An der Ostsee fand Elisabeth von Eicken das Motiv für ihre Kunst – und den Fluchtpunkt für ihr wechselvolles Leben. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Ahrenshoop und eine neue Biografie entdecken nun die Malerin
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23.12.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 194
Die Kunstkritik schwärmt weiter: „Frau von Eicken ist uns nun schon seit Langem vertraut“, schreibt 1906 die Rostocker Zeitung. „Sie ragt als Künstlerin über dem – der Himmel verzeihe mir die Offenheit – ziemlich miserablen Durchschnitt weiblichen Kunstschaffens sehr beträchtlich hinaus. Sie versteht es, aus einer Landschaft das Charakteristische sicher herauszuholen und es, leicht idealisiert, mit gediegenen technischen Mitteln wiederzugeben.“ Einige Kritiker nennen sie bereits „Die Eicken“. Etliche Motive malt sie aufgrund der Nachfrage mehrfach. Leider mehren sich in dieser Zeit erste gesundheitliche Probleme. Sie ist übergewichtig und leidet unter Kreislaufproblemen. Die verordneten Wasserkuren helfen nicht. Doch selbst vom Krankenbett aus organisiert sie ihre Ausstellungsbeteiligung.
Seit 1900 ändert sich ihre Malweise mit einem sichtbaren Stilwandel. „Sie geht danach mit Wissen und Können etwas verschwenderisch um. Es ist aber – am Ende weiß sie’s selber – ein gefährlicher Weg, der zur Verflachung führt; das einzelne Werk versinkt auf die Weise in der Flut. Nichts hebt sich mehr heraus“, meint die Kunstkritik zu beobachten. Doch der Kritiker verwechselt ihre neue Malweise mit Verflachung und Flüchtigkeit. Es ist der reduzierte, kraftvolle Pinselstrich, den sie jetzt bevorzugt. Der Farbauftrag wird immer pastoser. Sie fasst ganze Flächen in ihren Bildern expressiv zusammen und legt sie mit breitem Strich an. Ahrenshoop bleibt ihr beliebtestes Motiv. Dort erlebt sie vom Hohen Ufer aus die Gewalt des Meeres bei Sturm und bringt ihre Gefühle auf die Leinwand.
Doch ihre teilweise spekulativen wirtschaftlichen Unternehmungen laufen aus dem Ruder. Die Probleme drücken. Im Jahr 1909 muss sie das Anwesen in Ahrenshoop mit dem gesamten Inventar „sowie Gemälden“ verkaufen. Ihr Wohnrecht behält sie. Elisabeth von Eicken ist nun 50 Jahre und meidet immer mehr das Ausstellungsgetümmel. Im Jahr 1912 veranstalten die Neubrandenburger Kunstsammlungen eine Personalausstellung mit ihren Arbeiten. Die örtliche Presse entdeckt: „einige mit einem gewissen mystischen Dunkel und einem etwas reichlich vorherrschenden Blau. Entzückend aber versteht die Künstlerin mit kräftigem breiten Pinsel reizvolle landschaftliche Motive Norddeutschlands auf die Leinwand zu bannen.“ In ihrer euphorischen Art sucht sie nach Deutungen und Ursachen für ihre Probleme.
Immer mehr wächst der Druck, ihre Familie, die Verwaltung ihrer Immobilien und ihre Kunst unter einen Hut zu bringen, hinzu kommen weitere finanzielle Probleme. Außerdem suchen sich die traumatischen Belastungen aus ihrer Kindheit und Jugend ihren Raum. Sie leidet unter Halluzinationen und flieht in eine irreale Welt. Noch während der Ausstellung in Neubrandenburg erfolgen ihre Entmündigung und Einlieferung in eine Klinik wegen „wahnhafter Ideen“. Nach einigen Monaten wird sie entlassen, bleibt aber unter Kuratel. Die Familie zieht sich während des Ersten Weltkrieges nach Ahrenshoop zurück. Doch die Künstlerin malt weiter. Offenbar entstehen in der Zeit Werke mit einer ungeheuren Energie, die sie aber nicht ausstellt. Im letzten Kriegsjahr ist noch einmal eine Arbeit von ihr in Rostock zu sehen. Auf weiteren Ausstellungen ist sie danach nicht mehr präsent.
Elisabeth von Eicken bleibt in Ahrenshoop als eine der letzten Mitgründerinnen der Künstlerkolonie. 1921 erreicht sie wieder volle Rechtsfähigkeit und tilgt durch die Inflation sämtliche Schulden. Sie erhält ihr „Haus Elisabeth“ zurück. In Berlin erwirbt sie zwei Mietskasernen, „richtige Proletenhäuser“ und sichert „eine gute Existenz für ihre Familie“, so zitiert sie ihre Patientenakte. Andere Projekte scheitern. 1927 tritt sie aus dem Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen aus.
Doch ihre „Wahnideen religiösen Inhalts“, wie es heißt, nehmen wieder zu. 1931 wird sie erneut entmündigt, zu ihrem Vormund wird der spätere Widerstandskämpfer Klaus Bonhoeffer ernannt. Sie kommt zu zwei Schwestern in Michendorf in private Pflege. 1940 stirbt Elisabeth von Eicken in Potsdam. Auf ihren Wunsch erfolgt die Beisetzung in Ahrenshoop. Sie kehrt zurück in ihre geliebte Ostseelandschaft.
„Die Eicken – Malen gegen männliche Vorurteile“,
Kunstmuseum Ahrenshoop,
bis 16. Juni
„Elisabeth von Eicken“,
von Wolf Karge
Edition Fischerhuder Kunstbuch,
Verlag Atelier im Bauernhaus, 2021
160 Seiten, 26,80 Euro