut das auch heute noch funktioniert, wie sehr ihre Schönheit immer noch tröstet, kann man in Essen sehen. Sowohl Osthaus als auch Matsukata glaubten in den von ihnen gesammelten Werken über alle kulturellen Unterschiede hinweg eine Weltsprache zu erkennen. Eine Weltsprache der Sinne, eine Weltsprache der Kunst. Eine Weltsprache, die man immer noch versteht.

Folkwang Ausstellung 100 Jahre Jubiläum
In den Räumlichkeiten des Museum Folkwang wird von Februar bis Mai die Ausstellung „Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Welt“ zu sehen sein. © Museum Folkwang, Foto: Giorgio Pastore

Service

AUSSTELLUNG

„Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Welt“,

Museum Folkwang, Essen,

6. Februar bis 15. Mai 2022

museum-folkwang.de

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